Ich habe gleich nach dem Abitur angefangen zu studieren. Während ich schon wieder am Lernen war, haben gleich mehrere meiner Freund*innen Zeit auf anderen Kontinenten verbracht. Was sie mir erzählt haben, hat mich sehr beeindruckt und den Wunsch in mir geweckt, mein eigenes Abenteuer in der Fremde zu erleben. Erasmus+ erschien mir dafür ein passendes Programm und so habe ich mich letztes Jahr durch die Liste der möglichen Plätze gewühlt. Bald war mir klar, dass ich irgendwohin möchte, wo es anders ist. Meine Wahl fiel auf Turku in Finnland.
Diesen Sommer bin ich einige Wochen lang durch Peru gereist. Es ist ein schönes Land mit netten Menschen – aber auch ein sehr fremdes Land. Sobald ich auf die Straße trat, war ich damit konfrontiert, an einem Ort zu sein, wo ich die Regeln nicht kenne. In Finnland habe ich nun schon genauso viel Zeit verbracht und mich noch nicht einmal auf diese Weise fremd gefühlt. Die Menschen hier sind scheinbar die gleichen wie Deutschland – mit dem Unterschied, dass ich leider kein Wort von dem verstehe, was sie sagen. Aber für ein Fremdheitsgefühl hat auch das noch nicht gesorgt. Vielleicht liegt es daran, dass ich hier bisher immer warmes Wasser hatte, dass das Wetter erst jetzt so wird, wie man sich das vorstellt und ich außerdem relativ schnell Menschen kennengelernt habe. Vielleicht liegt es aber auch einfach daran, dass die Unterschiede an der Oberfläche nicht so stark ausgeprägt sind und es eine Zeit dauert, bis sie wirklich sichtbar werden – und der Kulturschock kommt. Einige Besonderheiten sind mir aber dennoch aufgefallen:
Eine Stadt am Meer
Turku hat seine schönen und weniger schönen Seiten. Der Architekturstil und die Straßen unterscheiden sich von dem, was man in Mainz vorfindet – aber nicht zu sehr. Was vor allem anders ist, ist die Umgebung. Denn Turku liegt am Meer und vor der Stadt gibt es viele Inseln, die man z.B. mit dem Wasserbus erreichen kann. Wer also von der Stadt selbst nicht begeistert ist, kommt schnell raus in die Natur und die ist durchaus beeindruckend und ungewöhnlich.
Der Dom in Turku
Waldweg auf der Insel Ruissalo
Kranksein? Aber bitte nur unter der Woche
In den ersten Tagen in Turku war das Wetter sehr schön. Dann aber kam der Regen und damit auch die typischen Begleiterscheinungen: Ohrenschmerzen, Hals- und Kopfweh. Gerne würde man sich bei solchen Symptomen vom Arzt untersuchen lassen. Wer dies aber an einem Sonntag probiert, den erwartet Böses. Leicht werden Kosten von über 100 Euro für eine Untersuchung fällig. Zwar kann man sich das Geld später z.T. von der Krankenversicherung zurückerstatten lassen, aber man muss es zunächst selbst vorstrecken. Hier zeigt sich dann schnell, dass sich die empfohlene zusätzliche Auslandskrankenversicherung lohnt.
Wer es jedoch bis montags aushält, kann dieser finanziellen Belastung entkommen. Denn die Uni bietet etwas Cooles an, was es so in Mainz nicht gibt, nämlich einen eigenen Health Service für Studierende. Sobald man die Student Membership gezahlt hat, ist dieser kostenlos. Die enthaltenen Leistungen sind relativ weit gestreut. Unter anderem sind z.B. Impfungen und psychologische Betreuung enthalten.
Der Bus hält nicht für Smombies.
Wer ahnungslos in Finnland ankommt und allein an einer Bushaltestelle wartet, kann sich wundern. Denn anders als in Deutschland halten die Busse für Menschen an der Haltestelle nicht einfach an. Hier muss man sehr aufmerksam sein und im richtigen Moment die Hand rausstrecken. Was zuerst ungewohnt ist und zu einigen Verzögerungen führen kann, ist eigentlich sehr effizient, denn so müssen die Busse nur halten, wenn es wirklich notwendig ist. Dies trägt dazu bei, dass die Busse manchmal so überpünktlich sind, dass sie einem vor der Nase wegfahren, während man noch mit einem großen Koffer im Schlepptau durch den Regen rennt.
Es ist schon ein echter Fortschritt, plötzlich eine echte, feste Fahrkarte in der Hand zu haben. Sie muss man dann nur noch vorne beim Busfahrer scannen lassen. Wirklich beeindruckend ist allerdings die Rückseite, denn diese dient gleichzeitig als Reflektor, den der Bus anstrahlen kann, wenn es dunkel ist.
Die finnischen Geldräuber oder: Warum der Semesterbeitrag doch nicht so hoch ist
Wer ins Ausland geht, sollte darauf vorbereitet sein, in den ersten Wochen viel Geld auszugeben. Man muss sich neu einrichten und vielleicht ein Starting Package bezahlen; man möchte reisen oder Museen besuchen, welche auch in Finnland nicht kostenlos sind. Manche Kosten treffen einen unvorbereitet, wie z.B. Kosten für einen Arztbesuch. Zum Glück fallen dafür andere Kosten unerwartet weg: Die öffentliche Bücherei in Turku kostet beispielsweise kein Geld.
Was mich besonders getroffen hat, war der „Semesterbeitrag“, den es hier eigentlich nicht gibt. Ich wusste zunächst nur von einem (freiwilligen) Beitrag von 55 Euro an die Student Union. Dieser Betrag liegt deutlich unter den 320 Euro, die wir in Mainz zu zahlen haben und so habe ich mich erstmal gefreut. Insgesamt komme ich aber nicht wirklich billiger weg. Denn zu den 55 Euro kommen noch mal ca. 155 Euro für 4 Monatsfahrkarten – wobei man mit dem Semesterticket meines Erachtens deutlich weiterkommt; bei 6 Monaten wären das auch schon über 200 Euro. Wenn ich hier Sport machen möchte, zahle ich für die 4 Monate 44 Euro. Ob hier bspw. den Fachschaften Geld bereitgestellt wird und inwiefern Unterstützungsangebote für Studierende vorhanden sind, weiß ich nicht. Ich habe jedenfalls gelernt, dass wir unser Geld nicht für nichts ausgeben. Denn ich bin hier zwar gerade auch als Erasmus+-Studentin freier in meiner Auswahl der Ausgaben, aber von vielen Angeboten profitiere ich doch. Und so habe ich mir hier letztlich doch zu einem ähnlichen Preis mühsam die gleichen „Produkte“ zusammengesucht, die ich an der Mainzer Uni direkt auf einmal bezahle.
Tante Emma – ganz groß!
Die Supermärkte in Turku sind gewöhnungsbedürftig. Natürlich gibt es auch Supermärkte in normaler Größe, aber dann gibt es eben auch Megamärkte, in denen man verloren gehen kann und in denen es alles gibt, was das Herz begehrt – wenn man das gewünschte Produkt denn findet. Selbstverständlich gibt es in Turku auch einen Lidl, aber der sieht neben anderen Supermärkten einfach klein aus. Die Produkte unterscheiden sich wenn überhaupt nur im Detail. Allerdings sind die Preise z.T. doch ungewohnt hoch und so würde man sich manches doch lieber aus Deutschland zuschicken lassen. Vorteilhaft ist hingegen, dass die Läden – und dies betrifft nicht nur die Supermärkte – auch sonntags geöffnet haben. Und was vegane, ökologische, laktose- und glutenfreie Produkte angeht, ist Finnland verhältnismäßig gut aufgestellt. Die Finnen sind sensibel für solche Themen.
Derartige Süßigkeiten-Boxen gibt es in den meisten finnischen Supermärkten. Wie hier zu sehen ist, wird darauf geachtet, dass auch Veganer an ihren Zucker kommen. Die altmodisch wirkenden Aufbewahrungsbehälter für Kartoffeln überraschen im sonst sehr modernen Supermarkt, sind aber sehr praktisch.