Middlebury College

Ein Auslandsjahr am Middlebury College

Der American Studies Direct Exchange

„Vermont? - Ist das nicht in Kanada?“ In fast jedem Gespräch, in dem ich erwähnte, dass ich für mein Auslandsjahr nach Middlebury, Vermont, USA gehen würde, musste ich mich einmal dieser Frage stellen. Sie hat eine gewisse Berechtigung, da Vermont vor allem für Ahornsirup, seine schöne Natur und seine linke politische Gesinnung (Bernie Sanders) bekannt ist. Vermont hat also durchaus etwas von einem „Little Canada“ der USA, zumal es auch direkt an der kanadischen Grenze liegt. Der Staat ist jedoch weitaus mehr als eine bloße Kopie Kanadas, wie ich in meinem Jahr dort erfahren durfte.

Vermont - Der Green Mountain State.

Aber der Reihe nach. Wie kommt man von Mainz aus überhaupt nach Middlebury, Vermont? Das Middlebury College in der beschaulichen 8.500 Einwohner-Kleinstadt in Neuengland ist eine Partneruniversität der JGU. Der Fachbereich Amerikanistik bietet einen Direct Exchange mit verschiedenen Partneruniversitäten in den USA und Kanada an, darunter Middlebury. Da der Austausch vom Fachbereich American Studies organisiert wird, ist es eine Teilnahmevoraussetzung, in irgendeiner Form Englisch oder American Studies zu studieren. Es können also nur Geschichtsstudierende am Austausch teilnehmen, die American Studies als Haupt- oder Nebenfach studieren oder die neben Geschichte Englisch auf Lehramt studieren. Meiner Meinung nach lohnt sich der Austausch vor allem für Bachelor / Master of Education Studierende, da man nicht als reguläre*r Austauschstudent*in nach Middlebury geht. Am Middlebury College arbeitet man als deutsche*r Fremdsprachenassistent*in (Teaching Assistant: TA). Das bedeutet man unterrichtet Deutsch und organisiert kulturelle Aktivitäten, und nebenbei ist man Teilzeitstudent*in. Auf die genaue Jobbeschreibung werde ich später noch eingehen.

Auf Middleburys Main Street.

 

Das Bewerbungsverfahren

Um nach Middlebury zu kommen, muss man ein dreistufiges Bewerbungsverfahren durchlaufen. Zunächst führt man ein englisches Interview mit studentischen Mitarbeiter*innen des Fachbereiches Amerikanistik durch. Wenn man im August des kommenden Jahres nach Middlebury gehen möchte, findet das Interview im November statt. Auf der Grundlage dieses Interviews fertigen die Mitarbeiter*innen dann ein Empfehlungsschreiben für die Professor*innen des Middlebury College an. Man muss also nicht "privat" bei einem Professor oder einer Professorin in Mainz um ein Empfehlungsschreiben bitten. In dem Interview geht es vor allem darum, sein Interesse am Auslandsjahr zu schildern und die Eignung für eine einjährige Auslandserfahrung zu beweisen (Das Programm dauert 9 Monate, es kann nicht abgekürzt werden).

Während die Mitarbeiter*innen nach dem Interview das Empfehlungsschreiben anfertigen, schreibt man seine eigentliche Bewerbung. Diese enthält ein kurzes Anschreiben, einen tabellarischen Lebenslauf, die Übersicht der bisherigen Studienleistungen und ein einseitiges Motivationsschreiben, welches das Kernstück der Bewerbung ist. Die Mitarbeiter*innen des Fachbereichs American Studies bieten den Service an, dass man seine Unterlagen Anfang Dezember einreichen kann und dann Feedback und Korrekturvorschläge erhält. Mit diesen Hilfen kann man seine Unterlagen noch einmal überarbeiten, bevor sie dann Anfang Januar von der Uni Mainz nach Middlebury gesendet werden. Insgesamt ist der Prozess bei mir sehr reibungslos verlaufen, alle Fristen waren gut einzuhalten und fanden vor der Hauptprüfungszeit statt. Dazu erhält man viele Hilfestellungen und genaue Anweisungen von der JGU.

Nachdem die Bewerbung abgeschickt ist, übernimmt das Middlebury College mit dem eigentlichen Auswahlverfahren. Alle Bewerber*innen absolvieren ein weiteres Interview, das die Grundlage für die finale Entscheidung bildet. Man bekommt die wichtigsten Fragen vorher zugeschickt, sodass man sich darauf vorbereiten kann. Das Interview beginnt auf Deutsch bevor in der Mitte auf Englisch gewechselt wird, wodurch man sich gut „warm reden“ kann. Der englische Teil des Interviews dient gleichzeitig als „Sprachnachweis“, man muss also keinen Toefl-Test o.ä. ablegen. In dem Interview ist es sehr wichtig, dass man überzeugend sein Interesse an der deutschen Kultur, Geschichte und Sprache darlegen kann. Es ist eine wichtige Aufgabe als deutsche*r TA, die amerikanischen Studierenden zum Deutschlernen zu begeistern.

Innerhalb von wenigen Wochen nach dem Interview wird man dann über die Entscheidung informiert. Wird man genommen, werden einem alle nötigen Unterlagen zugeschickt, um ein Visum für die USA zu beantragen. Man sollte unbedingt rechtzeitig schauen, wie lange der eigene Reisepass noch gültig ist, da man den Pass einreichen muss, um das Visum zu beantragen. Es reicht dabei nicht, wenn der Pass zum Zeitpunkt der Visumsbeantragung gültig ist; der Pass muss bis mindestens 6 Monate nach Ende des USA-Aufhaltes gültig sein! Wenn man schon einmal in den USA war (auch als Tourist), ist es sehr einfach, ein Visum zu beantragen. Man muss einige Fragebögen ausfüllen, wobei man die Fragen im Optimalfall alle mit 'nein' beantwortet, z.B. "Sind Sie ein Drogendealer?", "Waren Sie in der Vergangenheit im organisierten Verbrechen aktiv?", "Planen Sie, in den USA einen Völkermord zu begehen?" (kein Scherz ...) Dann kann man alle Unterlagen per Post einschicken. Einige Tage später bekommt man den Reisepass mit Visum zurück. Ich hatte ein bisschen Angst davor, meinen neuen (!) Reisepass mit der Post herumzuschicken, aber alles hat reibungslos geklappt. War man noch nie in den USA, muss man persönlich zu einem Interview im Konsulat Frankfurt (oder Berlin oder München) vorstellig werden. Aus Erfahrungsberichten habe ich gehört, dass dieses Interview auch kein großes Problem darstellt, es herrscht nur eine sehr ernste Atmosphäre …

Zusätzlich zur Bewerbung im Direct Exchange lohnt es sich auch, sich für ein Fulbright-Reisestipendium zu bewerben. Fulbright ist ein Austauschprogramm, das bilaterale Austauschprogramme in die und aus den USA fördert. Die meisten Fulbright-Angebote beziehen sich auf Master-Studierende, das Reisestipendium ist allerdings extra dafür da, einen Zuschuss zu einem Austauschprogramm zwischen Partneruniversitäten zu geben. Das bedeutet, dass man in einem Austauschprogramm angenommen sein muss, um ein Reisestipendium zu erhalten. Über das Reisestipendium erhält man eine Einmalzahlung von 2.000€ für das Auslandsjahr, und man kann an einem Vorbereitungsseminar in Berlin (oder online) teilnehmen. Für mich hat sich das Seminar besonders gelohnt, weil ich zufälligerweise einen Studenten von der Universität Potsdam kennengelernt habe, der im selben Zeitraum wie ich nach Middlebury gefahren ist.

 

Organisatorisches und Orientierungsphase

Aber warum sollte man dieses ganze Verfahren durchlaufen, anstatt sich selbst ein Auslandsjahr in den USA zu organisieren? Eine wichtige Antwort ist Geld. Wenn man als TA nach Middlebury geht, hat man keine Geldsorgen; im Gegenteil, man verdient Geld. Das College stellt eine Unterkunft, man kann dreimal am Tag in den Mensen essen (das Essen hat eine sehr gute Qualität!), die Krankenversicherung wird vom College bezahlt ebenso wie Hin- und Rückflug in die und aus den USA und man muss keine Studiengebühren für die Kurse bezahlen, die man als Student*in belegt. Obendrauf erhält man ein gutes Gehalt als TA. Es gibt also keine laufenden Kosten, aber ein stetiges Einkommen. So kann man sich seine Reisen in den USA und Kanada bestens finanzieren, und muss nicht immer aufs Geld schauen.

Die 10 Sprachassistent*innen 2022/23.

Obendrein organisiert das Middlebury College in den ersten zwei Wochen des Auslandsjahres eine Orientierungsphase für alle neuen TAs. Insgesamt gibt es 10 TAs, die normalerweise alle Muttersprachler sind (Die anderen TAs kommen aus: Französisch – Frankreich, Portugiesisch – Portugal oder Brasilien, Arabisch – Jordanien, Chinesich – USA, Italienisch – Italien, Spanisch – 2 TAs, Spanien und Lateinamerika, Russisch – Kasachstan, Japanisch – Japan). In den ersten zwei Wochen hat man eine hervorragende Gelegenheit, diese internationale Truppe kennenzulernen. In meinem Fall hat sich hier eine tolle Freundesgruppe gebildet, die über das ganze Jahr hinweg bestehen geblieben ist! Das College organisiert einige kleinere Ausflüge in der Umgebung, und man kann sich an die USA gewöhnen und dabei seinen Jetlag abbauen, bevor das eigentliche Semester losgeht. Außerdem unterstützt das College einen dabei, organisatorische Dinge zu erledigen, wie zum Beispiel eine Arbeitserlaubnis in den USA zu erhalten. Es gibt nur zwei Dinge, um die man sich selbst kümmern muss: Man muss ein amerikanisches Bankkonto eröffnen, damit man sein Gehalt überwiesen bekommen kann. In Middlebury gibt es jedoch mehrere Banken, bei denen man hervorragend beraten wird, so dass dies keine große Hürde darstellt. Außerdem muss man sich überlegen, ob man eine amerikanische Telefonnummer haben will. Man kann in Middlebury gut ohne eine amerikanische Nummer auskommen, diese ist aber praktisch für Dinge wie Online-Banking und -Zahlung oder die Navigation auf Reisen. Ich habe mir eine amerikanische E-Sim-Karte geholt. So konnte ich die amerikanische und die deutsche Sim gleichzeitig benutzen und beispielweise Whatsapp über die deutsche Nummer behalten, während Anrufe über die amerikanische Nummer laufen. Auf der Internetseite „Redpocket“ gibt es einige gute E-Sim-Deals, die fast alle TAs benutzt haben.

 

Arbeit als TA

Wie bereits erwähnt, kommt man als deutsche*r TA (Teaching Assistant) nach Middlebury. In dieser Position hat man eine interessante Doppelposition inne. Einerseits ist man eine Lehrperson in eingeschränkter Funktion, andererseits ist man Student*in und darf Kurse belegen.

Als TA hat man besonders drei Aufgaben: Erstens hospitiert und unterrichtet man jeweils einmal pro Woche in den Deutsch-Anfängerkursen. Die Anleitung durch das deutsche Department am College ist dabei hervorragend. Als Geschichts- und Englischstudent hatte ich am Anfang des Jahres logischerweise wenig Ahnung davon, wie man Deutsch als Fremdsprache unterrichtet. Hierfür gibt es aber ein gutes System. Man entwirft jeden Montag einen Plan für die eigene Stunde am Mittwoch und schickt diesen abends an die Professor*innen. Dienstags hospitiert man im Kurs, kann sich einige Methoden und den neuesten Lernfortschritt der Studierenden anschauen, und erhält Feedback für den eigenen Plan, sodass man ihn bis Mittwoch noch einmal überarbeiten kann. Mit diesem System habe ich innerhalb von kürzester Zeit Fortschritte in meinen Unterrichtsplanungsfähigkeiten gesehen. Meiner Meinung nach ist diese Situation perfekt für alle Lehramtsstudierenden, da man endlich die praktische Erfahrung erhält, die im Studium oft fehlt. Man muss selber die Unterrichtspläne erstellen, man erhält Feedback von erfahrenen Professor*innen und man steht selbst vor dem Kurs und leitet den Unterricht, wodurch man sich daran gewöhnt, vor Leuten zu stehen und zu reden. Außerdem sind die Methoden im Fremdsprachenunterricht oft ähnlich, letztendlich ist es nicht so wichtig, ob man nun Deutsch oder Englisch unterrichtet.

Die zweite Aufgabe ist der sogenannte Sprachtisch. Hier isst man jeden Mittag zusammen mit Deutsch-Studierenden im ersten und zweiten Jahr. Man wird dabei von Kellnern bedient, die fortgeschrittene Deutsch-Studierende sind, sodass ein deutschsprachiges Umfeld geschaffen wird, in dem die Studierenden außerhalb des Unterrichts die Sprache anwenden können. Am Anfang des Jahres ist der Sprachtisch eine große Herausforderung, da das Vokabular der Studierenden logischerweise sehr begrenzt ist und sich die Unterhaltungen oft auf „Hallo, wie geht es dir?“ beschränken. Im Laufe des Jahres wird es aber immer interessanter, wenn die Studierenden mehr und mehr Deutsch lernen, und man sie besser und besser kennenlernt. Die Unterhaltungen werden dadurch immer spannender, und es ist faszinierend zu sehen, wie groß die Lernfortschritte innerhalb von einem Jahr sein können. Außerdem führt der Sprachtisch dazu, dass die eigenen Smalltalk-Skills durch die Decke gehen, selbst wenn man wie ich von Natur aus kein geborener Smalltalker ist.

Drittens organisiert man das Leben im Deutschhaus, in dem man untergebracht ist. Als deutsche*r TA wohnt man dort zusammen mit fünf fortgeschrittenen Deutsch-Studierenden, wie in einer WG. In dem Haus soll möglichst viel Deutsch gesprochen werden, damit die Studierenden außerhalb des Unterrichts üben können. Außerdem organisiert man mit dem Haus regelmäßige Events. Jeden Freitag gibt es eine deutsche Kaffeestunde, zu der auch die Professor*innen kommen, und für die man (oder die Studierenden aus dem Haus) backt. Ansonsten ist man in der Gestaltung der Events ziemlich frei: Ich habe einige Film- und Spielabende organisiert, aber auch ein Event über deutschen Slang, einen Kochabend und ein Pub-Quiz im Stil des Q-Kaffs.

Als deutsche*r TA wohnt man im Deutschhaus auf dem Campus.

Wenn man diese Absätze liest, kann es so klingen, als würde man als TA ständig nur deutsch sprechen, was ja eigentlich nicht das Ziel bei einem Auslandsjahr ist. Tatsächlich wird man in Middlebury mehr mit der deutschen Sprache konfrontiert, als wenn man als „normale*r Austauschstudent*in“ in die USA geht. Ich habe jedoch vor allem Englisch gesprochen, da meine besten Freund*innen in Middlebury alle englisch-sprachig waren, und man auch im Deutschunterricht am Anfang noch viel Englisch spricht, weil man oft kulturelle Themen erklärt (Schule, Universität, Feiertage, Einkaufen etc. in Deutschland). Zudem fand ich es sehr bereichernd, sich damit zu beschäftigen, wie die deutsche Sprache für Nicht-Muttersprachler klingt, wie viele Schwierigkeiten es gibt, die man sich nie bewusst macht, und welche Unterschiede und Gemeinsamkeiten es zwischen Deutsch und Englisch gibt. Deutsch ist definitiv eine sehr pragmatische Sprache. Beispiel gefällig? Tennisschläger, Tischtennisschläger, Baseballschläger, Golfschläger – tennis racket, ping pong paddle, baseball bat, golf club. Über solche Dinge würde man sonst nie nachdenken! Außerdem hilft einem die Arbeit als TA, ein wenig aus der internationalen Bubble zu entkommen. Viele haben das bestimmt schon über ein Auslandsjahr gehört: Wenn man ins Ausland geht, ist es sehr schwer, sich mit den „echten“ Einheimischen anzufreunden, man lernt oft vor allem andere internationale Studierende kennen. Zugegeben, meine besten Freunde waren mit den TAs auch fast alle international, aber durch die Arbeit als TA habe ich auch viele Amerikaner kennengelernt. Dadurch, dass man kein richtiger Professor ist und die Studierenden nicht benotet, ist es einfacher und unproblematischer, sich mit ihnen anzufreunden. Außerdem verbringt man über das Jahr hinweg beim Sprachtisch, im Unterricht und bei Events sehr viel Zeit mit den Studierenden, und kann sie gut kennenlernen. So bin ich zum Beispiel mit einigen Studierenden zum Wandern und Eisfischen gefahren – was man in Vermont halt so macht.

Eisfischen am Vermont Ice Fishing Day.

Das Liberal Arts System

Middlebury ist ein Liberal Arts College, was bedeutet, dass die College-Struktur sehr anders als an deutschen Universitäten ist. Das College hat nur um die 3.000 Studierende, die alle sogenannte "Undergraduates", also Bachelor-Studierende, sind. Innerhalb von vier Jahren erwerben diese ihren Bachelor-Abschluss. Das Studium an einem Liberal Arts College lässt sich gut mit der Oberstufe an deutschen Schulen vergleichen. Die Studierenden legen zwar ihre Schwerpunkte fest (Haupt- und Nebenfach), müssen aber gleichzeitig mit zusätzlichen Kursen viele verschiedene Bereiche (Sprachen, Naturwissenschaft, Geschichte, Politik, Sport etc.) abdecken. Pro Semester haben die Studierenden nur vier Kurse, die dafür aber viel intensiver sind und häufiger pro Woche stattfinden als die Kurse in Mainz. Der Deutsch-Anfängerkurs findet so zum Beispiel jeden Tag statt. Dadurch, dass das College insgesamt klein ist, sind auch die einzelnen Kurse klein, und dadurch, dass sich die Kurse oft treffen, kennen die Professoren in der Regel alle Studierenden. So entsteht in Middlebury eine sehr familiäre Atmosphäre und eine enge Gemeinschaft. Bereits nach einem Jahr hatte ich das Gefühl, gut die Hälfte aller Middlebury-Studierenden zumindest vom Sehen zu kennen, und ich bin eigentlich nie in die Mensa gegangen, ohne jemanden zu treffen.

Der College Campus im Sommer ...
... und im Winter.

Das akademische Jahr besteht aus zwei Semestern (dem Herbstsemester von September bis Dezember und dem Frühlingssemester von Februar bis Mai) und dem sogenannten J-Term (January Term), der aus vier Wochen im Januar besteht. Im J-Term belegen die Studierenden nur einen Kurs, diesen dafür aber sehr intensiv. Ein solcher Kurs, ist zum Beispiel der Deutsch-Kurs, in dem man dann auch als TA mehr unterrichten muss. Insgesamt ist die Arbeitslast für alle Studierenden während der Semester extrem hoch, da es immer verpflichtende Hausaufgaben gibt und die „Hausarbeiten“ (meistens kleinere Essays) im Semester geschrieben werden.

Als TA darf man im Herbst- und Frühlingssemester einen oder zwei Kurse belegen, während man 20 Stunden pro Woche arbeitet. Im J-Term arbeitet man 40 Stunden pro Woche, und es wird empfohlen, daneben keinen Kurs zu belegen. Ich habe in den beiden Semestern jeweils einen Kurs belegt und war mit dieser Arbeitslast sehr zufrieden. Da der Sprachunterricht in Middlebury ausgezeichnet ist, würde ich jedem empfehlen, in Middlebury einen Sprachkurs zu nehmen. Ich habe so zum Beispiel im Frühlingssemester meine Französisch-Kenntnisse aufgebessert und konnte am Ende des Semesters deutlich besser sprechen.

 

Geschichte studieren in Middlebury

Natürlich habe ich aber auch einen Geschichtskurs belegt, um das deutsche mit dem amerikanischen System vergleichen zu können. Logischerweise sind die Themenschwerpunkte der angebotenen Kurse sehr anders als in Mainz. Neben den zahlreichen Kursen zu amerikanischer Geschichte gab es einen großen Schwerpunkt auf China und Südostasien, den ich persönlich sehr spannend fand, da diese Weltregion in Mainz meiner Erfahrung nach eher ein Randthema ist. Generell gab es viele verschiedene Kurse zu internationaler Geschichte, die sehr interessant klangen. Ich habe mich für einen Kurs über die amerikanisch-chinesischen Beziehungen in der Neuesten Geschichte entschieden.

Insgesamt ist mir dabei aufgefallen, dass der Kurs in Middlebury weit weniger an Methoden orientiert war als die Geschichtsseminare, die ich bisher an der JGU belegt habe. Für mich war es oft der Fall, dass man sich das ZDF-Wissen (Zahlen, Daten, Fakten) außerhalb des Kurses selbst anlesen musste, während im Kurs eher Themen wie das Schreiben einer Hausarbeit, Quellenanalyse oder der Umgang mit wissenschaftlichen Hilfsmitteln erläutert wurden. In Middlebury stand dagegen das ZDF-Wissen auch im Seminar häufig im Vordergrund. So enthielt das Seminar beispielsweise immer wieder kleine Vorlesungselemente. Es gab zwar auch viele Lektüren, diese wurden allerdings immer eingehend im Seminar besprochen, da man jede zweite Woche als Hausaufgabe einen kurzen Antworttext über die wichtigsten Inhalte der Lektüren verfassen musste. Das unterschiedliche Vorgehen erklärte sich für mich, als ich meine erste „Hausarbeit“ schreiben musste. Für diese hatte ich nur zwei Wochen während des Semesters Zeit und musste nur zwei „Quellen“ (eigentlich Sekundärliteratur) verwenden. Der Fokus lag dabei sehr stark auf dem Argumentationsstrang, und weniger auf der Methodik wie zum Beispiel der Quellenanalyse.

Ich kann es also nur empfehlen, in Middlebury einen Geschichtskurs zu belegen, da es eine sehr andere Erfahrung als in Mainz ist. Außerdem kann man sich viel neues Wissen zu spannenden Themenbereichen aneignen.

 

Leben in Middlebury und Vermont

Doch genug von Studium und Arbeit. Wie bereits erwähnt hat man mit 20 Stunden Arbeit pro Woche und einem Kurs als Student eine gute Arbeitslast. Daneben bleibt noch genug Zeit, um die Region zu erkunden. Middlebury selbst ist eine typische amerikanische Kleinstadt mit zirka 8.000 Einwohnern. Es besteht im Prinzip aus einer Hauptstraße (die auf einer Brücke über einen Wasserfall führt!) und mehreren Seitenstraßen. Dennoch findet man dort alles, was man braucht: Supermärkte, ein Kino, Banken und ein paar schöne Läden (besonders für Second-Hand-Shopping). Das Leben spielt sich aber vor allem auf dem Campus ab: Hier gibt es ein scheinbar unendliches Angebot an kulturellen Aktivitäten wie Theater, Sportveranstaltungen, Konzerte, Tanzvorführungen etc. Auf dem Campus ist eigentlich immer etwas los, oft finden mehrere Aktivitäten gleichzeitig statt. Zu den Highlights gehören „Nocturne“, der „Winter Carnival“ und der „Dunmore Day“. Bei „Nocturne“ gibt es eine Nacht lang überall auf dem Campus Musik von Studierenden-Bands, Kunstinstallationen, kleine Theateraufführungen und vieles mehr. Der „Winter Carnival“ besteht aus einem Feuerwerk, einem großen Ball im Stile einer High-School Prom und verschiedenen Wintersportevents, wie einer Eiskunstlaufshow und einem Ski-Rennen. Am „Dunmore Day“ stellt das College Busse zu Verfügung (die klassischen gelben amerikanischen Schulbusse), die einen zum nahe gelegenen Dunmore-See bringen. Dort fährt dann ein Ben&Jerry’s-Eiswagen vor und verteilt gratis Eis (Ben&Jerry’s kommt aus Vermont!).

Brücke (mit Main Street) über Middleburys Wasserfall.

Das Einzige, was es in Middlebury nicht wirklich gibt, ist eine große Club- und Feierszene. Für etwas größere öffentliche Feiern hat man die Wahl zwischen einer Bar in der Stadt oder dem designierten Party-Haus „The Mill“ auf dem Campus, in dem immer wieder coole Partys stattfinden. Mein persönliches Highlight war die „Purple Jesus“-Party, auf der der ominöse „Purple Jesus-Drink“ serviert wird, über dessen Inhalt man sich lieber nicht zu viele Gedanken macht. Mit zwei „Purple Jesus“ intus ließ es sich dann jedoch sehr gut tanzen! Abgesehen von diesen Feiern gibt es vor allem eine Hausparty-Kultur. So haben wir mit den Sprach-TAs oft unsere eigenen Feiern veranstaltet, meistens im Deutschhaus, da dieses einen ziemlich coolen Partykeller aufweist. Insgesamt war ich von der Partykultur in Middlebury etwas überrascht: Die meisten Partys und besonders das Vorglühen („Pregame“) beginnen extrem früh (ca. 18/19 Uhr) und enden dafür aber auch relativ früh (ca. 1 Uhr). Um nach europäischen Zeiten feiern zu können, muss man die richtigen Leute treffen oder seine eigenen Partys veranstalten …

Vermont ist ein sehr ländlicher Staat. Burlington ist mit 40.000 Einwohnern die größte Stadt und mit seiner Fußgängerzone „Church Street“ und dem Lake Champlain ein gutes Ziel für Tagesausflüge. Mehrmals pro Tag fährt ein Bus, für den man nicht bezahlen muss, die knappe Stunde von Middlebury nach Burlington. Ansonsten sind große Städte in Vermont eine Fehlanzeige. Die Staatshauptstadt Montpelier ist mit knapp 8.000 Einwohnern die kleinste Staatshauptstadt der USA.

Die Fußgängerzone "Church Street" in Burlington.
Der Lake Champlain ist Vermonts größter See.

Vermont ist deshalb vor allem etwas für Outdoor-Fans. Besonders ist hierbei, dass die Jahreszeiten in Vermont sehr intensiv sind: Am schönsten ist Vermont vermutlich im Herbst, wenn sich die Bäume im „Indian Summer“ (der Name ist etwas in die Jahre gekommen, die meisten Amerikaner bevorzugen alternative Begriffe wie „Second Summer“) orange, rot, grün und braun färben. Es ist die beste Zeit für Wanderungen, wie zum Beispiel am nahen Snake Mountain oder Rattlesnake Trail, von denen sich wunderbare Blicke über Vermont bieten (ich habe keine Ahnung, warum alle Wanderstrecken nach Schlangen benannt werden, ich habe keine gesehen).

Middlebury College im Herbst.

Im Winter startet die Ski-Saison in Vermont. Die Green Mountains sind eines der beliebtesten Ski-Gebiete der Ostküste, und vom College aus gibt es freie Shuttle-Busse zum nahegelegenen Ski-Resort „Snow Bowl“. Die dafür nötige Ausrüstung kann man sich komplett beim College und im Ski-Resort leihen, es gibt sowohl Abfahrts- als auch Langlaufski. Da ich selbst kein großer Skifahrer bin, war mein persönliches Winterhighlight aber das Eisfischen mit Studierenden. Am State Ice Fishing Day kann in Vermont jede Person eisfischen gehen, man braucht dafür keinen Angelschein. Ich bin mit ein paar Deutsch-Studierenden zu einem zugefrorenen See gefahren, auf dem uns in kleinen Workshops die wichtigsten Techniken erklärt wurden. Von der Bedienung der Angel über das Bohren von Löchern bis zur Unterscheidung von Fischen war alles dabei. Trotz dieser Anleitungen haben wir aber nur einen einzigen winzigen Fisch gefangen … Ein weiteres besonderes Wintererlebnis waren ein paar Tage, die ich mit den anderen TAs in einer Selbstversorgerhütte in der Nähe von Middlebury verbracht habe. Die Hütte befindet sich in der Nähe eines Langlaufgebiets, sodass man von dort aus gut Langlauftouren und Schneeschuhwanderungen unternehmen kann. Bevor man nach Vermont geht, sollte man wissen, dass es im Winter zum Teil wirklich kalt werden kann. Die extremste Temperatur, die ich erlebt habe, waren -30 Grad! So kalt wurde es zum Glück aber nur an wenigen Tagen, meistens pendelte sich die Temperatur zwischen 0 und -10 Grad ein.

Selbstversorgerhütte in der Nähe von Middlebury.
Die Green Mountains in Vermont sind eines der beliebtesten Skigebiete der amerikanischen Ostküste.

Während die ersten schneebedeckten Wintermonate in Vermont sehr schön sind, zieht sich der Winter gegen Ende ein bisschen lange. Erst im April wird es wirklich Frühling. Dafür ist der Frühling dann aber umso schöner: Wenn endlich wieder alles aufblüht, versteht man, warum Vermont auch „Green Mountain State“ genannt wird. Der Frühling ist eine gute Zeit, um Sterne zu schauen (auf dem Campus gibt es ein Observatorium), da es in Vermont nur sehr wenig Lichtverschmutzung gibt. Zudem kann man erste Versuche unternehmen, in den zahlreichen Seen schwimmen zu gehen (so zum Beispiel am „Dunmore Day“). Das Wasser ist zu dieser Zeit allerdings noch ziemlich kalt!

 

Ausflüge in den Rest der USA und nach Kanada 

Wie man sieht, gibt es bereits in Middlebury und Vermont einiges zu tun. Wenn man aber doch einmal das Bedürfnis nach einer großen Stadt hat, lässt sich auch hier Abhilfe schaffen. Seit 2021 gibt es eine sehr angenehme direkte Zugverbindung von Middlebury nach New York. Der Zug ist zwar ein bisschen langsam und braucht 7 Stunden, für amerikanische Verhältnisse ist das aber nicht wirklich lang. Ansonsten gibt es Greyhound-Verbindungen nach New York und Boston. Mit einem Zwischenstopp in Albany gelangt man in ungefähr 8 Stunden in beide Städte. Es gibt auch eine Greyhound-Verbindung nach Montreal, diese habe ich aber selbst nicht ausprobiert und bin mir nicht ganz sicher, wie lange es wirklich dauert. Für alle Reisen lässt sich festhalten, dass das Auto immer deutlich schneller ist. Montreal ist mit dem Auto knapp 2 ½ Stunden entfernt, Boston 3 ½ Stunden und New York 5 ½ Stunden. Die höchste Priorität nach der Ankunft in Middlebury ist es also, Freunde mit einem Auto zu finden! Dadurch, dass man in Middlebury und besonders als TA schnell Leute kennenlernt, ist das aber kein großes Problem.

Von Middlebury aus gibt es eine direkte Zugverbindung nach New York.
Montreal (Kanada) ist die nächstgelegene Großstadt. Mit dem Auto sind es ca. 2 1/2 Stunden.

Während des akademischen Jahres hat man zwar keine langen Semesterferien, dafür aber immer wieder kurze Ferien. An Thanksgiving gibt es eine Woche frei, über Weihnachten hat man knapp 2 ½ Wochen frei, zwischen J-Term und Frühlingssemester gibt es eine Woche Ferien im Februar und Ende März bekommt man eine Woche Frühlingsferien. Eine wirklich lange freie Zeit erhält man am Ende des Programms: Nachdem das Visum mit dem Semesterende im Mai ausläuft, erhält man eine 30-tägige "Grace Period", während der man noch in den USA bleiben darf. Mit allen diesen freien Tagen konnte ich die oben genannten Reiseziele (und mehr) gut abdecken. Da dieser Bericht schon sehr lang ist, hänge ich einfach ein paar Bilder an, anstatt von allen Dingen im Einzelnen zu erzählen 🙂 Montreal kann man zudem (besonders mit dem Auto) entspannt als Wochenendtrip schaffen. Das Gute daran ist, dass man als EU-Bürger auch keine zusätzlichen Dokumente braucht, um nach Kanada einzureisen. Der Reisepass mit Visum für die USA sowie ein Begleitdokument vom College genügen völlig! Man darf allerdings unter keinen Umständen das Begleitdokument vergessen, sonst gestaltet sich die Rückreise in die USA extrem schwierig, wie ich an eigenem Leib erfahren musste: Auf der Rückfahrt von Montreal hatte eine Freundin von mir ihr Visumsdokument vergessen, was zu einer intensiven Befragung führte, aus der wir nur dank der Fürsprache eines mit uns reisenden Professors entkommen konnten...

Spendenlauf in Washington D.C. an Thanksgiving.

Fazit

Wie in den ersten Abschnitten dargelegt, ist ein bisschen organisatorischer Aufwand damit verbunden, sich für Middlebury zu bewerben. Kurz vor meinem Abflug in die USA war ich an einem Punkt angekommen, an dem ich mich gefragt habe, ob es das alles wirklich wert ist. Meine Antwort ist auf jeden Fall „ja“ – wenn man sich ein paar Dinge vorher bewusst macht. In Middlebury steht die Arbeit als TA im Vordergrund, man ist mehr TA als Student*in. Als deutsche*r TA setzt man sich notwendigerweise mehr mit Deutschland und der deutschen Sprache auseinander, als man es vielleicht sonst in einem Auslandsjahr machen würde. Außerdem sind das College und die Stadt sehr klein, was manchmal dazu führt, dass man sich ein bisschen wie in einer „Bubble“ fühlt und viel von denselben Menschen umgeben ist.

Alle diese „Nachteile“ bieten aber gleichzeitig auch Vorteile: Mir hat die Arbeit als deutscher TA unheimlich viel Spaß gemacht, da man auf diese Weise in der besonderen Situation ist, gleichzeitig viel über die USA und die Studierenden zu lernen, aber auch über sich selbst und die deutsche Kultur und Sprache. Außerdem bietet das Middlebury College durch seine überschaubare Größe eine unschlagbare Gemeinschaft, in der ich wahnsinnig viele nette Menschen aus der ganzen Welt kennenlernen durfte. Darüber hinaus ist es unglaublich interessant, Middlebury und Vermont zu erkunden, besonders wenn man sich für Outdoor-Aktivitäten begeistern kann. Und wenn man noch mehr sehen möchte, hat man genug Zeit und Geld, um in Ruhe den Rest der USA und "Big Canada" zu erkunden.

Kilian Jorde

 

Nützliche Links

Informationen zum American Direct Exchange der JGU: http://www.obama-institute.com/exchange-programs/

Homepage des Middlebury College: https://www.middlebury.edu/college/

Middlebury College German Department: https://www.middlebury.edu/college/academics/german

Fulbright Reisestipendium: https://www.fulbright.de/programs-for-germans/studierende-und-graduierte/reisestipendien

Redpocket für Handyverträge in den USA: https://www.redpocket.com/

Buslinien zwischen Burlington und Middlebury: https://www.trivalleytransit.org/addison_routes/burlington-link/

Züge zwischen Middlebury und New York: https://www.amtrak.com/home#