Geographische Filmbildung

Filmisch imaginierte Geographien Jugendlicher

„Ich verbinde mit Marokko jetzt [nach dem Film] so Bilder mit großen Märkten, mit Menschenmengen, die diskutieren und feilschen. […] Und halt diese Wüste.“ Die Aussage einer Schülerin aus der 11. Jahrgangsstufe zeigt, dass Spielfilme für Jugendliche einen erheblichen Beitrag zur Erschließung der Welt leisten. Aber wie gestaltet sich der Einfluss von Spielfilmen auf die geographischen Imaginationen und Vorstellungen von Jugendlichen? Spielfilme erzählen Geschichten an Orten und Landschaften, die zur einer gelenkten Umweltwahrnehmung bei den RezipientInnen führen. Welcher Zusammenhang aber besteht zwischen den in Spielfilmen gesehenen Orten und Landschaften, den in ihnen individuell erlebten Geschichten und den eigenen Persönlichkeitsmerkmalen, die die Wahrnehmung der filmischen Räume steuern? Mit dem Fokus auf der rezeptiven Seite liefert das Dissertationsprojekt neue Erkenntnisse für die Film-, Wahrnehmungsgeographie und geographische Filmdidaktik. Mit Hilfe des Forschungsdesigns der Grounded Theory entwickelt die Dissertationsstudie eine induktive Analysefolie, bestehend aus wahrnehmungsgeographischen, filmtheoretischen und entwicklungspsychologischen Perspektiven. Diese Perspektiven werden zusammengeführt, um die Entstehung imaginärer Geographien nachzuzeichnen. Das zentrale theoretische Analyseraster identifiziert entsprechend drei Bestandteile imaginärer Geographien: den place als benennbare, filmisch vermittelte Bedeutungszuschreibung hinsichtlich eines Ausschnittes der Erdoberfläche (z.B. Lernort oder Sehnsuchtsort), den sense of place als affektive Reaktion auf einen filmisch erzählten Ort und die Imagination. Auf dieser Theoriegrundlage und den empirischen Erhebungen zur Filmrezeption von Slumdog Millionaire (2008) und Monsoon Wedding (2001) in Schulklassen konnten sechs Typen imaginärer Geographien herausgearbeitet werden: Sehnsuchtsgeographie, Geographie des Selbst, Ablehnungsgeographie, Lerngeographie, Ferne Geographie und Fiktive Geographie.

Publikation zur Studie: Plien, M. (2017): Filmisch imaginierte Geographien Jugendlicher. Der Einfluss von Spielfilmen auf die Wahrnehmung der Welt. Erdkundliches Wissen, Band 160. Stuttgart.

Spielfilme geographisch sehen lernen

Der Filmregisseur Jean-Luc Godard sagte einst: „Und der Film ist die Wahrheit, 24-mal pro Sekunde“. Es ist wahr, dass 24 Bilder pro Sekunde von Nöten sind, damit das menschliche Auge aus statischen Bildern Bewegung macht. Es ist nicht wahr, dass diese Bilder Wahrheit darstellten. Filmemacher wollen (unter anderem) auf gesellschaftliche Belange aufmerksam machen und ihre Anschauung zu sehen geben. Dazu erzählen sie Geschichten in Bild und Ton. Diese spielen an Orten und in Landschaften, die aber nur scheinbar Ausschnitten der Erdoberfläche entsprechen. Vielmehr besteht eine ihrer Aufgaben darin, die Message des Filmemachers audiovisuell erfahrbar zu machen. Bei den ZuschauerInnen führt die Rezeption dieser filmisch imaginierten Geographien zu gelenkten ökologischen und gesellschaftlichen Umwelterfahrungen und zur Ausbildung von gesellschaftlich geteilten (Welt-)Anschauungen (die ferner zu einem Bestandteil materiell-sozialer Praktiken werden). Obwohl die deutschsprachige Geographie inzwischen einen eigenen filmgeographischen Zugang aufweisen kann, ist das Filmmedium in der Geographiedidaktik bislang weitgehend absentiert. Filmen jedoch kommt gemäß der JIM-Studien eine enorme Bedeutung im Alltag von Jugendlichen zu. Während eine Bild-, Kartenlesekompetenz, etc. geographie-spezifisch bereits begründet sind, fehlt das Äquivalent einer Filmlesekompetenz.
In der Publikation „Mainzer Kontaktstudium“ finden sich erste theoretische Perspektiven, die versuchen diese Lücke zu füllen und fragt daher danach, wie der Einsatz von Spielfilmen im Geographieunterricht einen Beitrag dazu leisten kann, dass Jugendliche einen kritischen Umgang mit den inszenierten (geographischen) Weltanschauungen und Landschaften erlernen. Neben Reflexionen zur lerntheoretischen Rolle des Filmmediums (= wie beispielsweise die Dekonstruktion der erschaffenen Orte und Landschaften, fachlicher und filmischer Perspektiven sowie des Filmerlebnisses auf Seiten der RezipientInnen), bietet die Publikation auch inhaltliche Vorschläge zur Passung von Spielfilmen und Lehrplaninhalten (Input-Seite) sowie ein viergliedriges Modell der geographischen Film“bildung“ (abgeleitet von dem Modell von Visionkino) (Output-Seite): Filmanalyse (darunter bspw. die Dekonstruktion der gezeigten filmischen Geographien), Filmproduktion und Präsentation (z.B. Konstruktion eigener filmischer Landschaften und Geographien), Filmnutzung (der Einfluss auf die RezipientInnen, z.B. ihres sense of place) und Film in der Mediengesellschaft (z.B. Dekonstruktion gesellschaftlich geteilter Weltanschauungen). Schließlich empfiehlt das Projekt konkrete Unterrichtsmethoden für den Spielfilmeinsatz im Unterricht und präsentiert vollständige Lernumgebungen/-aufgaben, die die oben genannten Perspektiven (Input und Output) (in Form von Arbeitsblättern) in die Praxis umsetzen.

Publikation zur Studie: Plien, M. (2019) (Hrsg.): Spielfilme geographisch sehen. Filmische Narrationen aus fachwissenschaftlichen und fachdidaktischen Perspektiven. Mainzer Kontaktstudium Geographie, Band 15. Mainz