Wertevielfalt ˗ oder eher Wertekonkurrenz?

Der folgende Text ist ein studentischer Bericht zum Vortrag von Prof. Dr. Marie-Luisa Frick und ist im Rahmen eines GLK-Lehrprojekts des Studium generale der JGU entstanden. Er stellt keine offizielle Äußerung des Studium generale dar.

Wertevielfalt ˗ oder eher Wertekonkurrenz?

Von Rebekka Dietz

Zur Vorlesungsreihe Menschenrechte des Studium generale hielt Prof. Dr. Marie-Luisa Frick, Professorin für Philosophie an der Universität Innsbruck, einen Vortrag über den Konflikt zwischen dem universellen Geltungsanspruch der Menschenrechte und der dabei gleichzeitigen Wertevielfalt in unserer Welt.

Der dritte Vortrag der diesjährigen Ringvorlesung zum Thema Menschenrechte beschäftigt sich mit der Frage, was das Faktum der Wertevielfalt für den universalen Geltungsanspruch der Menschenrechte bedeutet. Über diese Problemstellung referiert Prof. Dr. Marie-Luisa Frick, Assoziierte Professorin am Institut für Philosophie an der Universität Innsbruck, im Rahmen des Studiums generale. Frick steigt rasch in den Vortrag ein und eröffnet mit der Frage, was denn Menschenrechte überhaupt sind. Dabei unterscheidet sie die Dimension des Rechtlichen und die der Moral und Werte. „Unter der rechtlichen Oberfläche, die uns oft sehr glatt erscheint, befinden sich Moral und Werte“, erklärt Frick das Verhältnis. Verträge, in denen Menschenrechte beschlossen werden, berufen sich also auf moralische Werte: „Menschenrechte sind selbst wertgeladen.“

Universalismus vs. Individualismus

Schon an dieser Stelle des Vortrags macht Frick den Zuhörern deutlich, dass genau in der Basis der moralischen Werte ein Konflikt besteht, denn zum einen beanspruchen Menschenrechte einen Universalismus und zum anderen einen Individualismus. Menschenrechte sollen für alle Menschen gelten, also universell sein, doch gleichzeitig besteht der Anspruch, dass sie auch für jedes Individuum passend sind und dessen Bedürfnisse miteinbeziehen. Ein Gegensatz, der laut Frick „hochkomplex“ ist, wie die Debatten über Menschenrechte zeigen.

Frick wirft die Frage in den Raum: Was verstehen Philosophen überhaupt unter Werten? Sie unterscheidet im Folgenden zwischen zwei philosophische Positionen. Werte können zum einen als ewige Ideen, unveränderlich und absolut angesehen werden. Frick dazu: „Diese Position ist für mich nicht plausibel“. Gründe dafür sind die unterschiedlichen Werte, die in verschiedenen Kulturen herrschen, und die Tatsache, dass es bisher keinen weltweiten Konsens bezüglich moralischer Werte oder der Menschenrechte gibt. Vielmehr vertritt sie die zweite mögliche Position, die Werte als etwas nicht Universales und eben als etwas Veränderliches ansieht. „Werte sind für mich etwas, das wir tun, und nichts, was man einfach vorfindet“. Diese beiden Positionen lassen sich laut Frick nur schwer miteinander in Einklang bringen.

Veränderliche Werte

Folgt man Fricks Ansicht von Werten als etwas Veränderliches, ergibt sich eine Wertevielfalt, die sie des Weiteren in ihrem Vortrag darlegt und problematisiert. Der Konflikt, der sich aus der Wertevielfalt der Menschen ergibt, bringt eine Wertekonkurrenz mit sich, denn jeder Mensch betrachtet natürlich seine eigenen Werte als die richtigen und möchte diese durchsetzen. Frick macht den Zuhörern dieses Problem auf globaler Ebene anhand einiger Abkommen zwischen verschiedenen Staaten, die seit dem letzten Jahrhundert getroffen wurden, deutlich. Zunächst stellt sie die Problematiken der Verhandlungen zur Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der UN, die eben genau auf einer Wertevielfalt der Staaten basieren, dar. 50 Staaten unterzeichneten 1948 diese Erklärung; doch die Einigung war keineswegs ein leichter Prozess, wie Frick betont. Außerdem bezeichnet sie das Ergebnis der Menschenrechtserklärung als reinen „Scheinkonsens“, da auch nach Abschließen des Vertrags kein völliger Konsens herrschte. Über zwei Jahre lang wurden Entwürfe erstellt und zahlreiche Änderungen vorgenommen, bis alle 50 Staaten bereit waren, die Erklärung zu unterzeichnen.

Kulturen prallen aufeinander

Doch über welche Fragen haben diese Staaten damals eigentlich so lange gestritten? Der Vortrag macht deutlich: Innerhalb einer kulturellen Gemeinschaft scheint es wenig Konflikte zu geben, doch damals sind 50 Staaten aus aller Welt mit unterschiedlichen Kulturen und Wertvorstellungen aufeinandergeprallt. Frick erklärt, dass die kommunistischen Staaten sich beispielsweise dafür stark machten, das Recht auf Arbeit und auf Urlaub in die Menschenrechte zu integrieren, während die westlichen Länder eher die Meinungsfreiheit in den Vordergrund stellten. Die islamischen Staaten hingegen wollten die Religionsfreiheit unter keinen Umständen mit in die Menschenrechte aufnehmen und das Eherecht nicht darauf ausweiten, dass eine muslimische Frau einen nicht-muslimischen Mann heiraten darf. Frick erklärt: „Das Problem ist sehr oft, dass das Recht auf kollektive Interessen ausgerichtet ist. Der individuelle Pfeiler der Menschenrechte kommt dabei oft zu kurz.“

Kulturrelativismus oder Dogmatismus

Deutlich wird: Wertekonflikte sind relevant und die Frage, wie wir damit umgehen, auch. Frick stellt den Zuhörern zwei unterschiedliche, entgegengesetzte Herangehensweisen vor. Philosophisch unterscheidet man zwischen dem Kulturrelativismus und dem Dogmatismus. Vertreter des Kulturrelativismus sind der Überzeugung, dass wir niemanden zwingen sollten, unsere eigenen Werte zu teilen. Frick sagt: „Werte sind in anderen Kulturen oder anderen Zeiten unterschiedlich, es kommt darauf an, wie man sozialisiert wurde“, und sie resümiert: „Wir können nicht aus unserer Haut.“ Doch hierbei ergeben sich Schwierigkeiten, denn eine solche Position ist unreflektiert. Jede Kultur dürfe ihre Werte im Kulturrelativismus ausleben. Das erfordere dann uneingeschränkte Toleranz, die nicht umsetzbar sei.

Befürworter des Dogmatismus hingegen vertreten die Meinung, dass es universale Werte auf der Welt geben muss und diese einen absoluten Geltungsanspruch für jeden Menschen beinhalten. „Das sind dann absolute moralische Normen, die gelten, unabhängig davon, ob sie erkannt, anerkannt oder eingesehen werden.“ Doch wie lassen sich solche universalen Werte finden? Ist das überhaupt möglich? An dieser Stelle macht Frick ihren eigenen Standpunkt deutlich: „Meiner kleinen persönlichen Meinung nach hat es noch niemand geschafft, eine befriedigende Antwort auf diese Frage zu geben.“ Zusatzannahmen müssten hinzugezogen werden und Menschen müssten generell damit rechnen, sich zu irren. Wer könnte also universale Werte formulieren, die alle Zeiten überdauern?

Relative Universalität

Frick kommt zum Schluss, dass beide vorgestellten Positionen nicht befriedigend sind. „Mein Vorschlag: Eine Mittelposition zwischen beiden zu finden.“ Wie kann eine solche Mittelposition aussehen? Laut Frick verfolgen viele Menschen-rechtstheoretiker eine sogenannte relative Universalität. Sie selbst vertritt diese Position ebenfalls. Vertreter dieser Position glauben, dass es keine absolute Moral geben kann, Werte sind veränderbar und dem Wandel ausgesetzt. Trotzdem gibt es einen universalen Anspruch, da Werte – die veränderbar und diskutierbar sind – von allen Menschen zu beachten sind. „Es sind Produkte der Einigung, die allgemeine Prinzipien enthalten“, so Frick. Konkret bedeutet das für die Umsetzbarkeit und die Definition der Werte, dass in den „Zonen der weiteren Anwendung“ ein Spielraum herrscht, indem zum Beispiel das Recht auf Leben formuliert wird. Frick macht anhand dieses Menschenrechts deutlich, dass es ein universeller Wert sein müsse, der von allen einzuhalten ist, doch dessen Auslegung unterschiedlich ist. „Recht auf Leben bedeutet noch nicht viel“, sagt sie. Es könne einfach nur das Recht, nicht getötet zu werden, beinhalten oder noch das Recht auf Nahrung einschließen. Spätestens beim Thema Schwangerschaftsabbruch werde jedoch sicherlich kein Konsens mehr über das Menschenrecht auf Leben herrschen.

„Konflikte über Menschenrechte müssen ernst genommen werden!“, betont Frick zum Schluss ihres Vortrags. Dazu müsse die Menschenrechtsphilosophie, die sehr theoretisch sei, auch „für die Praxis fruchtbar gemacht werden“. Die entstandenen Spannungen müssen im Einzelnen angeschaut werden. Sie formuliert einen Imperativ für die Zuhörer: „Es gilt, verschiedene Perspektiven gelten zu lassen und einen offenen, transparenten Dialog zu führen.“ Doch davon seien wir noch weit entfernt, denn bisher würden die Konflikte eher banalisiert. Oftmals stellen die einzelnen Parteien in einem Konflikt über Werte die anderen Kulturen als unzivilisiert und wenig fortschrittlich dar. Dabei denkt sie besonders an die muslimische Kultur, deren Werte von der westlichen Welt häufig als längst überholt angesehen werden. Doch Frick betont, dass es auch keine Lösung ist, einfach abzuwarten und zu hoffen, dass Muslime sich den sogenannten fortschrittlichen Werten des Westens anpassen.

Fricks abschließendes Plädoyer lautet also: Alle Werte, die sich auf der Welt finden lassen, müssen ernstgenommen werden, doch auch der universelle Anspruch auf Menschenrechte darf nicht außer Acht gelassen werden. Das ist ein schwieriges Unterfangen, wie sie noch einmal betont – doch eines, für das sich der Einsatz lohnt.