In der Vertiefungsstudie 1 (VS1) sollen u.a. Hindernisse und Ressourcen bei der Umsetzung evidenzbasierten Handelns auf der Ebene der Lehrkräfte mit einem erweiterten Fokus auf spezifische Belastungsfaktoren im Schulkontext analysiert werden. Vor dem Hintergrund der Erweiterung der Professionalitätsaufgaben der Schulakteure um die evaluationsbasierte Entwicklung und Sicherung der Schul- und Unterrichtsqualität zeigen erste Praxiserfahrungen die Wahrnehmung dieser Aufgabe als besondere und zusätzliche Belastung. Dabei folgen wir der Fragestellung in der Folgestudie, welchen Einfluss persönliche, soziale und organisationale Ressourcen zur Belastungsbewältigung auf den Umgang mit Evidenzen haben. Für die zweite Förderphase sollen daher als Beitrag zur Lösung dieses Problemzustands für den Bereich der einzelschulischen Steuerung die Möglichkeiten und Strategien der Bewältigung auf personeller Ebene einbezogen werden. In Weiterführung des Teilprojektes 1 der ersten Förderphase wird der Fokus auf die zweite und dritte Professionalisierungsphase von Lehrkräften gelegt, indem die Proband/innen hinsichtlich ihres Wechsels in die nächste Phase – den Vorbereitungsdienst bzw. Berufseinstieg – weiterverfolgt werden. So sollen die täglichen Herausforderungen und die jeweiligen Bewältigungsstrategien als mögliche Hindernisse bzw. Ressourcen (z. B. Zeitdruck, Rollenkonflikte, soziale Unterstützung) sowie deren Effekte auf einen erfolgreichen Berufseintritt in den Schuldienst untersucht werden. Die dahinterliegenden Belastungsempfindungs- und Bewältigungsprozesse beim evidenzbasierten Handeln werden über eine intensive Begleitstudie untersucht, welche aus einer Kombination aus Interviews und Tagebuchstudie besteht.
Zur Erfassung der Hindernisse und Ressourcen bei der Umsetzung evidenzbasierten Handelns sowie der spezifischen Belastungsfaktoren im Schulkontext liegen bisher speziell für den Berufseinstieg von Lehrkräften nur erste ganz wenige Erkenntnisse vor. Daher wurden zunächst narrative Interviews durchgeführt, welche einen umfassenden Blick auf die Berufsbiographie erlauben und somit auch Faktoren berücksichtigen, die bspw. vor Eintritt in den Berufseinstieg vorliegen. Hierbei wurden insbesondere Proband/innen berücksichtigt, die sich in Übergangsphasen der Lehrerprofessionalisierungsphasen befinden. 25 Proband/innen aus der ersten Förderphase konnten für die erneuten Befragungen gewonnen werden.
Die Analyse der Interviews zeigt verschiedene herausfordernde Aspekte für den Übergang vom Vorbereitungsdienst in den Beruf, wie insbesondere die Heterogenität der Schülerschaft und der Klassen, die Unterrichtsvorbereitung, Aufgaben der Verwaltung und Organisation sowie die Charakteristika des Lehrerberufs hinsichtlich der wenig eingeschränkten Arbeitszeiten und ein erforderliches Zeitmanagement („24-Stunden-Job“). Weiterhin finden sich Hinweise auf individuelle Bewältigungsmechanismen aber auch Zusammenhänge zu sowohl den Herausforderungen als auch der Bewältigung der Anforderungen zu der eigenen Perspektive auf die Rolle als Lehrkraft und die Berufswahlmotivation. Diese Aspekte wurden u.a. für die weiterführende Tagebuchstudie berücksichtigt.
Hinsichtlich der Tagebuchstudie fand im nächsten Schritt eine erweiterte Akquise statt. Insgesamt nahmen 231 (angehende) Lehrkräfte an der Studie teil. Hierunter befanden sich 58 Referendar/innen und 173 Lehrkräfte im Berufseinstieg. Die Durchführung der Tagebuchstudie erfolgte in vier Tranchen mit Abstand von einer Woche. Der Willkommensfragebogen wurde immer freitags versendet, am folgenden Montag begann die 12-tägige tägliche Befragung (das Wochenende galt als 1 Tag) und am letzten Montag wurde der Abschlussfragebogen eingesetzt. Die Durchführung erfolgte online.
Die Ergebnisse der Tagebuchstudie replizieren die bisherigen Befunde aus der ersten Förderphase sowie des Zentralprojektes aus der zweiten Förderphase, dass Schulakteure nur bedingt ihr eigenes professionelles Handeln auf Grundlage von Evidenzen gestalten. Bezogen auf die zweite Professionalisierungsphase – den Vorbereitungsdienst – sowie die dritte Phase, den Übergang in den Lehrerberuf, zeigen die Analysen der Tagebuchdaten ähnliche Ergebnisse. Im Berufseinstieg nutzen die (angehenden) Lehrkräfte eher interne Evidenzquellen für ihre tägliche Arbeit als externe Evidenzquellen. Als mögliche Erklärung hierfür kann herangezogen werden, dass sich Lehrkräfte insbesondere in dieser frühen Berufsphase eher auf Schulinterna fokussieren, während schulübergreifende externe Informationenquellen weniger im Fokus stehen.
Insgesamt lässt sich bezugnehmend auf die Belastungsthematik im Rahmen der gesamten Begleitstudie feststellen, dass die bisher in anderen Forschungsprojekten konstatierte Belastung im Berufseinstieg, welche mitunter mit dem Begriff „Praxisschock“ einhergeht, ebenfalls sowohl im Rahmen der durchgeführten Interviews als auch in der Tagebuchstudie, gemessen an den seitens der Berufseinsteiger/innen berichteten Anforderungen und ihrem berichteten Erschöpfungsgrad und seinem Verlauf, sichtbar wurde. Im Durchschnitt berichten Lehrkräfte zwar von einer eher durchschnittlichen Erschöpfung, allerdings zeigt sich in Mehrebenenanalysen, dass dieses Ergebnis durchaus stark über die Woche zwischen einzelnen Arbeitsphasen und auch zwischen den einzelnen Lehrkräften variiert. So ist bspw. die berichtete Erschöpfung am Anfang der Woche wesentlich höher als zum Wochenende. Im Besonderen lässt sich hier festhalten, dass ein höheres Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten und auch die Zufriedenheit mit der Arbeit die Erschöpfungsanzeichen minimiert, während ein hohes Arbeitsengagement und damit auch fehlende bzw. geringere Distanzierungsfähigkeit zu einem höheren Erschöpfungszustand führt. Als förderliche Ressource gegen die Belastung von Lehrkräften im Berufseinstieg hat sich bereits in dieser frühen Berufsphase die Relevanz der sozialen Unterstützung durch Kolleg/innen aber auch die Schulleitung gezeigt.
Welche Anforderungen im Speziellen als belastend empfunden werden, variiert ebenfalls zwischen den Lehrkräften. Einerseits werden Parallelen zu den Ergebnissen aus dem Zentralprojekt deutlich, im Sinne von gemeinsam identifizierten Belastungsfaktoren, wie Konflikte im Kollegium oder auch Zeitdruck. Andererseits werden für die angehenden Lehrkräfte und Berufseinsteiger/innen besondere Belastungen deutlich, wie die Rollenfindung als Lehrkraft oder der hohe Leistungsdruck. Insbesondere der gewählte qualitative Zugang für die Erfassung der Belastungsfaktoren erweist sich als zielführend, da hierüber eine Vielzahl an Anforderungen spezifisch für die zweite und dritte Professionalisierungsphase beobachtet werden konnte. Dies zeichnet diese Studie im besonderen Maße aus, da in bisherigen Untersuchungen meist vordefinierte und eher allgemeine Anforderungen quantitativ erfasst wurden. Zusammengenommen kann so aus den durchgeführten Interviews und den Angaben in der Tagebuchstudie ein umfassendes, detailliertes und facettenreiches Anforderungsprofil an Lehrkräfte im Berufseinstieg abgebildet werden.
Eine Übersicht zum Aufbau und zu einzelnen Ergebnissen der Vertiefungsstudie 1 wurden bspw. auf der Transfertagung zum Thema „Nutzung und Nutzen von Evidenz zur Schul- und Unterrichtsentwicklung“ in Zusammenarbeit von EviS mit der Koordinierungsstelle SteBis im Rahmen einer Postersession präsentiert: