Prof. Dr. Walter Zieglgänsberger – Vortragsexposé – Wintersemester 2005/2006

THEMENSCHWERPUNKT DES STUDIUM GENERALE
»DAS GEDÄCHTNIS: LERNEN UND ERINNERN«

Prof. Dr. Walter Zieglgänsberger (München)

Chronic Pain and Addiction: The Dark Side of Neuronal Plasticity

Vortrag in deutscher Sprache

Neuer Termin:
Dienstag, 14. Februar 2006, 18.15 Uhr, Hörsaal N 1 (Muschel)

Sucht – die gesteigerte Motivation, sich psychoaktiv wirksame Substanzen zuzuführen – beruht auf Lernprozessen, deren molekulare Grundlagen zunehmend entschlüsselt werden. Unter Beteiligung des sog. Belohnungssystems werden stark positiv geprägte Stimmungslagen mit der wiederholten Drogeneinnahme konditioniert. Aus der Erkenntnis, dass Drogen die neuronale Plastizität im Zentralnervensystem beeinflussen, entwickelten sich neue Behandlungsmöglichkeiten und neue Strategien, um Langzeitveränderungen vorzubeugen bzw. Extinktionsprozesse in durch Drogen sensibilisierten neuronalen Systemen zu fördern. Anti-craving-Substanzen wie Acamprosat (CampralR) reduzieren beispielsweise das Verlangen nach Alkohol durch eine Wirkung auf die durch den Neurotransmitter Glutamat vermittelte synaptische Übertragung.
Die Chronifizierung von Schmerz beruht, wie die Entwicklung einer Sucht, auf neuronalen Lernprozessen. Es gilt heute als gesichert, dass Schmerzempfinden nicht auf einem starren Übertragungssystem beruht, sondern ein dynamischer Prozess ist, in den die Auswirkungen früherer Erfahrungen und Erlebnisse einfließen (Schmerzgedächtnis). Eine Synopsis zahlreicher Erkenntnisse aus der Grundlagenforschung spricht dafür, dass für die Aufrechterhaltung einer Sucht ebenso wie für chronische Schmerzzustände funktionelle und strukturelle Veränderungen in Nervenzellen des zentralen Nervensystems verantwortlich sind.
Diese Mechanismen stellen faszinierende neue Ansatzpunkte für die Therapie chronischer Schmerzen und Sucht mit extinktionsfördernden Maßnahmen dar.

Prof. Dr. Walter Zieglgänsberger studierte von 1961–1967 Humanmedizin in München. Im Rahmen seines Studiums und seiner Promotionsarbeit nutzte er verschiedene Auslandsaufenthalte, um wissenschaftliche und musische Interessen zu vertiefen. Mit einer Promotionsarbeit über dopaminerge Übertragungsmechanismen im extrapyramidalen System machte er seine ersten Gehversuche in der Analyse der interneuronalen Kommunikation im Gehirn von Vertebraten. Nach seiner Approbation als Arzt widmete er sich am Max-Planck-Institut für Psychiatrie in München zunehmend der neurobiologischen Grundlagenforschung. Nach seiner Habilitation für die Fächer Physiologie und Pharmakologie im Jahr 1976 arbeitete er am AVD Center for Behavioral Neuroscience in La Jolla, Kalifornien. Nach seiner Rückkehr wurde er zum apl. Professor an der Ludwig-Maximilians-Universität in München ernannt und ist seit 1984 Leiter der Arbeitsgruppe Klinische Neuropharmakologie am Klinischen Institut des Max-Planck-Instituts für Psychiatrie in München. Zu seinen Hauptarbeitsgebieten zählen molekularbiologische, elektrophysiologische und pharmakologische Aspekte neurohumoraler Übertragungsmechanismen im Zentralnervensystem. Besondere Berücksichtigung finden hier Schmerz- und Suchtforschung.