Themenschwerpunkt »Warum wir reden müssen – Kultur und Sprache« – Konzept – Wintersemester 2018/2019

Talkshow, Stammtisch, Palaver – Menschen sprechen nicht nur gern und viel, sie tun dies auch auf sehr unterschiedliche Weise. Kultur und Sprache stehen in enger wechselseitiger Beziehung. Die sozialen und kulturellen Traditionen, Regeln, Werte einer Gesellschaft lernen wir vor allem durch die Sprache als wichtigstes Kommunikationsmittel. In der Evolution des Homo sapiens war das Zusammenwirken von Sprache, Kultur und Kognition von zentraler Bedeutung. Neurokognitiv gesehen ist Sprache ein spezifisch menschliches Natur- und Kulturprodukt komplex verschalteter Neuronenbündel nach einem vorgegeben biologischen Programm unter dem deutlichen Einfluss des kulturellen Umfelds. Neuere linguistische Forschungen zeigen, dass die kulturelle Entwicklung die Sprachentwicklung offenbar sehr viel stärker beeinflusst als universelle Regeln der Sprachverarbeitung im Gehirn. Sprache reflektiert die Kultur ihrer Sprecherinnen und Sprecher sowohl in der Grammatik als auch im Wortschatz. Als wichtigstes Werkzeug unseres Denkens und Wahrnehmens bildet sie auch einen Kernbereich unserer individuellen Identität.

Wenn Sprache und Kultur sich derart gegenseitig bedingen, müssen wir dann in der gegenwärtigen Situation von Globalisierung und gesellschaftlichem Wandel nicht auch darüber reden, was dieses Verwobensein für kulturelle Identität, für Migration und Integration bedeutet? Wie wichtig sind dann Mehrsprachigkeit und Beherrschung der Landessprache? Das Erlernen von Fremdsprachen und Wissenserwerb über Kulturen erweisen sich umso mehr als notwendige Kompetenzen für das Gelingen von interkultureller Kommunikation und gegenseitigem Verstehen. Prozesse des Spracherwerbs und der Vermittlung von Sprache, kulturellen Traditionen und Lebensformen rücken damit in den Blick. Kulturelle Entwicklungen, soziale Veränderungen und historische Ereignisse schlagen sich in unserem Sprachgebrauch nieder. Denglisch, Kiezdeutsch, Ethnolekt, Genderisierung: Wie wandelt sich die deutsche Sprache? Und nicht zuletzt bleibt im Zeitalter der Digitalisierung zu reden über und mit künstlicher Intelligenz und digitalen Sprachassistenten wie Watson, Alexa und Siri. Macht Sprache sie menschlicher? Fehlt der kulturelle Faktor? Verändern sie unsere Sprachgewohnheiten?

Für ein weites Verständnis des komplexen Verhältnisses von Kultur und Sprache möchten wir in unsere Vorlesungsreihe neben den Ergebnissen sprach- und kulturwissenschaftlicher Arbeiten auch Forschungen aus Neurowissenschaften, Psychologie und Anthropologie einbeziehen.