Lehrtipps: Studierende

heutiges Thema: Haben Sie den Gorilla gesehen?

"Ich zeige Ihnen jetzt einen kurzen Film über ein Volleyballspiel. Die Gruppe A beobachtet bitte, wie oft der Ball über-Kopf-gespielt, die Gruppe B, wie oft er über den Boden geprellt wird."

Wir waren etwa 50 Personen und beobachteten äußerst scharf und angespannt, denn die Szenen waren schlecht zu erkennen. Ich hatte 15-mal Über-Kopf-Spielen gezählt. Das wollte die Psychologin aber gar nicht wissen: "Haben Sie den Gorilla gesehen?" - Gorilla? Wie, wo, was? - Niemand von uns 50 (!) hatte einen Gorilla gesehen.

"Dann zeige ich Ihnen den Film noch einmal." Und tatsächlich, nun sahen wir ihn auch. Er kam ganz gemütlich von rechts herangezottelt, mischte sich unter die Spieler, wandte sich uns sogar zu und winkte freundlich, bevor er nach links aus dem Bild verschwand.

Was war geschehen? - Bei sehr hoher Konzentration auf eine Aufgabe wird die Wahrnehmung des Umfeldes stark eingeschränkt, um eben alle Energie und alle Mittel zur Erreichen des einen Zieles einsetzen zu können.

Was bedeutet das für die Lehre? - Wenn Sie zum Beispiel jemanden mündlich prüfen und merken, dass er hochgradig nervös ist, so werden Sie ihm vermutlich beruhigend zureden. Das sollten Sie auch. Aber machen Sie es nicht zu lang, denn er hört Sie nicht. In seinem Innern herrscht tobende Aufregung: Was wird er als nächstes fragen, wie war das noch mit dem xy-Satz, und was stand dazu auf der Seite mit den Bildern? Er ist voll auf Prüfungsinhalte konzentriert, alles was nicht dazugehört, blendet er weg. Ihre Rede ist für ihn wie ein Säuseln des Windes …

Ich habe einen Studenten in einer solchen Situation gebeten, anderntags ins Sekretariat zu kommen. Er kam nicht. Zur Rede gestellt, versicherte er mir, dass ich ihn niemals ins Sekretariat gebeten hätte. Ich war geneigt, ihm Schlamperei zu unterstellen. - Damals hatte ich allerdings den Gorilla noch nicht gesehen.


heutiges Thema: Proaktive Hemmung

Um Zahlenkolonnen mit dem Taschenrechner zu addieren, benutzten unsere Studenten immer wieder die Plus- und Ist-gleich-Taste. Wir brachten ihnen bei, die Addition sehr viel effektiver mit dem saldierenden Speicher auszuführen. Sie fanden das auch ganz gut. Aber als die Prüfung kam - was sahen wir? Sie benutzten wieder ihr altes Verfahren!

Das gilt nicht nur für Methoden sondern auch für falsche Vorstellungen, die inzwischen obsolet geworden sind. Untersuchungen belegen, dass Studenten in der Prüfung uralte, längst überholte Theorien wiedergeben, obwohl ihnen neuere und bessere Theorien vorgestellt wurden.

Schlechte Gewohnheiten, falsche Vorstellungen behindern das Lernen am meisten. Subjektiv glaubt der Student zwar, dass er das Neue jetzt gelernt hat, unter Stressbedingungen - Prüfung - fällt er aber wieder in alte Verhaltens- und Verfahrensweisen zurück, tritt das alte Gelernte wieder hervor. Der Effekt heißt proaktive Hemmung, ist in der Psychologie seit langem bekannt und ist ein natürlicher Schutzmechanismus der Lebewesen: unter Stressbedingungen greift der Organismus auf die lang erprobten, tief verankerten Verfahren und Kenntnisse zurück, auf die er sich verlassen kann. Neue können diese nicht leicht verdrängen.

Für die Lehre bedeutet das: Sie müssen zunächst das Alte deutlich hervorholen, es beschreiben, benennen und mit dem Neuen vergleichen. Nur so besteht eine Chance, dass das Gehirn einen echten Vergleich ausführt, der dann zu einer Änderung führt - allerdings nur, wenn zusätzlich Gelegenheit zu sehr (!) häufigem Üben besteht. - Ein mühsames Geschäft! Wir brauchen uns nicht zu wundern, wenn es oft ohne Erfolg bleibt.


Ich-Botschaften

Die Studentin Polly ist Vielrednerin. Immer hat sie irgendetwas zu sagen. Alle sind genervt, wenn sie nur den Mund aufmacht.

Absehbare Konflikte sollte man lösen, bevor sie sich verselbständigen. Wie? - Ignorieren ist nicht mehr angebracht. Zur Strafe Protokoll-schreiben-lassen ist auch keine tolle Lösung. - Ein guter Weg ist, darüber zu reden.

Dabei sollte man Konfrontationen vermeiden. Sie treten fast immer auf, wenn man "Sie-Botschaften" sendet: "Sie sollten merken, dass Sie ...."; "Wenn Sie meinen, dass Sie ....".

Besser sind "Ich-Botschaften", mit denen ich meine eigenen Beobachtungen und Gefühle wiedergebe, der Studentin die Wirkung ihres Verhaltens widerspiegele. Das verringert bei ihr Ablehnung und Widerstand.

Ich-Botschaften sollen drei Teile enthalten:

  1. das störende Verhalten konkret benennen;
  2. meine dadurch hervorgerufenen Gefühle beschreiben;
  3. begründen, warum die Störung ein Problem ist.

Ein Lösungsvorschlag für das Problem ist immer gut.

Das könnte so geschehen: "Ich beobachte seit einiger Zeit, dass die Beiträge nicht mehr von allen Teilnehmern kommen, sondern nur noch von wenigen. Von Eva höre ich ab und zu etwas, von Bernd öfters und Polly ist eine immerzu sprudelnde Quelle. Das hindert vielleicht diejenigen, sich zu äußern, die nicht so schnell mit dem Wort sind. Das finde ich sehr schade, da uns dadurch womöglich die Vielfalt der Gedanken und Ideen verloren geht. Ich schlage vor, dass wir jetzt eine Runde einlegen, bei der jeder sich erst zum zweiten Male äußern darf, wenn alle anderen etwas gesagt haben." - oder so ähnlich.

Studentische Probleme

"Das ist doch völlig Irre! Da kommt ein Student nach der Vorlesung und fragt mich: "Kann ich die Pfeile über den Vektoren auch wie richtige Pfeile machen oder darf ich nur solche Pfeile machen, wie Sie sie an die Tafel schreiben (liegende Eins)?"

Aus der Sicht des Dozenten ist die Frage völlig belanglos. Er hat über echte Probleme geredet und erwartet inhaltliche Fragen. Seine Irritation ist verständlich. Er (!) weiß, dass es ganz gleich ist, wie man die Pfeile macht.

Aus der Sicht des Studenten ist alles ganz anders: manchmal muss man ganz penibel einen Strich über ein Formelzeichen machen, manchmal einen Index anhängen, manchmal darf man nicht... Was darf, muss, soll man denn nun wirklich?

Die "Analyse der Botschaft" nach Schulz von Thun ergibt:

  • Sachebene Eine klare Frage: Welche Pfeilart ist zulässig?
  • Beziehungsebene "Ich habe volles Vertrauen zu Ihnen, deshalb frage ich Sie."
  • Selbstkundgabe "Ich bin völlig unsicher, was man darf und was nicht."
  • Appell "Helfen Sie mir!"

Die Selbstkundgabe beinhaltet immer auch, dass man verletzbar wird: "Was, so was Primitives wissen Sie nicht??" Das wird vom Studenten in Kauf genommen, seine Not ist groß.

Die Analyse hilft dem Dozenten, Hintergründe zu erkennen. Der Student kommt vertrauensvoll (!) zu ihm und fragt ihn. Sie zeigt ihm die Ebenen an, auf denen eine Antwort erfolgen sollte.

Lautes Denken

Hin und wieder bricht es über uns Dozenten herein: Ein Student erhebt vor versammelter Mannschaft massive Vorwürfe gegen unsere Regelungen, Verfahren, Vorgehen usw. Manchmal gibt es sogar einen regelrechten Aufstand. Wie gehen wir mit solchen Konflikten um?

Häufig steckt das Problem darin, dass wir uns sofort persönlich angegriffen fühlen, uns umgehend rechtfertigen oder gar zurück"schlagen" - und nicht mehr sorgfältig auf den Konflikt oder/und seine Hintergründe achten. Was steckt dahinter, was gibt es noch für unterschwellige Themen, ist das Problem nur Ausdruck einer allgemeinen Unzufriedenheit, Überforderung usw.?

Daraus folgt: Bei Angriffen erst einmal ruhig zuhören, dann abwägen und dann entscheiden. In der Praxis ist dabei das laute Denken sehr hilfreich: "Einerseits sehe ich mich verantwortlich für ... und daher muss ich ... Andererseits sehe ich auch Ihre Seite und finde daran positiv, dass ... Wenn ich jetzt abwäge, entschließe ich mich zu folgendem ..."

Das laute Denken gibt den Studenten Gelegenheit, ihre Vorwürfe in einem Gesamtzusammenhang zu sehen und macht Entscheidung, die Sie treffen, für sie verständlich und nachvollziehbar - auch wenn sie ihnen vielleicht nicht gefallen.

Motivation

Der Geheimtipp der Uni zur Motivation ihrer Studenten ist folgender: In gleichmäßigen Abständen immer wieder anderthalb Stunden auf sie einreden.

Weil das nicht sehr erfolgreich ist, flankiert sie dieses Verfahren durch Zwangsmassnahmen: Prüfungen aller Art.

Diese Motivation durch extrinsische Maßnahmen funktioniert -und zwar so schlecht nicht, wie wir alle wissen.

Unsere Sehnsucht nach dem intrinsisch motivierten Studenten, der aus eigenem Antrieb (Motivation von movere!) die Vorlesung nacharbeitet, zusätzliche Literatur liest etc, ist ein sehr hohes Ziel. Es ist uns wohl erlaubt und auch sinnvoll, als Dozenten von diesem Ziel zu träumen. Wir sollten aber von der Realität nicht zu sehr enttäuscht sein.

Wer in seiner Veranstaltung einmal die Frage stellt "Wer hat in den letzten 30 Sekunden an etwas anderes gedacht?" wird sich wundern - wenn er sich nicht selbst schon einmal daraufhin beobachtet hat. Motivation hat mit Interesse zu tun, und das gilt in sehr vielen Fällen nun mal gerade nicht primär unserer Veranstaltung. Sondern: die Freundin ist sauer; das Geld reicht nicht; eigentlich hab ich Hunger; wie schön war‘s gestern beim Skiausflug, beim Faschingsball; das hier geht sowieso alles über meinen Horizont; usw.

Von all dem, was unsere Studenten wirklich im Innersten bewegt (movere!), wissen wir als Dozenten nichts oder nur sehr wenig. Seien wir verständnisvoll, und versuchen wir trotzdem. sie für unser Thema zu motivieren!

Erfolgswahrscheinlichkeit

Das große PROLEHRE-Preisausschreiben: Nennen Sie eine Initiative zur Förderung der Hochschullehre mit 8 Buchstaben! Unter den Einsendern ... Sie kennen solche Preisausschreiben - gähn!

Die Motivation, etwas zu tun, hängt davon ab, ob man sich davon einen Erfolg verspricht. Der Zusammenhang wird durch eine konvexe Kurve beschrieben: Erwartet man kaum einen Erfolg, ist die Motivation gering ("ist zu schwer"); erwartet man fast mit Sicherheit einen Erfolg, ist die Motivation auch gering ("lohnt sich nicht").

Dazwischen hat die Funktion - notgedrungen - ein Maximum. Das bedeutet: Wer eine hohe Motivation erreichen will, muss eine mittlere Erfolgswahrscheinlichkeit anstreben. Das Thema, die Aufgabe, das Problem darf nicht zu leicht, aber auch nicht zu schwer sein.

Abgehobene Vorlesungen - über die Köpfe hinweg - sind demotivierend, ebenso wie solche, die nur Banales aufkochen. Den passenden Schwierigkeitsgrad zu finden, ist auch deshalb nicht so einfach, weil er für jeden Studenten anders ist. Erfragen Sie die Vorkenntnisse, um wenigstens im Mittel das richtige Niveau zu treffen. Die "Zeitverschwendung" lohnt sich.

Für Übungsaufgaben bietet sich an, die einzelnen Aufgaben unterschiedlich schwer zu machen oder auch den Schwierigkeitsgrad bei den Teilaufgaben innerhalb einer Aufgabe zu steigern. Die erste Aufgabe macht man zum Warmwerden relativ leicht - aber zu leicht darf sie eben auch nicht sein.

Protokollschreiben im Praktikum

Die beiden Studenten schauten mich hilflos an. Sie hatten bei ihren Messungen etwas falsch gemacht und mussten nun von vorne anfangen. Ich hatte gerade gesagt: "Na gut, dann schreiben Sie in Ihr Protokollheft: Bisherige Messungen sind falsch, da wir vergessen haben ..... "

Die Hilflosigkeit bestand darin, dass man in ein Protokoll offenbar nicht schreiben kann, was wirklich ist bzw. war. Der Begriff des "Protokolls" als einer Aufzeichnung, die den tatsächlichen Ablauf ungeschminkt darstellt, war offenbar nicht vorhanden. Selbst als ich einiges dazu gesagt hatte, war der nächste Vorschlag: "Dann reißen wir die Seite eben raus!"

Die nächste Gruppe notierte ihre Messungen mit Bleistift. "Damit wir es ausradieren können, wenn es falsch ist." Das gleiche Thema: wenn schon Fehler, dann darf er nicht öffentlich werden! Unsere Praktikumanleitung schreibt dazu: "Falsche Messungen können ruhig zugegeben werden. Durchstreichen und neuen Wert darüber schreiben und zwar so, dass der ursprüngliche Wert noch lesbar bleibt!"

Was steckt dahinter? - Ich vermute, es hat mit unserer Fehlerkultur zu tun. Wir sind nicht gewohnt, Fehler zuzugeben und schon gar nicht, diese auch noch zu protokollieren. Wenn wir es öfters täten, wäre das - im Sinne wissenschaftlicher Wahrhaftigkeit - sicher nicht schlecht.

Auch das sollten unsere Studenten lernen, und wir sollten es ihnen vorleben.

Das Urverhalten aller Schüler

Als wir das Videoband der Vorlesung im schnellen Vorlauf ansahen, wurde es besonders deutlich: Schrieb der Dozent etwas auf dem Overheadprojektor, schrieben die Studenten aufmerksam mit; trat er beiseite und gab rein verbale Erklärungen ab, wandten sich die Studentenköpfe von ihm ab und einander zu; man sah, dass sie sich unterhielten. Schrieb der Dozent wieder, gingen die Köpfe sofort auseinander, richteten sich auf den Dozenten aus, und es wurde wieder mitgeschrieben.

Das Verhalten erinnerte an die Pawlowschen Hunde: Dozent schreibt, Studenten schreiben, Dozent erklärt, Studenten unterhalten sich. Und das die ganze Stunde lang!

Verschärft wurde die Situation für uns dadurch,

  • dass es Studenten des 5. Semesters, also keine Anfänger, waren;
  • dass der Text auf dem Projektor ganz gewöhnliches Zeug war, wie es in jedem Lehrbuch steht, also kaum des Aufschreibens wert war,
  • dass die verbalen Erklärungen äußerst hochwertig waren und den eigentlichen Kern der Veranstaltung bildeten.

Was ging da vor sich?

Hier spielte sich das ab, was Schüler in einem langjährigen Prozess gelernt und verinnerlicht haben: Das, was wichtig ist, wird aufgeschrieben, der Rest ist Bla-bla, den kann man getrost vergessen. Schreiben = wichtig, reden unwichtig.

Wenn wir wollen, dass unsere Studenten auch das Zuhören lernen - und dazu auch noch Notizen machen -‚ dann müssen wir dieses tiefverwurzelte Verhalten ändern. Und das ist nicht einfach! - Ich empfehle regelrechte Trainings: Nach einer verbalen Erläuterung fordere ich die Studenten auf, das Vorgetragene mit eigenen Worten niederzuschreiben. Beim ersten Mal bricht Verzweiflung aus, und ich erkläre, warum ich ein Training dieser Art als nützlich für sie ansehe - und helfe ein wenig. Ab dem dritten Mal geht es dann schon ganz gut.

Ur-Reaktionen (1): Selektion

Studenten sind menschliche Lebewesen, und als solche reagieren sie genau so, wie Lebewesen seit Urzeiten reagieren.

Werden ihnen mehrere Reize etwa gleicher Stärke angeboten, so wählen sie einen aus, dem sie ihre Aufmerksamkeit widmen. Die Auswahlkriterien sind: Interesse, Vorkenntnisse und Art des Reizes.

Die Selektion, das Konzentrieren auf einen Reiz, ist der natürliche Schutz vor Reizüberflutung und Informationsüberlastung, denn nicht alles kann verarbeitet werden.

Das ist für uns als Dozenten wichtig zu wissen, denn es besteht die Gefahr, dass entscheidende Informationen, die wir geben, nicht wahrgenommen werden. Das kann immer dann passieren, wenn "unser wichtiger Reiz" nur ein Reiz unter vielen ist.

Also: Gesamtzahl der Reize verringern, indem wir möglichst alle Nebenreize ausschalten (Geräusche von draußen oder drinnen, offene Türen, Reden des Nachbarn, unnütze visuelle Angebote). Wichtiges auch "wichtig" darstellen, das heißt mit Sonderreizen verknüpfen - etwa mit Stimme, durch Medienwechsel.

Ur-Reaktionen (2): Deutung

Bei unseren Vorfahren hing das Überleben entscheidend davon ab, dass aufgenommene Reize sehr schnell richtig interpretiert wurden. Sonst hatte sie der Löwe gefressen, bevor sie ihn erkannt hatten.

Die schnelle Deutung, das rasche Interpretieren aufgenommener Reize, ist eine der Ur-reaktionen, die uns auch heute noch prägt. Denken wir nur an das Autofahren. Das funktioniert meist ausgezeichnet. Manchmal allerdings auch nicht. Bei geringer Erfahrung und/oder bei hoher Emotion passiert das sogar ziemlich leicht.

Studenten reagieren wie alle Menschen genauso wie ihre Vorfahren. Wenn wir Dozenten ihnen etwas Neues vortragen, etwas, von dem sie zum Beispiel noch nichts wissen (fehlende Erfahrung), dann besteht die Gefahr, dass das zu rasch interpretiert und missverstanden wird: Das Denken gerät gleich zu Anfang auf eine falsche Bahn - und das ist fatal, weil die mentalen Grundverknüpfungen im Gehirn gleich zu Anfang falsch angelegt werden.

Wir sollten also: bei Themen, die leicht missverstanden werden, das Problem und die neuen Begriffe sehr ausführlich darstellen, an - möglichst treffenden - Beispielen erläutern und sorgfältig gegen andere Probleme abgrenzen ("Damit hat es nichts zu tun!").

Je besser man in seinem Fach zu hause ist, umso weniger Verständnis hat man in der Regel für die simplen Anfangsschwierigkeiten der Studenten. Oft haben sie aber nur "die Anfangskurve nicht richtig genommen".

Ur-Reaktion (3): Orientierung

Die Fachleute nennen sie Orientierungsreaktion: Wie alle Lebewesen wenden unsere Studenten ihre Aufmerksamkeit derjenigen Reizquelle zu, die - unter allen, die sich anbieten - den stärksten Reiz ausübt. Dadurch werden Rezeption und Verarbeitung von Signalen dieser Quelle deutlich erhöht, die anderen Reize werden (fast) nicht beachtet.

Ein Beispiel aus dem Dozentenalltag: Wenn ich den Overheadprojektor einschalte und eine neue Folie zeige, geht die ganze Aufmerksamkeit meiner Studenten zum Bild an der Wand. Da kann ich reden, was ich will. Der neue Reiz ist der stärkste. - Wir können den Effekt positiv nutzen und eine Orientierungsreaktion auslösen, um gezielt Aufmerksamkeit zu erzeugen.

Zum Start einer Vorlesung kann ich das Bühnenlicht auf der - vorher relativ dunklen - Bühne einschalten. (Es geht auch mit einer Glocke. Das fanden meine Studenten allerdings nicht so gut, ein wohltönender Gong wäre vielleicht besser.)

Mancher wird vielleicht auch einmal mit einem - zugegeben vulgären - "Hey, Leute!" die Orientierung wieder auf sich lenken können.

Wer Zettel austeilt, erzeugt bei den Studenten den starken Reiz "Das will ich jetzt angucken!"

Die meisten Orientierungsreize kommen allerdings woanders her: Störungen in der Lautsprecheranlage, plötzlich schwätzende Nachbarn, Papierflieger, zu spät kommende oder zu früh gehende Studenten, ….. Die Studenten reagieren, wie die Theorie es will - allerdings ist das nicht in unserem Sinne.

Das Verwertungskonzept

Die meisten meiner Studenten wollten "die Prüfung schaffen" - und das mit möglichst wenig Aufwand, weil es ja auch noch andere Fächer und Interessen gibt. Sie gingen dazu verschieden vor und orientierten sich an ihren Erfahrungen und an den ihnen zugänglichen Informationen. Also an der Info-quelle "ältere Semester" und an ihrer Schul-Erfahrung: "Sammeln, sammeln und kurz vor der Prüfung in einem Kraftakt alles reinziehen - das funktioniert!" - Tatsächlich funktionierte das sehr oft nicht. Aber: auf mich als Dozenten hörten sie am wenigsten. Warum vertrauten sie mir nicht?

Es musste daran liegen, dass ich keinen echten Beitrag zu ihrem Problem liefern konnte, nämlich: die Prüfung zu schaffen.

Das änderte sich, als ich mich fragte: Wie stelle ich mir ganz konkret vor, dass die Studenten mein Lehrangebot verwerten? Was sollen sie tun? - Mitschreiben, - Nacharbeiten, - Vorauslernen, - Im-Skript-Mitlesen? - Meine Veranstaltung sollte wirklich nützlich (!) sein für ihr (!) Ziel.

Ein realistisches "Verwertungskonzept" einer Lehrveranstaltung prüft auch so banale Fragen, wie die, ob für bestimmte Aktivitäten überhaupt ausreichend Zeit in der studentischen 50-Stunden-Woche vorhanden ist. Es gehört dazu, dass man das Konzept vorstellt, Anleitung gibt und nach einigen Stunden auch nachfragt, ob es funktioniert.

Dies ist eine klare Absage an die verbreitete Auffassung "Ich mache ein Lehrangebot - was die Studenten damit anfangen, müssen sie selber wissen." Ich glaube, unsere Studenten brauchen "Anleitung zum Arbeiten und Lernen". Das heißt, wir müssen sagen, wie wir uns das Studieren vorstellen und wie nicht - und wie wir glauben, dass man "die Prüfung schaffen" kann.

Das Leben einer Vorlesung

Haben Vorlesungen ein eigenes Leben?

An meine erste Vorlesung über Elektronenmikroskopie denke ich nur ungern zurück: Eine Mammut-Material-Info-Schlacht mit den modernsten Details, dargeboten für Studenten, die laut Ankündigung eine Einführung erwarteten.

Ich hab's schon gemerkt, und drei Jahre später war daraus eine Lehrveranstaltung geworden, mit der ich in etwa zufrieden war. In den folgenden Jahren wurde sie zwar ständig aktualisiert, aber im Kern immer einfacher. Keineswegs weniger anspruchsvoll, aber ich arbeitete die Grundprinzipien und die Strukturen deutlicher heraus. Ich denke, dass sie das Bleibende sind - die experimentelle, die technische Ausführung mag sich ändern.

Inzwischen ist die Vorlesung so "einfach" geworden, dass junge Kollegen sagen "Wird Zeit, dass der Alte geht ....das ist alles viel zu leicht für die Studenten!" Und wenn sie dann die Vorlesung übernehmen, wird vermutlich alles - auf einer neuen Stufe - von vorne anfangen.

Wie im richtigen Leben.

Der Traum

Ich träumte, dass ich noch einmal studieren würde ......

Morgens ging ich in die Uni. Dort hatte ich meinen eigenen Arbeitsplatz, zwar nur ganz klein, aber immerhin: einen Spind für meine Klamotten, einen Schreibtisch, einen Computer, meine Bücher - und alles war so, wie ich es gestern Abend verlassen hatte. Ich konnte gleich weiterarbeiten. Das ist schon gut an dieser Uni, dass jeder Student einen richtigen, eigenen Arbeitsplatz hat - - - andererseits: eigentlich ganz selbstverständlich.

Für diese Woche heißt ein Thema: ".....". Anfangs, im ersten Semester, gab es die Themen-Vorgaben mehr oder weniger "stündlich". Jetzt, im fünften Semester ist alles schon viel freier, man erhält das Thema für eine ganze Woche. Mit dem Thema muss man sich beschäftigen. Wie, das kann ich mir aussuchen. Ich hab' dazu ein ganz gutes Kapitel im Lehrbuch gefunden. Das liegt mir mehr als die Vorlesung vom alten K. Und dann gehe ich um 15 Uhr in die Diskussion, da treffe ich die anderen. Mal sehen, was die dazu wissen.

Ob ich ein Experiment zu diesem Thema mache? Ich glaube, in diesem Fall brauch' ich es nicht. Obwohl ich da Susanne treffen könnte, mit der mach' ich ja ganz gerne Experimente. - Jetzt rechne ich erst mal die zugehörigen Übungsaufgaben, die sie im Internet anbieten. Spätestens am Freitag wird mir der Test ja zeigen, ob ich das Thema beherrsche.

Die Idee bei dieser Methode ist wohl, dass wir so nebenbei etwas über Arbeitsorganisation und Zeitmanagement lernen. Bis wir zur Diplomarbeit kommen, sind wir dann richtig fit. -

Der Traum wäre wohl noch weiter gegangen. Leider bin ich mit einem großen "Bumm!" vor dem Bett liegend aufgewacht. So kehrt man hart in die Realität zurück.

Studenten aktiv: Ein Lehrmail-Leser schreibt mir:

"Grosse Begeisterung habe ich diesmal erlebt, als ich die Studenten zur Mitgestaltung meiner Vorlesung aufgefordert habe.

Bei einer Vorlesungsbesprechung im letzten Jahr hatten mir die Studenten mitgeteilt, dass sie im Vorlesungsabschnitt "Systematik der Wirbeltiere" gern mehr Beispiele in Form von Fotos gehabt hätten. Darauf hin habe ich mich im Internet umgesehen und begonnen, Bilder zu sammeln und mit PowerPoint zu verarbeiten. Dabei kam mir die Idee, dass das Studenten natürlich auch können. So durfte jeder, der Lust hatte, sich eine oder mehrere Tiergruppen aussuchen, seine Suchergebnisse vorstellen und dazu ein sehr kurzes Referat halten. Eine Studentin hat die PowerPoint-Präsentationen gesammelt und wird sie für alle auf CD-ROM brennen.

Alle sind begeistert. Ich werde die Aktion wiederholen, obwohl ich ja in diesem Semester eine recht gute Sammlung bekommen habe."

Wer's adaptieren und ausprobieren mag: Viel Erfolg!

Frager

Mir scheint, es gibt drei Typen von Fragern.

Zum einen die, die wirklich etwas wissen wollen, etwas nicht verstanden haben. Mit denen haben Sie es relativ leicht: Würdigen Sie die Frage (auch wenn sie nicht so toll ist - sonst fragt keiner mehr), werten Sie sie - wenn es geht - als "interessant, hilfreich für alle", und beantworten Sie sie.

Dann gibt es die, die demonstrieren wollen, wie gut sie sind, die sich dem Dozenten zeigen wollen. Mit denen haben Sie es schon schwerer. Beantworten Sie die Frage freundlich, aber kurz und knapp. Beobachten Sie die anderen Studenten: Wenn sie genervt erscheinen ("Schon wieder der!"), dann verweisen Sie statt einer Antwort auf ein persönliches Gespräch im Anschluss an die Veranstaltung oder in Ihrer Sprechstunde.

Schließlich gibt es auch provozierende Frager, deren Fragen etwas anderes im Sinne haben als sie sagen. In leichteren Fällen: ignorieren. Ansonsten: Steigen Sie aus dem System "Frage-Antwort" aus, gehen Sie auf die Metaebene, und erkundigen Sie sich - ohne Emotionen - nach dem Hintergrund der Frage.