PD Dr. Daniela Philippi – Vortragsexposé – Wintersemester 2005/2006

VORTRÄGE IN DER MUSIKWISSENSCHAFT
Vortragsreihe des Musikwissenschaftlichen Instituts
zum Themenschwerpunkt des Studium generale
»NORMEN UND KULTUREN«

PD Dr. Daniela Philippi (Mainz)

»... nicht ohne Divertissements ...« Theater¬normen in Paris und ihre Konsequenz für Christoph Willibald Glucks Cythère assiégée

Donnerstag, 15. Dezember 2005, 19.15 Uhr
Hörsaal des Musikwissenschaftl. Instituts (Philosophicum, linker Vorbau)

Als Christoph Willibald Gluck in den 1770er Jahren sein maßgebliches Wirkungsfeld von Wien nach Paris verlagerte, konnte er auf ein umfangreiches Opernschaffen zurückblicken. Dieses zeichnet sich zum einen durch seine individuelle Musiksprache, zum anderen durch die Adaptation und Weiterentwicklung einer Vielfalt verschiedener Operngattungen aus. Im Unterschied hierzu konzentriert sich die Kenntnis der Nachwelt allerdings bis heute fast ausschließlich auf seine so genannten Reformopern. Dabei war gerade Glucks Erfahrung mit unterschiedlichen Musikstilen und -formen eine der Voraussetzungen für die innovative Wirkung seiner operndramatischen Konzeption.
Im Hinblick auf die französischen Operntraditionen treten zwei Phasen seines Schaffens hervor: In den 1750er Jahren widmete sich Gluck in Wien der aus Frankreich übernommenen Opéra comique, in den 1770er Jahren übertrug er seine musikdramatischen Überzeugungen auf Neufassungen und Neukompositionen für die Pariser Opernbühnen. Der Frage nach der Einflussgröße 'Theaternormen' ist besonders anschaulich anhand von Überarbeitungen nachzugehen; zudem weist die Gattung Opéra comique bei Gluck eine zweimalige Auseinandersetzung hiermit auf. Daher konzentriert sich der Blick auf die beiden Wiener Opéras comiques L´Arbre enchanté und Cythère assiégée, die Gluck für Frankreich überarbeitete. Während L´Arbre enchanté jedoch keine gravierenden Veränderungen gegenüber der ersten Fassung erfahren hat, zeigt die Neufassung von Cythère assiégée eine stark von der Ausgangsgestalt abweichende Anlage. Welche Faktoren für solch eine Umgestaltung verantwortlich zu machen sind und wie sie konkret aussieht, soll in dem Vortag aufgezeigt werden.

Daniela Philippi ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin bei der Gluck-Gesamtausgabe in der Akademie der Wissenschaften und der Literatur, Mainz, sowie Privatdozentin am Musikwissenschaftlichen Institut der Johannes Gutenberg-Universität. Sie studierte die Fächer Musikwissenschaft, Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft und Publizistik an der Johannes Gutenberg-Universität sowie Kirchenmusik am Bischhöflichen Institut für Kirchenmusik des Bistums Mainz, 1992 folgte die Promotion, 2000 die Habilitation. Neben der Lehrtätigkeit, seit 1991 an der Johannes Gutenberg-Universität und 2003–2005 an der Robert Schumann Hochschule Düsseldorf, bildet der Bereich wissenschaftliche Musikedition einen Schwerpunkt. Sie ist Mitglied im Herausgebergremium der Gluck-Gesamtausgabe (Mainz) sowie in den Editorial Boards der New Complete Dvořák Edition und der Bohuslav Martinů-Gesamtausgabe (beide Prag). Im Rahmen der Gluck-Gesamtausgabe legte sie bislang zwei Bände vor: Le Cadi dupé/Der betrogene Cadi, Opéra-comique in einem Akt von Pierre-René Lemonnier/Deutsche Version von Johann André (= Christoph Willibald Gluck. Sämtliche Werke, IV/6, Kassel usw. 1999) und La contesa dei Numi, Componimento drammatico, Text von Pietro Metastasio, bearbeitet von Thomas Clitau (= Christoph Willibald Gluck. Sämtliche Werke, III/13, Kassel usw. 2004). Weitere Publikationen u.a.: Antonín Dvořák: Svatební košile/Die Geisterbraut op. 69 und Svatá Ludmila/Die heilige Ludmilla op. 71. Studien zur »großen Vokalform« im 19. Jahrhundert, Tutzing 1993; Neue Orgelmusik. Werke und Kompositionstechniken von der Avantgarde bis zur pluralistischen Moderne, Kassel 2002.

Nächster Vortrag in dieser Reihe:
UD Dr. Wolfgang Bender (Mainz)
Normen in der Produktion moderner afrikanischer Musik
Donnerstag, 5. Januar 2006, 19.15 Uhr, Hörsaal des Musikwissenschaftlichen Instituts