Der Cyberraum – Ein Bild des Wilden Westens

Der folgende Text ist ein studentischer Bericht zum Vortrag von Prof. Dr. Jan Eckel und ist im Rahmen eines GLK-Lehrprojekts des Studium generale der JGU entstanden. Er stellt keine offizielle Äußerung des Studium generale dar.

Der Cyberraum - Ein Bild des Wilden Westens

Von Henry Wilhelmy

Die zweite Vorlesung der Reihe „Menschenrechte" am 15. Mai 2017, organisiert vom Studium generale der Johannes Gutenberg-Universität Mainz, wird gehalten von Prof. Dr. Anja Mihr und trägt den Titel „Menschenrechte im Informationszeitalter". Sie thematisiert den aktuellen Stand um die Reglementierung von Rechten innerhalb des digitalen Raums. Mihr gründete und leitet das Humboldt-Viadrina Center on Governance through Human Rights in Berlin und hat zudem als Vertretungsprofessorin den Franz Haniel Chair of Public Policy an der Willy Brandt School of Public Policy der Universität Erfurt inne.

"Leute sagen: Das ist so eine Art Raum und wer zuerst hinkommt, kolonialisiert den halt." Es entstehen augenblicklich Bilder von Abenteuern in unbekannten Gebieten. Grenzenlose Freiheit. Herumschießende Revolverhelden. Die Möglichkeit eines Neuanfangs. Welcome to the „Wild, Wild West". Aber auch Eindrücke von herumziehenden Räuberbanden und mächtigen Konzernen, die nach Gold und Öl gieren. Das Überleben der Stärkeren in einem nahezu rechtsfreien Raum. Eine mit dieser Zeit vergleichbare Goldgräber-Stimmung brach zu Anfang der 1990er Jahre aus, als Nutzende das Internet auch außerhalb von Universitäten für sich entdeckten. Während damals Unternehmen wie Google die Gewinnmöglichkeiten erkannten, sahen andere schon früh das Gefahrenpotenzial, das in grenzenloser Freiheit steckt. Doch die Verantwortung verblieb bei den Konzernen. Das Ergebnis: Ein scheinbar unendlicher Freiraum voller Datenkraken, Hassreden und Ideendiebstahl. Ein weiteres Ergebnis der schier endlosen Vernetzung von Computern konnten wir alle Mitte Mai an Bahnhöfen mit digitalen Fahrplananzeigen sehen: Fehlermeldungen, hervorgerufen durch das Virenprogramm WannaCry, eine sogenannte Ransomware. Spätestens bei diesem Vorfall wurde deutlich, wie sehr das Internet auch Menschen beeinflusst, die sich sonst von ihm fernhalten.

Mit genau diesem Ereignis steigt Prof. Dr. Anja Mihr in ihre Vorlesung ein. Die Gelegenheit ist zwar günstig, sich mit dieser Thematik weiter auf sicherheitspolitischer Ebene zu befassen, doch die Hörenden des Studium generale sind gekommen, um sich mit einem anderen Thema auseinanderzusetzen: Der Umsetzung von Menschenrechten im digitalen Raum. "Wie werden wir das Konglomerat zwischen Providern, Usern und Regierungen regeln?" Wer ist dieses „wir"? Und wie sollen diese Regeln in einem Raum umgesetzt werden, der mit bloßen Händen nicht gefasst werden kann?

Die erste Frage kann von Mihr leicht beantwortet werden: „Wir haben schon Regeln: Die Menschenrechte." Ein Beschluss der Vereinten Nationen aus dem Jahr 2013 besagt, dass die am Ende der 1940er Jahre erklärten Menschenrechte sowohl offline als auch online gelten. Mihr fasst diese Rechte unter der einfachen Regel „Do no harm" zusammen. Zu Deutsch: „Füge keinen Schaden zu". Eine simple Grundregel, die in einem so kompliziert zu greifenden Raum wie dem Internet nur schwer umgesetzt werden kann. Wie das geschehen soll, wird seit 2006 fleißig in dem „Internet Governance Forum" (IGF) diskutiert, einer Gruppe von Regierungs-, Organisations-, Wirtschafts- und Zivilvertretenden.

Die Herausforderungen, denen sich das IGF dabei stellen muss, werden von Mihr in vier Bereiche zusammengefasst. Als erstes benennt sie die Größe des digitalen Raums, der mit momentan knapp vier Milliarden Nutzenden mehr als die Hälfte der Erdbevölkerung ausmacht. In diesem Raum Grenzen zu ziehen scheint fast so unmöglich wie er unendlich ist. Die zweite Herausforderung bildet die ständige Balance zwischen Sicherheit und Freiheit. Je größer die Sicherheit ausfällt, desto mehr wird die Freiheit eingeschränkt. Dieses besondere Merkmal des Internets wird vor allem von Konzernen und Firmen stark geschätzt.

Die Geschwindigkeit, in der neue IT-Entwicklungen auf den Markt kommen, bildet die dritte Herausforderung. Passende Regeln zu entwickeln gleicht einer Sisyphos-Aufgabe. Als viertes Hindernis nennt Mihr den „Shrinking Cyberspace". Sie erklärt diesen Begriff unter anderem damit, dass manche Regierungen den Zugang zum Internet nur eingeschränkt ermöglichen. Viele Menschen schränken aber auch ihre eigene Internetnutzung ein, um die Daten, die sie herausgeben, möglichst gering zu halten. Also eine Art „Selbstzensur", wie Mihr sagt: "Die Leute, die vorher den Medien nicht getraut haben, machen das auch nicht im Internet". Doch besonders in autoritär regierten Ländern stellt Selbstzensur ein großes Problem dar: Autorinnen und Autoren von politischen Texten werden verfolgt und löschen ihre Artikel zur Sicherheit selbst, bevor sie als Gefahr eingestuft werden. So schrumpft in den betroffenen Ländern die Berichterstattung und die Bevölkerung ist über aktuelle Ereignisse nur schlecht informiert.

Wo genau soll uns das letztendlich hinführen? Mihr zufolge ist der nächste große und notwendige Schritt ein „Cyber-Gesellschaftsvertrag". Er soll alle von der IGF festgelegten Regelungen, Mechanismen und Ziele enthalten. Bis ein solcher Vertrag fertig ist, wird es noch einige Jahre dauern. Doch Mihr zeigt sich optimistisch: „Unsere Regierung hat schon gute Schritte unternommen." Als Beispiel nennt sie die Strafbarkeit von Hassreden im Internet. Die vermeintliche Anonymität reicht nicht mehr aus, um Hetze und Groll zu verbreiten. Auch der Blick auf den Wilden Westen lässt Optimismus aufkommen. Auch wenn die Anfänge blutig und hart waren: Die amerikanische Regierung konnte in den ehemals so rechtsfreien Staaten doch noch für funktionierende Rechtssysteme sorgen.