Italienisch-deutsche Tagung
1.-3. Dezember 2022, Johannes-Gutenberg-Universität Mainz
In den Jahren zwischen dem „Anschluss“ Österreichs am 12. März 1938 und der Kapitulation des Deutschen Reiches am 8. Mai 1945 konnte die deutsche Wirtschaft nur dank des Beitrags ausländischer Arbeitskräfte – Männer wie Frauen – fortbestehen. Seit Ulrich Herberts meisterhafter Studie Fremdarbeiter. Politik und Praxis des ‚Ausländer-Einsatzes‘ in der Kriegswirtschaft des Dritten Reiches (1985) und in Folge der internationalen Debatte zur Zwangsarbeiterentschädigung der späten 1990er Jahre ist das Thema ein fortlaufender Gegenstand auch in der deutschen Geschichtswissenschaft. Im Vordergrund stehen die quantitative Dimension des Arbeitskräfteeinsatzes, die Ausbeutung und Entrechtung der „Fremdarbeiter“ sowie die Rekrutierung sogenannter Ostarbeiterinnen und Ostarbeiter aus den von der Wehrmacht ab Juni 1941 besetzten Gebieten der UdSSR. Der Fall der italienischen Arbeitskräfte erlaubt es, bisher rekonstruierte Bilder zu erweitern und komplexer zu gestalten:
Von 1938 bis 1941 bedeutete die Tatsache, dass Mussolinis Italien der wichtigste Verbündete Deutschlands war, dass große Mengen italienischer Arbeitskräfte in der deutschen Wirtschaft eingesetzt werden konnten, 30.-50.000 Saisonarbeiter*innen jährlich in der Landwirtschaft, Zehntausende auf Baustellen, darunter 8.000 für den Bau des VW Wolfsburg und der Hermann-Göring-Werke Salzgitter, weitere Zehntausende in Zechen und Fabriken einschließlich kriegswichtiger Betriebe. Ende 1940 bat Berlin Rom um 250.000 Facharbeiter, die die Deutschen ersetzen sollten, die für das „Unternehmen Barbarossa“, den Überfall auf die UdSSR, in die Wehrmacht eingezogen werden sollten.
Die Umwandlung des Blitzkriegs an der Ostfront in einen Abnutzungskrieg zwang die nationalsozialistische Führung, die Steuerung der Arbeitskräfte durch die Schaffung des Amtes eines Generalbevollmächtigten für den Arbeitseinsatzes zu zentralisieren, um den Abzug von Arbeitskräften in allen besetzten Gebieten und insbesondere im Osten zu forcieren.
In der zweiten Hälfte des Jahres 1943 rückte Italien erneut in den Vordergrund und blieb bis zum Ende des Krieges, angesichts des fortschreitenden Rückzugs der Ostfront in Verbindung mit der Befreiung Frankreichs durch die Alliierten im Jahr 1944, ein zentrales Arbeitskräftereservoir. Mit der deutschen Besetzung eines großen Teils der Halbinsel fielen nach dem 8. September 1943 650.000 italienische Soldaten in deutsche Hände. Zudem erhielten die Behörden Zugriff auf etwa 100.000 weitere Arbeitskräfte aus den von der Wehrmacht besetzten und vom Salò-Kollaborationsregime regierten norditalienischen Gebieten. Sie stellten für die deutschen Machthaber die letzte Chance dar, Arbeitskräfte (zwangs-)zu rekrutieren.
Die Rekonstruktion dieser komplexen Rahmen- und konkreten Einsatzbedingungen der italienischen Arbeitskräfte im Deutschen Reich ist Gegenstand jahrelanger Arbeit der Forschungsgruppe der Associazione Nazionale Reduci dalla Prigionia, dall'Internamento alla Guerra di liberazione e loro familiari (ANRP) unter der Leitung von Brunello Mantelli, die durch finanzielle Förderung des Deutsch-Italienischen Zukunftsfonds ermöglicht wurde. Auf der Tagung werden wichtige Ergebnisse der Forschungsgruppe sowie die von ihr entwickelten digitalen Formate zur Dokumentation und Präsentation vorgestellt und mit deutschen Kolleg*innen diskutiert.
Organisation: Freia Anders, Brunello Mantelli
Ort: Fakultätssaal FB 07, Philosophicum
Programm:
Tagungssprache ist weitgehend Deutsch; die Übersetzung von Vortragsabstracts vom Deutschen ins Italienische hat Francesco Corniani vorgenommen. Die deutsche Version der Online-Ausstellung kann während der Tagung im Philosophicum II, 1. Etage, besichtigt werden.
Die Tagung wird unterstützt von der Zeitschrift sozial.geschichte online, vom Deutsch-Italienischen Zukunftsfond, der Landeszentrale für Politische Bildung Rheinland-Pfalz und der Rosa-Luxemburg-Stiftung Rheinland-Pfalz.
Die Veranstaltung findet hybrid statt. Wenn Sie teilnehmen möchten, vor Ort oder online, wenden Sie sich bitte an: Freia Anders, anders@uni-mainz.de