Prof. Emmanuel Le Divellec – Vortragsexposé – Sommersemester 2006

VORTRAG DER HOCHSCHULE FÜR MUSIK
zum Themenschwerpunkt des Studium generale »Information – Wissen – Bildung«

Prof. Emmanuel Le Divellec (Bern/Basel/Mainz)

Aspekte der Bach-Rezeption und ihre Auswirkungen auf das Orgelspiel in Frankreich

Mittwoch, 28. Juni 2006, 18.15 Uhr, Hörsaal N 3 (Muschel)

"Man kann sagen, dass Bach als Organist absolut unbekannt ist in Frankreich. (…) In Frankreich kennen wir nur M. Boëly und unseren Mitarbeiter M. Laurens als Spieler des eigentlichen Bachschen Orgelwerks", so der Organist und Herausgeber Félix Danjou im Jahr 1846. Diese Aussage ist der Ausdruck einer allgemeineren Feststellung, nämlich der Klage über das seit Mitte des 18. Jahrhunderts gesunkene Niveau des Orgelspiels in Frankreich. Deutsche Organisten und Komponisten hingegen galten als spieltechnisch überlegen, folglich setzte die Kenntnis des Bachschen Orgelwerks den ausschlaggebenden Maßstab für ein "würdiges" Orgelspiel. Der als profunder Bachkenner in seinem Land einzelgängerische Alexandre Pierre François Boëly (1785–1858) wurde nur von begrenzten Fachkreisen geschätzt. Hinzu kam, dass er keine führende Lehrstelle inne hatte.
Die "Rettung" für das Französische Orgelspiel sollte schließlich von Deutschland über Belgien kommen: Charles-Marie Widor (1844–1937) und Alexandre Guilmant (1837–1911) legten durch ihr Studium bei Jacques Lemmens (1823–1881), der unter anderem vom Rinck-Schüler Adolph Hesse in Breslau ausgebildet wurde, die Grundlagen für eine "Ecole d’orgue française", deren technischen Grundsätze eine zunehmende Dogmatisierung erfuhren ― sozusagen im Namen Bachs. Das zentralistische Französische Ausbildungssystem begünstigte eine daraus resultierende Vereinheitlichung des Orgelspiels, ohne jedoch andere Sichtweisen gänzlich auszuschließen.

Prof. Emmanuel Le Divellec wurde 1966 in Paris geboren. Nach abgeschlossenem Physikstudium an der Universität Paris wandte er sich ganz der Musik zu und studierte Orgel bei Marie-Louise Jaquet-Langlais und André Isoir. Er setzte seine Ausbildung in Basel bei Guy Bovet und an der Schola Cantorum Basiliensis fort (Historische Improvisation bei Rudolf Lutz und Cembalo bei Andrea Marcon).
Seit 2000 ist er Organist an der Französischen Kirche und Dozent für Orgel an der Hochschule der Künste Bern sowie Lehrbeauftragter für Improvisation an der Schola Cantorum Basiliensis. Für das akademische Jahr 2005/2006 ist er Gastprofessor an der Universität Mainz. Schwerpunkte seines Unterrichts bilden die Französische Orgelschule des 19. und 20. Jh. sowie Improvisationspraktiken des Barocks.

Nächster Vortrag zum Themenschwerpunkt »Information – Wissen – Bildung«:
MAINZER UNIVERSITÄTSGESPRÄCHE
Prof. Dr. Jürgen Wilke (Institut für Publizistik, Universität Mainz)
Zeitung und Zeitunglesen am Rhein
Mittwoch, 5. Juli 2006, 18.15 Uhr, N 3 (Muschel)