Internationale Beziehungen

Mein Auslandsjahr an der LSE in London 2018/19

 

London, 18. Dezember 2019: Mit der feierlichen Graduation Ceremony an der London School of Economics ging für mich eine spannende und intensive Zeit in Großbritannien offiziell zu Ende. Die traditionell-britische Feier erstreckte sich über den gesamten Tag, angefangen vom Einkleiden mit Robe, Schärpe und Hut, über zahlreiche Fototermine, dem Wiedersehen mit Kommilitonen und Freunden vor Ort, der akademische Feier bis hin zum Empfang und anschließender Party im unieigenen Pub. Ein unvergessliches Erlebnis, das zugleich noch einmal die vielen Erinnerungen an diese zwei Semester (bzw. nach britischem Studienverlauf drei Trimester) in London in Erinnerung brachte.

Graduation Day in London im Dezember 2019

 

1. Bewerbungsphase und Integration des Auslandsstudiums in den Studienverlauf

Doch alles der Reihe nach: Dass ich mein deutsches Masterstudium für ein Jahr pausieren würde, um ein zusätzliches Masterstudium in Großbritannien einzuschieben, hatte ich mir zunächst nicht vorstellen können. Das war im Frühjahr 2017, als ich mich am Ende meines Bachelorstudiums mit Studienmöglichkeiten im Master auseinandersetzte. Ich wollte mein Studium in Geschichte damals nicht komplett aufgeben, sondern durch interdisziplinäre und vergleichende internationale Ansätze erweitern, zudem mein Masterstudium eventuell im Ausland absolvieren. Bei meinen Recherchen stieß ich relativ schnell auf die London School of Economics and Political Science (LSE), deren Studiengang “Theory and History of International Relations” (Theorie und Geschichte der Internationalen Beziehungen) mich sofort begeisterte. Die Interdisziplinarität des Studiums, das Veranstaltungen aus dem International Relations Department und International History Department kombiniert, wobei beide Institute auch die Wirtschaftswissenschaften und das Völkerrecht in ihre Methodik einbeziehen, machte die Entscheidung zusätzlich leicht. Darüber hinaus gehört die LSE zu den Topuniversitäten Großbritanniens und besitzt auch weltweit  einen hervorragenden Ruf. Der Bewerbungsprozess war daher höchst selektiv und verlangte ein hohes Maß an Eigeninitiative. So verfasste ich ein ausführliches Motivationsschreiben und korrespondierte mehrere Wochen mit den Prüfungs-und Studienbüros in Mainz, um die Leistungsübersichten in das englische System zu übertragen. Schließlich musste ich bereits während der Bewerbungsphase die Finanzierung des Studienvorhabens klären, was ich dank meiner Studienförderung durch die Studienstiftung problemlos erledigen konnte.

Nach einigen Wochen Wartezeit erhielt ich eine Zusage der LSE. Ich musste jedoch feststellen, dass der geplante Studienbeginn in London mit dem Ende meines Bachelorstudiums zusammenfiel. Ein geregelter Start in das neue Umfeld, verbunden mit Unterkunftssuche und Einführungsveranstaltungen, war somit unmöglich. Doch schnell ergab sich ein „Plan B“: Ich konnte die Zusage der Universität für ein Jahr zurückstellen und, nach Rücksprache mit dem Studien-und Auslandsbüro des Historischen Seminars, nahm ich zunächst ein Masterstudium in Mainz auf, um die Zeit bis London sinnvoll zu überbrücken, ehe das deutsche Studium dann für ein Jahr pausieren und nach meiner Rückkehr aus London wieder aufgenommen werden sollte. Somit erhielte ich dann einen Doppelabschluss, dank eines abgeschlossenen Studiums im Ausland. Meinem Auslandsjahr in Großbritannien im akademischen Jahr 2018/19 stand damit nichts mehr im Wege…

 

2. Die Suche nach der Unterkunft

Zunächst stand die Suche nach einer passenden Unterkunft an. Natürlich hätte ich mir die Wohnungssuche sehr vereinfachen können, indem ich mich auf eines der zahlreichen Studentenwohnheime fokussiert  hätte. Die Vorteile eines Wohnheimzimmers sind sicherlich der geringere Aufwand bei der Wohnungssuche, der relativ simple Bewerbungsprozess und evtl. die enge Verbindung zur Universität – und damit auch zu künftigen neuen Kontakten.  Allerdings bietet auch eine private Unterkunft einige Annehmlichkeiten, die mich relativ schnell davon überzeugten, mein Glück in London auf eigene Faust zu versuchen Das „deferral“, die Zurückstellung meiner Zusage, gab mir genügend Zeit, den Wohnungsmarkt zu sondieren.

Crouch End mit dem markanten Clocktower

Nach ausführlicher Vorabrecherche entwickelte sich die Gegend rund um Crouch End zu meinem Favorit. Der Stadtteil liegt in Zone 2, besitzt also eine relativ schnelle Anbindung in die City, verfügt jedoch auch über einen gewissen Vorortcharme. Durch die Entfernung zum Stadtzentrum ist das Einkaufsangebot für den täglichen Bedarf sehr attraktiv. In Crouch End existiert ein „Stadtteilkern“ mit zahlreichen kleineren Läden und Kneipen, ebenso in den benachbarten Vierteln Finsbury Park, Highgate Village und Archway. Die Mieten sind deutlich geringer als im Zentrum oder in Zone 1, wo man als Student nur extrem kleine Zimmer/Wohnungen erhält (und somit weniger Quadratmeter für sein Geld bekommt als im Studentenwohnheim). Meine Unterkunft in Crouch End bot am Ende deutlich mehr als ein Einzelzimmer mit Bad im Studentenwohnheim, das preislich nur minimal billiger gewesen wäre. Als Kostenpunkt muss man sowohl bei einem guten Einzelzimmer mit Bad im Studentenwohnheim als auch bei einer kleinen privaten Wohnung mindestens 250-300 Euro pro Woche (warm, und, ja richtig, pro Woche!) einplanen. Stipendien sind da eine große Unterstützung. Ich kann nur jedem empfehlen, sich selbst ein Bild von der Unterkunft vor Ort zu machen, da der Preis – ganz gleich, wo man unterkommt – doch sehr hoch ist, zudem gibt es große Qualitätsunterschiede. Die meisten Wohnungen in London wechseln über Makler den Besitzer. Der Makler bzw. der Vermieter verlangt bei erfolgreichem Vertrag einen in Großbritannien ansässigen „Guarantor“ (Bürgen). Wer also Kontakte in England hat, sollte diese nutzen, ansonsten wird der komplette Mietpreis bei der Anmietung fällig.

Wer mit WGs kein Problem hat, kann sich auch in diese Richtung umsehen und so nicht nur viel Papierkram, sondern evtl. viel Geld sparen. Allerdings sollte man zusehen, dass möglichst alle Mitglieder der WG selbst Studenten sind, weil man ansonsten ggf. „Council Tax“ mitzahlen muss, von der man als Vollzeitstudent befreit ist. Fehlende Möbelstücke findet man übrigens gut und günstig in einem Charity Shop, wo man zu sehr niedrigen Preisen (ab fünf Pfund) auf Secondhand-Schnäppchenjagd gehen kann.

 

3. Living in London – Auf dem Campus und abseits des Campus

Ausblick aus einem Hörsaal
Tower Bridge

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Nach diesem langen Kapitel, das ich aber angesichts des Studienortes London auch besonders ausführlich beschreiben wollte, rückt nun die eigentliche Studienerfahrung an der Universität in den Mittelpunkt. Die London School of Economics and Political Science (LSE) ist eine Topuni im Temple-Bezirk, also im Zentrum Londons, die Anzahl der ausländischen Studierenden ist sehr hoch. Vom ersten Moment an hat mich die Vielfalt und die Intensität der Universität beeindruckt. Die meisten Gebäude der LSE sind auf dem kleinen Campus untergebracht, der direkt an Covent Garden und den großen Park Lincoln's Inn Fields grenzt. Die Universität verfügt über zahlreiche Seminarräume mit teils unterschiedlich guter bis sehr guter Ausstattung; kein Vergleich zu vielen deutschen Unis mit oft in die Jahre gekommenen Hörsälen.

Die Seminaratmosphäre war überaus produktiv und ansteckend: Trotz relativ geringer Stundenzahl musste ich vergleichsweise viel Zeit in Vor-und Nachbereitungen der Vorlesungen und Seminare investieren, und es wäre vermessen zu sagen, dass das Studium der LSE kein Vollzeitstudium ist. Im Gegenteil: Das Studium ist sehr intensiv, eng getaktet, das Leistungsniveau ist sehr hoch, das Lernpensum enorm, ebenso aber auch der persönliche Gewinn. Die vielen unterschiedlichen Biographien, Studienhintergründe und Interessen der Mitstudenten sorgen für eine konstant gewinnbringende Arbeitsatmosphäre in den Universitätsveranstaltungen, die auch ein hohes Maß an Eigenverantwortung und Zeitmanagement voraussetzen. Am Ende hatte ich zwar „nur“ vier Seminareinheiten, die aber nicht mit deutschen Veranstaltungstypen zu vergleichen sind, wenn es um den Arbeitsaufwand geht. Durch die 25 Seminarwochen widmet man sich zudem deutlich langfristiger und dementsprechend intensiver bzw. vielseitiger einem Seminarthema als in Deutschland.

Ich belegte als erstes ein Seminar mit Vorlesung in „Foreign Policy Analysis“, das einen interdisziplinären Ansatz in der Analyse der Außenpolitik verfolgte und neben Theorien auch einige Fallbeispiele zur Anwendung brachte. Ein weiteres Seminar behandelte anhand verschiedener Konflikte des 20. Jahrhunderts „Crisis and Decision-Making in War and Peace“. Ähnlich wie in „Foreign Policy Analysis“ hätte die Vielseitigkeit der Seminarthemen, die alle innerhalb kürzester Zeit vorgestellt, gelernt und diskutiert wurden, gleich mehrere Veranstaltungsreihen füllen können. Besonders in diesem Seminar wurde die Internationalität der LSE eindrucksvoll deutlich, da quasi in jeder Stunde irgendeine Person auf Grund ihrer Vorkenntnisse einen besonderen Einblick in das Thema hatte, sei es durch persönlichen Bezug, Sprachkenntnisse oder Forschungsinteressen. Nach diesen thematisch sehr breiten Seminaren hatte ich ein Seminar mit regionalem Schwerpunkt gewählt, um die Theorien und Erkenntnisse der ersten beiden Seminare im regionalen Rahmen zu studieren und anwenden zu können. Das Seminar „The International History of the Balkans (1939-2006)“ bot dafür den perfekten Rahmen. Der Dozent, selbst Serbe, konnte teils persönliche Erfahrungen mit Akteuren aus Politik und Wissenschaft zu diesem Thema in die Diskussion einfließen lassen, was zu teilweise sehr kontroversen und produktiven Diskussionen führte. Meine letzte Seminarreihe bereitete mich auf die Anforderungen, Themenrecherche und das wissenschaftliche Arbeiten für die anstehende Masterarbeit vor. Hier hatte ich durch ähnliche Tutorien und Oberseminare an der Uni Mainz einen klaren Vorteil, da ich mich nicht allzu sehr in meiner Arbeitsweise umstellen musste. Als Thema meiner Masterarbeit habe ich  Luxemburg bei der Pariser Friedenskonferenz im Jahr 1919 gewählt. Dabei bin ich der Frage nachgegangen, inwieweit interalliierte Streitigkeiten, Organisationsfehler bei dieser multilateralen Konferenz in Paris und politischer Entscheidungswille in Luxemburg selbst dazu geführt haben, dass das kleine Land Luxemburg die überaus prekäre diplomatische Situation nach dem Ersten Weltkrieg politisch überlebt hat. Die Recherche unter der Aufsicht von Prof. David Stevenson gestaltete sich sehr intensiv, mit zahlreichen wie gewinnbringenden Archivbesuchen in den National Archives, dem House of Lords, der British Library und sogar im Nationalarchiv von Luxemburg

Abseits der Veranstaltungen sorgten an der LSE zahlreiche Annehmlichkeiten dafür, dass man tagsüber eigentlich kaum den Campus weiter als in einem 50 Meter-Radius verlassen musste: Es gab kleinere Cafés direkt an der Hauptstraße, Cafés auf dem Campus, Pubs (gut für ein Bier nach Feierabend oder einer anstrengenden Klausur!), einen Friseur, zwei Buchläden, Geldautomaten, zwei Dachterrassen mit tollen Ausblicken auf die Umgebung, kleinere Sitzecken in verschiedenen Bereichen, eine Kantine, ein Tennisplatz im benachbarten Park sowie ein unieigenes Fitnessstudio. Die LSE bietet vielfältige Möglichkeiten, um sich in seiner Freizeit zu vernetzen und in das Campusleben zu integrieren: Societies, eine Mischung aus Freizeitaktivitäten und Arbeitskreisen, sind sicherlich der Fixpunkt studentischer Aktivitäten. Es gibt Societies von allen auf dem Campus vertretenen Nationen. Darüber hinaus gibt es für Sportbegeisterte einige Societies mit Sportbezug.

Neben den Societies werden an der LSE auch zahlreiche interdisziplinäre Veranstaltungen angeboten, die oftmals bekannte Personen aus Politik und Gesellschaft anziehen. Ich habe z.B. einige Veranstaltungen am „European Institute“ besucht und so die Diskussionen rund um das Dauerthema „Brexit“ aus spannenden wie abwechslungsreichen Vorträgen von Leuten aus der Praxis verfolgen können. Darüber hinaus sind die Aktivitäten von “LSE Life in London“ sehr zu empfehlen. Einige engagierte Dozenten und Studierende mit Londonerfahrung organisieren Kurztrips zu  Londoner Sehenswürdigkeiten und Stadtteilen. So schauten wir u.a. hinter die Kulissen eines Londoner Theaters in Covent Garden, besichtigten den Tower, erhielten vor Ort Tipps für Museen wie für das British Museum oder die National Gallery, unternahmen einen Ausflug nach Kew und Greenwich oder fanden uns auf einem Bauernhof mitten im Londoner Zentrum wieder. Darüber hinaus waren die Ausflüge umsonst und ließen sich leicht in den Wochenplan einschieben.

 

Oxford

Insgesamt war mein Auslandsaufenthalt nach den turbulenten ersten Wochen, die aus Ankunft, Eingewöhnung und zahlreichen Einführungsveranstaltungen bestanden, sehr eindrucksvoll und eine wertvolle Erfahrung. Neben meinem Studium an der LSE habe ich viel Sightseeing in London gemacht, viele Abende in der Stadt auf allen möglichen Events verbracht, wobei ich dabei als Fußballfan insbesondere den Standortvorteil London bei Fußballspielen herausheben möchte. Angesichts der Vielzahl an Londoner Vereinen und Stadien konnte ich einige Spiele live verfolgen. In London ist gefühlt immer etwas los, und auch wenn ich Vieles gesehen habe, bleibt für künftige Londonbesuche noch einiges übrig. Die gute Anbindung meiner Unterkunft an Verkehrsknotenpunkte in der City war ein großer Vorteil. Ausflüge, u.a. nach Kent, an die Südküste, nach Oxford, auf die Isle of Wight sowie nach Windsor ließen sich mit dem hohen Arbeitspensum kombinieren. Ich bin dankbar, in dieser Stadt studiert zu haben! Das Auslandsjahr in London sowie die Vorbereitungszeit sind wie im Zeitraffer vergangen, mit überwältigenden Eindrücken und einem großen Lernprozess sowohl was den persönlichen als auch den akademischen Bereich betrifft. Ich bedanke mich an dieser Stelle bei allen, die diese Erfahrungen ermöglicht haben! Vonseiten der Universität Mainz war die Beratung von Frau Dr. Nordblom vom Auslandsbüro des Historischen Seminars eine große Unterstützung. Da mein Auslandsaufenthalt mit einem fachbezogenen, jedoch selbstorganisierten Studium an der London School of Economics nicht ganz alltäglich war, bin ich dankbar, bei den vielen Rückfragen im Vorfeld eine kompetente Beratung erfahren zu haben. Außerdem bedanke ich mich bei Herrn Dr. Schlarb aus der Amerikanistik und Herrn Prof. Matheus aus dem Historischen Seminar für die Empfehlungsschreiben! Gleiches gilt für das Studienbüro Geschichte mit Herrn Dr. Frings und Frau Shahla, die meinen Studienverlaufsplan abgesegnet und die Dokumente (u.a. Transcripts) für den Bewerbungsprozess in London bereitgestellt haben.

                                                                                                                         Christian Müller

Ventnor, Isle of Wight
Broadstairs, Kent