Mittels der Erweiterung der ersten Erhebung in der EviS I-Studie durch einen zweiten Erhebungszeitpunkt in der EviS II-Studie soll im Zentralprojekt (ZP) das evidenzbasierte Handeln in Schulen im zeitlichen Verlauf untersucht werden. Dabei stehen die Stabilität bzw. Variabilität der Evidenzbasierung auf der Schulebene im Fokus, wobei hier – analog zum EviS-Projekt in der ersten Förderphase – mit der Lehrkräfte-, Schulleitungs- und Schulebene mehrere Ebenen im hierarchischen Bildungssystem differenziert betrachtet werden. Darüber hinaus ermöglicht ein längsschnittliches Design die Anwendung von vertiefenden Datenanalysen und somit die Möglichkeit, der Kausalität der gefundenen Zusammenhänge genauer nachzugehen (vgl. Zapf, Dormann & Frese, 1996). Konkret kann mit einem längsschnittlichen Design die beidseitige Wirkweise von untersuchten Variablen getestet werden, z. B. ob die von uns postulierten organisationalen und personellen Bedingungen über die Zeit im Falle einer Erhöhung evidenzbasierten Handelns diese auslösen oder ob erhöhtes evidenzbasiertes Handeln in Schulen nachfolgend zu verbesserten Bedingungen führt. Gerade im Hinblick auf die schul- und steuerungspraktischen Implikationen ist es wichtig, die Kausalität der im ersten Förderabschnitt gefundenen Zusammenhänge näher in den Blick zu nehmen.
Es erfolgt eine Fragebogenerhebung bei Lehrkräften und Schulleitungen an rheinland-pfälzischen Schulen. Für das Gelingen des längsschnittlichen Designs sind dazu insbesondere die 153 Schulen von Bedeutung, die bereits in der ersten Förderphase befragt wurden. Ziel dieser Erhebung ist es, die Entwicklung evidenzbasierten Handelns in Schulen im zeitlichen Verlauf nachzuzeichnen. Analog zur ersten Förderphase sollen Mehrebenenanalysen angewendet werden, um dem schulischen Mehrebenensystem (Schul-, Schulleitungs- und Lehrkräfteebene) gerecht zu werden.
Die Problematik der Wiedergewinnung von Proband/innen bei längsschnittlichen Befragungen erwies sich für die verschiedenen Befragungszielgruppen im Zentralprojekt als große Herausforderung. Ein Hauptaspekt liegt in der natürlichen Drop-Out-Quote. Im Zentralprojekt handelt es sich hierbei beispielsweise um geschlossene oder zusammengelegte Schulen. Über verstärkte Akquisebemühungen konnten insgesamt 111 Schulen mit 1.513 Lehrkräften und 213 Schulleitungen gewonnen werden.
Die zentralen Ergebnisse lassen sich wie folgt zusammenfassen:
Die Ergebnisse aus der ersten Förderphase, dass die Einstellung der Lehrkräfte gegenüber Evidenz einen Zusammenhang mit evidenzbasiertem Handeln zeigt, konnten mit den Daten der zweiten Förderphase repliziert und bestätigt werden. An Schulen, an denen Lehrkräfte eine positive Einstellung ihrer Schule gegenüber evidenzbasiertem Handeln angeben, wird häufiger evidenzorientiert als substitutorientiert gehandelt.
In den Analysen konnten Ressourcen identifiziert werden, die als förderliche Faktoren für Evidenzorientierung wirken. Einen starken Effekt hat ein transformationaler Führungsstil der Schulleitung. Ein transformationaler Führungsstil einer Schulleitung zeichnet sich unter anderem durch inspirierend motivierendes Verhalten sowie intellektuelle Stimulation des Lehrerkollegiums sowie ein individuelles Eingehen auf die Lehrkräfte aus.
Ebenso konnten Belastungen identifiziert werden, die als hinderliche Faktoren auf die Evidenzorientierung wirken. In erster Linie sind es vor allem soziale Stressoren, wie Streit und Konflikte mit den Kollegen, welche mit einer geringen Evidenzorientierung sowie einer gesteigerten Substitutorientierung assoziiert sind. Der von vielen Lehrkräften genannte Zeitdruck als Belastung und als Hindernis für die Anwendung von Evidenzen scheint nur eine eher untergeordnete Rolle einzunehmen.
Für die Längsschnittanalysen standen hauptsächlich Variablen bezüglich der Rolle und den Handlungsbedingungen der Schulleitung als auch Variablen sozialer Austausch- und Kooperationsprozesse und deren Einfluss auf die Evidenzorientierung der Lehrkräfte im Fokus. Zu beachten ist bei der Interpretation der Ergebnisse, dass aus datenschutzbedingten Gründen eine individuelle Zuordnung der Fragebögen aus beiden Erhebungen nicht möglich war. Dies bedeutet, dass alle Längsschnittanalysen auf der aggregierten Schulebene durchgeführt wurden.
Insgesamt sind fast alle untersuchten Variablen als überwiegend stabil über die Zeit anzusehen. Dennoch erhöhte sich die Nutzung externer Evidenzquellen sowohl durch die Lehrkräfte und Schulleitungen leicht. Hinsichtlich potentieller Kausalzusammenhänge ergaben sich folgende Ergebnisse:
- Es zeigte sich, dass Lehrkräfte mehr Zeitschriften als Evidenzquelle nutzen, wenn die Schulleitung ein kooperatives Klima fördert.
- Ebenso gibt es Tendenzen, dass die Evidenzorientierung sowie die Nutzung von Evidenzquellen durch die Schulleitung einen Einfluss auf die Evidenzorientierung sowie die Nutzung von Evidenzquellen durch die Lehrkräfte ausüben.
- Des Weiteren gibt es Tendenzen, dass sich die Nutzung von Evidenzquellen durch die Lehrkräfte zum Zeitpunkt 1 positiv auf die Einstellung gegenüber Evidenzorientierung zum Zeitpunkt 2 auswirkt.
Insgesamt lässt sich festhalten, dass Schulleitung und Lehrerkollegium sich auf vielen Ebenen gegenseitig beeinflussen. Insbesondere durch gemeinsame Kooperationen, Arbeitsengagement, ein positives soziales Klima und gute Führung lassen sich Evidenzorientierung, Evidenznutzung sowie die Einstellung gegenüber Evidenzen positiv beeinflussen.
Weiterführende Ergebnisse finden sich auch in den Publikationen des Verbundteams im Themenschwerpunkt der Zeitschrift Journal for Educational Research Online (JERO).