Seminar MED 6

Disparitäre globale Entwicklungen im Geographieunterricht:
Herausforderungen, Möglichkeiten und Grenzen

„Die SchülerInnen erläutern Entwicklungsdefizite und diskutieren Leitbilder der Entwicklungspolitik, Entwick-lungsstrategien und Strukturhilfemaßnahmen.“ (Fachlehrplan Erdkunde Sekundarstufe II 2022: 38) (Zitat 1)

„Ich bin unterentwickelt worden, als ich 13 Jahre alt war, als Präsident Truman das Amt antrat und das Wort ‚Unterentwicklung‘ prägte. Ich war einer der zwei Milliarden Menschen, die an eben jenem Tag unterentwickelt wurden. Wir waren es nicht.“ (übersetzt nach Esteva 2006 in Gryl und Hoffmann 2014: 12) (Zitat 2)

„Die Andersartigkeit des Anderen ist insofern ein Produkt des Eigenen. Dieses durch das Eigene konstruierte Bild des Anderen dient der Konstruktion eines bestimmten Selbstbildes, weshalb die hierzulande gängigen Vorstellungen über Entwicklungsländer z.T. mehr über den Vorstellungsträger aussagen als über das „Frem-de“.“ (Mönter 2016: 77). (Zitat3)

„Dabei geht es vor allem darum [in der post-development-debatte] die Erkenntnisziele sowie die Annahmen und Raumbilder der etablierten Entwicklungsdiskurse zu hinterfragen. Ausgehend davon, dass die Vorstellungen von „Entwicklung“ kultur- und subjektspezifisch unterschiedlich geprägt sind, gelangt die Perspektive des post-development zu der Auffassung, dass es keine allgemeingültige Begründung und Zielsetzung von Entwick-lungsprozessen geben kann, und dass die Fokussierung auf „Entwicklung“ bzw. „Unterentwicklung“ die Diffe-renz, deren Überwindung sie eigentlich erreichen will, immer wieder neu konstituiert und verstetigt.“ (Verne und Müller-Hahn ³2020: 951). (Zitat 4)

 

Das Lernfeld 8 mit dem Titel „Disparitäre Entwicklungen“ im Lehrplan der Sekundarstufe II (Ministerium für Bildung 2022: 52) beinhaltet, dass die Lernenden die weltweiten Ursachen disparitärer und fragmentierender Entwicklungen erklären können, mit dem Ziel „Entwicklungsstrategien“ diskutieren und ihre eigene „Handlungsoptionen vor dem Hintergrund einer kritischen Reflexion des eigenen Einflusses auf die Länder des Globalen Süden“ (Ministerium für Bildung 2022: 56) reflektieren zu können. Dabei richtet das Lernfeld (neben der EU und Deutschland) das regionale Hauptaugenmerk auf die sog. Länder des Globalen Südens (vgl. Zitat 1). Die Behandlung dieses Themas im Unterricht wirft allerdings einige Fragen auf, die wir im Zuge des Seminars diskutieren werden. So stellt sich die Frage, ob bezugnehmend auf die postkolonialen Perspektiven und die Post-Development-Debatte im Fach Geographie eine Dichotomisierung zwischen Globalem Norden und Globalem Süden weiterhin sinnvoll ist (vgl. Zitat 4)? Auch im Hinblick auf die Diskussion um die große sozial-ökologische Transformation als Reaktion auf die globalen Herausforderungen und vor allem diejenige des Klimawandels und eine zunehmende (alltagsweltliche und wissenschaftliche) Rezeption von alternativen Lebens- und Wirtschaftsweisen (wie das Lateinamerikanische Gesellschaftskonzepte von „Buen Vivir“), stellt sich im Namen des mexikanischen politischen Aktivisten und Wissenschaftlers Gustavo Esteva (vgl. Zitat 2) tatsächlich die Frage, welche Teile der Erde „Entwicklungsdefizite“ aufweisen. Und was die Perspektive des Lernfelds über den sog. Globalen Norden aussagt (vgl. Zitat 3).

Das Seminar beschäftigt sich folglich thematisch mit der Unterrichtsreihenplanung (im Leistungskurs der Sekundarstufe II) zum Lernfeld 8: „Disparitäre Entwicklungen“ (Fachlehrplan Erdkunde 2022: 38). Diese Vorgaben werden wir im Seminar (nach einer fachwissenschaftlichen Einarbeitung) kritisch betrachten (und „diskutieren“). Davon (und einer kritischen Analyse der Aufbereitung des Lernfeldes in ausgewählten Schulbüchern) planen Sie in Kleingruppen eine Unterrichtsreihe unter Berücksichtigung der im Seminar zuvor erarbeiteten Gütekriterien.

In didaktischer Hinsicht steht das Thema „Unterrichtsreihenplanung“ im Fokus. Hier setzen wir uns vertiefend mit folgenden Fragen auseinander:

  •   Welche didaktischen/inhaltlichen Entscheidungen sind zu treffen?
  •   Wie baut man eine Unterrichtsreihe auf?
  •   Wie vereinbart man die rahmenrechtlichen Vorgaben, fachwissenschaftlichen Perspektiven auf das Thema und die Interessen der SchülerInnen UND LehrerInnen?

Das Seminar baut außerdem auf den Schwerpunktthemen des Moduls 4 und der Übung zur Geo-graphiedidaktik II (M6) auf und hat zum Ziel, Ihre Fähigkeiten und Fertigkeiten bei der Planung von Unterrichtsstunden auszubauen. Neben den Erkenntnissen im Bereich der Lernpsychologie und damit der Lernprozesssteuerung durch Lernaufgaben (vgl. M4), sollen Sie nun bei der Konzeption einer einzelnen Unterrichtsstunde die (verschiedenen) methodischen und mediendidaktischen Entscheidungen bewusster treffen (und auch begründen) lernen.

Der Aufbau des Seminars gestaltet sich also wie folgt: Nach einigen Sitzungen, in denen wir uns mit dem sog. Globalen Süden und der globalen fragmentierenden Entwicklung aus fachwissenschaftlichen und dann fachdidaktischen Perspektiven, Unterrichtsreihenplanungen in Theorie und Praxis auseinandergesetzt und Sie gemeinsam (in einer Kleingruppe) eine Unterrichtsreihenplanung dazu konzipiert haben, wählt jedes Gruppenmitglied (dieser Kleingruppe) eine Einzelstunde aus der Unterrichtsreihe aus und konzipiert diese didaktisch-methodisch fundiert. Die Unterrichtskonzeptionen werden dann diskutiert und dabei die in der Übung Geographiedidaktik II erlernten theoretischen Perspektiven und praktischen Erfahrungen zum Medien- und Methodeneinsatz wiederholend an den Unterrichtsbeispielen besprochen.

 

Aktive Teilnahmeleistungen:

Kurzreferat (in den ersten 4 Sitzungen); Erstellen einer Übungsaufgabe (zum Thema des Kurzreferates) für die Seminargruppe; (schrittweise) Erarbeitung der Seminar-Literatur durch Reflexionsaufgaben

 

Modulprüfung:

Portfolio (Bearbeitungszeit 4 Wochen): Konzeption einer Unterrichtsreihe (als Gruppe) und einer Unterrichtsstunde (als Einzelperson)

 

Verwendete Literatur:

Gryl, I. und K.W. Hoffmann (2014): Brauchen wir eine Didaktik der „Entwicklungsländer“? Das Lernfeld „Entwicklungsländer“ als Aufgabe geographischer Bildung. In: Geographie und Schule (1-2) 36: 12-19.

Ministerium für Bildung (2022): Lehrplan für die gesellschaftswissenschaftlichen Fächer. Mainzer Studienstufe – Erdkunde, Geschichte, Sozialkunde. Mainz.

Mönter, L. (2016): Gemachte Armutsräume? Implikationen bei der Behandlung von Entwicklungsdisparitäten im geographischen Unterricht, vom Schulbuch zur Schülervorstellung. In: GW-Unterricht 142/143 (2-3): 71-79.

Verne, J. und D. Müller-Mahn (³2020): Geographische Entwicklungsforschung. In: Gebhardt, H. (et al.) (32020): Geographie. Berlin: 943-973.