Armeniergräuel 1915/16: Militär II

Nur die wenigsten deutsche Offiziere werden heute rückblickend direkt für Gewalt an Armeniern verantwortlich gemacht. Einen solchen Ausnahmefall stellt der Offizier Eberhard Graf Wolffskeel von Reichenberg dar, der die Beschießung des Armenierviertels in Urfa leitete.

Armenieraufstand in Urfa

Handzeichnung des armenischen Viertels von Urfa von Eberhard Graf Wolffskeel von Reichenberg. Handschrift aus seinem Nachlass im Bundesarchiv-Militärarchiv Freiburg, N 138-6.
Handzeichnung des armenischen Viertels von Urfa von Eberhard Graf
Wolffskeel von Reichenberg. Handschrift aus seinem Nachlass im
Bundesarchiv-Militärarchiv Freiburg, N 138-6.

Als Ende September 1915 in Urfa ein armenischer Aufstand ausbrach, befehligte der deutsche Offizier Eberhard Graf Wolffskeel von Reichenberg die gewaltsame Niederschlagung des Aufstandes. Diesen Ereignissen waren bereits zuvor Unruhen vorausgegangen, die sich am Anblick von Deportationszügen u.a. aus Erzerum und den Nachrichten vom Aufstand in Van entzündeten. Den Auftakt zum Aufstand bildete die Hausdurchsuchung eines Armeniers im August 1915, der sich zur Wehr setzte und drei türkische Gendarmen erschoss. Daraufhin kam es seitens der muslimischen Bevölkerung zu einer grausamen Vergeltungsaktion, der ca. 200 Armenier zum Opfer fielen. Am 30. September schließlich verbarrikadierten sich Armenier in ihrem Stadtviertel. Der Aufstand dauerte 16 Tage. Der kommandierende Offizier Wolffskeel, der auf 6.000 zusätzliche Soldaten zurückgreifen konnte, ließ Artilleriefeuer einsetzen, um das armenische Viertel zu bombardieren. Am 13. Oktober wurde die armenische Kirche unter Beschuss genommen, in der sich das Zentrum der armenischen Widerstandskämpfer befand. Wolffskeel und die türkische Armee hatten Erfolg, sodass der organisierte Aufstand zusammenbrach.

Die Armenier, die aktiv am Aufstand teilgenommen hatten, begingen Selbstmord oder wurden von osmanischen Soldaten erschossen. Die armenischen Frauen und Kinder wurden zusammengetrieben und deportiert, wobei ein Großteil auf dem langen Marsch aufgrund von Hunger, Wetterwidrigkeiten oder Gewalt durch die begleitenden Gendarmen starb und nicht am Zielort Ras-ul-Ain ankam. Im Jahre 1916 wurden aus dem Deportationslager bei Rakka wiederum ca. 2500 Armenier, zumeist Ärzte, Kaufleute, Handwerker in Urfa angesiedelt, da seit der gewaltsamen Niederschlagung des Aufstandes Vertreter dieser Berufsgruppen fehlten und somit z.B. ein ärztlicher Notstand in der Stadt herrschte.

Divergierende Berichterstattung über die Ereignisse in Urfa

„Hier haben wir nun diese Tage die genommene Stadt gründlich nach versteckten aufständischen Armeniern und Waffen durchsucht …“. . Handschrift aus dem Nachlass Wolffskeel von Reichenbergs im Bundesarchiv-Militärarchiv Freiburg, N 138-6.
„Hier haben wir nun diese Tage die genommene Stadt gründlich nach
versteckten aufständischen Armeniern und Waffen durchsucht …“. .
Handschrift aus dem Nachlass Wolffskeel von Reichenbergs im
Bundesarchiv-Militärarchiv Freiburg, N 138-6.

Die Ereignisse in Urfa wurden zeitgenössisch unterschiedlich charakterisiert. Der Leiter der Nachrichtenstelle für den Orient Freiherr Max von Oppenheim, der die deutsche Propaganda für den Heiligen Krieg der Muslime gegen die britischen, russischen und französischen Imperialisten dirigierte und Vorurteile über die Armenier pflegte, schrieb: "Der Keim der Unruhen liegt monatelang zurück: er ist schon in den Vaner Ereignissen zu suchen." Damit rechtfertigte er eine besondere Strenge der jungtürkischen Führung im militärischen Hinterland. Der deutsche Konsul in Aleppo Walter Rößler hingegen schrieb dem deutschen Reichskanzler Bethmann-Hollweg im November 1915:

"Die Verschickungen gehen im übrigen in der durchgreifendsten Weise und mit dem schrecklichsten Ergebnis weiter. Hunger und Seuchen treiben dem Tode reiche Beute zu."

Schuld sei eben die Strenge der jungtürkischen Führung: Es

"genügte aber, dass die Urfaleute die Vorbeugungsmassregeln der Regierung, die Verschickung und den damit verbundenen Untergang ihres Volkes und jedes einzelnen vor Augen hatten, um den Entschluss des Widerstandes hervorzurufen."

Auch Wolffskeel beschrieb in seinen Briefen die Geschehnisse in Urfa. So erwähnte er am 8. Oktober 1915 gegenüber seiner Frau fast beiläufig den ausgebrochenen Armenieraufstand und erklärte:

"Du siehst ich führe jetzt auch wieder mal Krieg, wenn's auch man so ist, aber man hört's doch mal wieder knallen und Kugeln pfeifen."

Vier Tage später erwähnte Wolffskeel, dass "[e]s halt langsam [geht] und 14 Tage wird es wohl noch dauern, bis wir die Bande kleingekriegt haben." Bereits am 16. Oktober wusste der Offizier zu berichten, dass "[d]er Kampf beendet [ist]. Urfa ist genommen." Vom Kampfende erzählt Wolffskeel:

"Heute hörte man keinen Schuß mehr. Die Stadt wird noch durchsucht nach Versteckten, im allgemeinen ist aber bereits alles, was nicht totgeschlagen ist, in Gefangenschaft. Soweit war die Sache ja ganz interessant und hübsch. Jetzt beginnt jedenfalls wieder der unerfreuliche Teil. Der Abtransport der Bevölkerung und die Kriegsgerichte."

Militärische Weltsichten

„Jetzt beginnt jedenfalls wieder der unerfreuliche Teil. …“. Handschrift aus dem Nachlass Wolffskeel von Reichenbergs im Bundesarchiv-Militärarchiv Freiburg, N 138-6.
„Jetzt beginnt jedenfalls wieder der unerfreuliche Teil. …“. Handschrift aus
dem Nachlass Wolffskeel von Reichenbergs im Bundesarchiv-Militärarchiv
Freiburg, N 138-6.

Bei der Lektüre der Briefe Wolffskeels von Reichenberg entsteht ein ambivalenter Eindruck. Wolfskeel war offenbar froh über das Pfeifen der Gewehrkugeln, empfand den Umgang mit den Armeniern aber als durchaus problematisch. So schrieb er, dass man über "den Wert der ursprünglichen Maßregel der Türken gegen die Armenier verschiedener Ansicht sein" könne. Er räumte ein: "ein Ruhmesblatt der Türken bildet die ganze Armenierfrage weiß Gott nicht." Dabei gelang es ihm aber, seine eigene Tätigkeit, die er als militärisch notwendige Befriedung verstand, von den "unerfreulichen" Maßnahmen im Anschluss, die eine innere Angelegenheit des osmanischen Reiches darstellten, abzutrennen; diese inneren Angelegenheiten waren keine militärischen Aufgaben, und er persönlich hatte dafür keine Verantwortung mehr.

Dieses militärische Denken war für deutsche Offiziere (und wohl für Militärangehörige durchweg) typisch. Es erklärt auch das je nach Situation divergierende Handeln deutscher Offiziere. Sowohl von der Goltz als auch Wolfskeel von Reichenberg hatten dienstlich Kenntnis von den Armeniergräueln. Aufgrund der Aufgabe, die rückwärtigen Kriegsgebiete zu befrieden, fand sich Wolffskeel mitten in den gewaltsamen Maßnahmen gegen die armenische Bevölkerung wieder, wobei er seinen eigenen Anteil rein militärisch interpretierte. Von der Goltz konzentrierte sich in seiner dienstlichen Berichterstattung nur auf militärische Belange und sparte dort das Schicksal der Armenier gänzlich aus. Auch andere Interventionen lassen sich so erklären; dem Leiter der deutschen Militärmission Otto Liman von Sanders etwa gelang es, die Deportation von Armeniern aus der Küstenstadt Smyrna unter Androhung von Waffengewalt rückgängig zu machen:

"Da derartige Massen-Deportationen in das militärische Gebiet hinübergreifen - Wehrpflichtige, Gebrauch der Eisenbahnen, Gesundheitsmaßnahmen, Unruhe der Bevölkerung in einer Stadt nahe vor dem Feinde, pp. –",

dürften sie ohne seine Genehmigung nicht mehr stattfinden. Insgesamt war deutschen Offizieren ein humanitär begründetes Eingreifen zu Gunsten der Armenier eher fremd.


Autorin: Judith Perisic


Material für die Projektarbeit

(zusammengestellt von Andreas Frings)

Das Geheime Zivil-Kabinet des Kaisers (Valentini) an den Reichskanzler (Bethmann Hollweg). Schreiben. Großes Hauptquartier, den 10. September 1916. Anlage 3: Bericht des deutschen Oberlehrers Dr. Niepage

„Als der General-Feldmarschall von der Goltz nach Bagdad reiste und bei Djerablus den Euphrat passieren musste, war dort ein grosses Lager von halbverhungerten deportierten Armeniern. Kurz vor der Ankunft des Feldmarschalls trieb man die Unglücklichen, so erfuhr ich in Djerablus, samt Kranken und Sterbenden mit Peitschenhieben ein paar Kilometer über die nächsten Hügel. Als von der Goltz durchkam, war von dem widrigen Anblick nichts mehr zu sehen. Als wir bald darauf mit ein paar Kollegen den Platz besuchten, fanden wir noch an versteckten Stellen Männer- und Kinderleichen, Kleiderreste und Schädel und Knochen, von denen Schakale und Raubvögel das Fleisch erst teilweise abgefressen hatten.“[1]

[1] DE/PA-AA/R14093. URL: http://www.armenocide.net/armenocide/armgende.nsf/$$AllDocs/1916-09-10-DE-001.