Johannes Gutenberg-Stiftungsprofessor im Jahr 2003:
Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Wolfgang Frühwald
In Wissenschaft und Wissenschaftsorganisation nimmt er eine herausragende Stellung ein: Professor Wolfgang Frühwald ist Inhaber der Johannes Gutenberg-Stiftungsprofessur der "Freunde der Universität Mainz e.V." im Jahr 2003.
Der ehemalige Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft und heutige Präsident der Alexander von Humboldt-Stiftung lehrt als Professor für Neuere Deutsche Literaturgeschichte an der Ludwig-Maximilians-Universität München.
Er wird in seiner Vorlesungsreihe eine aktuelle Fragestellung von wissenschaftlicher und gesellschaftlicher Brisanz erörtern: Mit dem Thema "Die zweite Evolution: Biowissenschaftlicher Fortschritt und der Wandel des Menschenbildes" schlägt Frühwald die Brücke zwischen den Natur- und den Geisteswissenschaften und bietet dem Diskurs über eines der wichtigsten Themenfelder unserer Zeit ein Forum.
Als Nachfolger von Fritz Stern, Bert Hölldobler und Hans-Dietrich Genscher wird somit erneut ein Gastprofessor von internationaler Bedeutung nach Mainz kommen: "Der vierte Inhaber der Johannes Gutenberg-Stiftungsprofessur, Professor Wolfgang Frühwald, setzt ein intellektuelles Glanzlicht, indem er fächerübergreifend aktuelle Problemstellungen analysiert, neue Einsichten vermittelt und nach den Konsequenzen für Wissenschaft und Gesellschaft fragt", freut sich der Vorsitzende der "Vereinigung der Freunde", Dr. Hans Friderichs. "Mit solchen Veranstaltungen bietet die Universität Orientierungshilfen auf dem Weg durch das 21. Jahrhundert und wird so ihrer gesamtgesellschaftlichen Verantwortung gerecht."
Wolfgang Frühwald, geb. 1935 in Augsburg, Präsident der Alexander von Humboldt-Stiftung und Professor für Neuere Deutsche Literaturgeschichte an der Ludwig-Maximilians-Universität München.
Er studierte von 1954 bis 1958 Deutsch, Geschichte, Geographie und Philosophie in München, promovierte 1961 und habilitierte sich acht Jahre später. Nach Assistenten- und Dozententätigkeiten an den Universitäten München, Bochum, Erlangen-Nürnberg und Münster folgte er 1970 einem Ruf an die Universität Trier-Kaiserslautern. Von dort wechselte er 1974 nach München. 1985 war er Gastprofessor an der University of Indiana in Bloomington (USA), 1999 an der Fakultät für Chemie der Universität Frankfurt.
Wolfgang Frühwald gehörte von 1982 bis 1987 dem Wissenschaftsrat, von 1994 bis 1997 dem Rat für Forschung, Technologie und Innovation beim Bundeskanzler an. Sechs Jahre lang, von 1992 bis 1997, war er Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft und in diesem Amt zugleich Vizepräsident der Alexander von Humboldt-Stiftung. Von 1995 bis 1996 war er auch Chairman der Vereinigung der europäischen Wissenschaftsorganisationen (European Heads of Research Organisations). Seit 1999 ist Wolfgang Frühwald als erster Geisteswissenschaftler Präsident der Alexander von Humboldt-Stiftung.
Im Laufe seiner Karriere erhielt Wolfgang Frühwald zahlreiche wissenschaftliche Auszeichnungen und Ehrungen, u.a. das Große Bundesverdienstkreuz und den Bayerischen Maximiliansorden. Er ist Ehrendoktor in- und ausländischer Universitäten und Mitglied mehrerer in- und ausländischer Akademien.
Vorlesungsreihe: Die zweite Evolution: Biowissenschaftlicher Fortschritt und der Wandel des Menschenbildes
Professor Frühwald wird in seine Vorlesungsreihe, die an zehn Abenden während des Sommersemesters 2003 stattfindet, auch renommierte Gäste einbeziehen. Die Darlegungen und Analysen befassen sich mit den Fortschritten der Lebenswissenschaften und ihren Folgen sowohl für die Gesellschaft als auch für jeden einzelnen Menschen. Spätestens seit im November 2002 der Versuch der UNO gescheitert ist, eine weltweit gültige Konvention zum Verbot der Klonierung von Menschen zu schließen, ist deutlich geworden, dass diese Debatte auch in den kommenden Jahren die Schlagzeilen der Medien beherrschen wird. Die Stichworte lauten: Embryonen-Verbrauch, Präimplantations-Diagnostik, Gen-Test, therapeutische und reproduktive Klonierung des Menschen, Veränderung des Menschenbildes.
Die gesamte Debatte lässt sich mit dem Begriff der "zweiten Evolution" zusammenfassend kennzeichnen, weil mit der Möglichkeit des menschlichen Eingriffs in das Erbgut des Lebens eine Evolutions-Beschleunigung grundgelegt ist, deren Folgen für die Entwicklung der Menschheit kaum zu überschätzen sind. Die biologische Evolution, das heißt die Entwicklung der Artenvielfalt des Lebens und die Entstehung immer komplexerer Organismen in einem Jahrmillionen dauernden Prozess, ist also in eine zweite Phase eingetreten. In ihr ist es dem Menschen gelungen, uralte in Märchen, Sagen und Legenden bewahrte Menschheitsträume zu verwirklichen und in das Innere des Lebens ebenso einzudringen wie in das Innere der Materie.
Die Vorträge werden in die skizzierte Problematik des Menschen, seines Leibes und seiner Bilder von sich selbst, von der Natur und ihres Schöpfers einführen. Sie werden die faszinierende und uns alle (wörtlich: an Leib und Leben) betreffende Geschichte der modernen Lebens- und Neurowissenschaften in Bezug setzen zum sozialen Wandel der Gegenwart. Sie wird dabei auch die Rolle der Sprache bedenken, die sich aus der Existenzdeutung des Menschen zurückzuziehen scheint, um das Feld dem Experiment und der Visualisierung komplexer, auch formelsprachlich nicht mehr fassbarer Zustände, zu überlassen. Sie wird schließlich nach der Rolle der Literatur in diesem Diskurs fragen, nach den von ihr gezeichneten Angstfiguren, nach ihrer Position im Diskurs um die Chancen einer - wie Hans Magnus Enzensberger sagte - "Wissenschaft, die wir achten und mit der wir leben können".
Wolfgang Frühwald:
Die zweite Evolution: Kunst und Wissenschaft im Zeitalter der Erfahrungsexplosion
Mittwoch, 7. Mai 2003
Gastredner: Prof. Dr. Johannes Dichgans (Tübingen):
Mimik, Gesten und Sprachmelodie: Medien sozialer Kommunikation und ihre neuronalen Ursachen
Mittwoch, 14. Mai 2003
Wolfgang Frühwald:
Therapie oder Menschenzüchtung? Zur biopolitischen Debatte der Gegenwart
Mittwoch, 21. Mai 2003
Gastredner: Prof. Dr. Dr. h.c. Konrad Beyreuther (Heidelberg):
Gene. Über menschliches Schicksal und die Fähigkeit zur Umgestaltung der Lebenswelten
Mittwoch, 28. Mai 2003
Wolfgang Frühwald:
»Leib sein« und »Körper haben«. Visionen und Utopien zum menschlichen Körper in Naturwissenschaft und Kunst
Mittwoch, 4. Juni 2003
Gastredner: Karl Kardinal Lehmann (Mainz):
Das christliche Menschenbild und die Grenzen der Wissenschaft
Mittwoch, 11. Juni 2003
Gastredner: Prof. Dr. Wolf Singer (Frankfurt am Main):
Unser Menschenbild zwischen Selbsterfahrung und neurobiologischer Erkenntnis
Mittwoch, 18. Juni 2003
Wolfgang Frühwald:
Das »Sprachtier« verabschiedet sich oder Über den Rückzug der Sprache aus der Existenzdeutung des Menschen
Mittwoch, 25. Juni 2003
Wolfgang Frühwald:
Der Streit um das Leben. Moderne Literatur in der Auseinandersetzung mit Natur- und Lebenswissenschaft
Mittwoch, 2. Juli 2003
Gastredner: Durs Grünbein (Berlin):
Lesung und Diskussion
Mittwoch, 9. Juli 2003
Die Vorlesungsreihe mit Kolloquium findet jeweils um 18.15 Uhr, in Hörsaal RW 1, Neubau Recht und Wirtschaft, Jakob-Welder-Weg 9, statt.