PD Dr. Wolfgang Seidenspinner – Vortragsexposé – Wintersemester 2004/2005

IAK MEDIÄVISTIK / STUDIUM GENERALE
ANGST UND TERROR IM MITTELALTER

PD Dr. Wolfgang Seidenspinner

Angst und Mobilität.
Die spätmittelalterlich-frühneuzeitliche Gesellschaft und ihre Ausgegrenzten

Donnerstag, 17. Februar 2005, 18.15 Uhr, P 3 (Philosophicum)

Abwehr bestimmt bis heute meist unser Verhalten gegenüber mobilen Bevölkerungsgruppen. Stereotypvorstellungen sehen sie zumindest in der Nähe der Kriminalität. Dies ist Ergebnis eines im Mittelalter einsetzenden Prozesses, in dem mobile Bevölkerungsgruppen ausgegrenzt und kriminalisiert wurden. Zunächst war das König- bzw. Fürstentum noch bestrebt, auch die mobilen Berufe bzw. Menschen herrschaftlich zu erfassen. Dem Ausschluss fremder Bettler und Verbrecher aus den Städten folgte die Stigmatisierung und Kriminalisierung der Mobilen insgesamt. Es entstand die „kochemer Gesellschaft“ der Gauner. Geschürt durch eine Vielzahl teils abstruser Schauermärchen über Verbrechen und Gräueltaten entstand ein Klima der Angst auf Seiten des Sesshaften, durch die nicht selten rigide Verfolgung durch den frühneuzeitlichen Staat aber auch auf Seiten der Ausgegrenzten, die in einem ausgeprägten Gegensatz zur Gesellschaft gesehen wurden, als Gegen- oder Parallelgesellschaft. So entwickelten sich prägende mentale Verhaltensmuster und wurden Stereotypvorstellungen ausgebildet und tradiert, mit denen wir uns heute noch ganz aktuell in Krisen entlasten, Angst kompensieren.

PD Dr. Wolfgang Seidenspinner, 1952 geb., 1974–79 Studium der Anglistik, Geschichte, Sozialkunde und Volkskunde (Universität Würzburg), 1979 Promotion, 1979–81 Wiss. Angestellter (Landesdenkmalamt Baden-Württemberg), 1981–82 Wiss. Angestellter (Braunschweigisches Landesmuseum), ab 1983 Wiss. Angestellter (Landesdenkmalamt Baden-Württemberg), 1993–94 Lehrauftrag für Volkskunde (Universität Freiburg), 1996 Habilitation für Volkskunde (Universität Bayreuth), 2004 Umhabilitation für Kulturanthropologie/Volkskunde (Universität Mainz). Hauptarbeitsgebiete: Fachgeschichte, Brauchforschung, Erzählforschung, Randgruppen und Unterschichten, Religion und Gesellschaft, Kultur und Landschaft, Regionale Kulturforschung, Archäologie (Mittelalter und Neuzeit).

Veröffentlichungen (in Auswahl): (1998): Mythos Gegengesellschaft. Erkundungen in der Subkultur der Jauner. Münster, (2004): Die Erfindung des Madonnenländchens. Die kulturelle Regionalisierung des Badischen Frankenlands zwischen Heimat und Nation. Buchen: Verein Bezirksmuseum Buchen; Offensive der Ausgegrenzten? Jauner und Räuberbanden in der frühen Neuzeit. In: O. Borst (Hg.). Minderheiten in Südwestdeutschland. Tübingen: 1996. S. 73-90, Das „Königreich“ als Organisationsform gesellschaftlicher Gruppen. Soziale Integration, Geselligkeit, Alternative und Rebellion (vornehmlich nach oberrheinischen Quellen des Spätmittel¬alters). In: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins 146 (1998). S. 249-270, Der Mythos vom Sozialbanditen. In: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 49 (1998). S. 686-701, Narrenreich und Mohrenkopf. Zu Perspektiven und Aufgaben der Brauchforschung am Beispiel des Hemsbacher Pfingstritts. In: Jahrbuch für Volkskunde N.F. 21 (1998). S. 139-156, Das Janusgesicht der Binnenexoten. Marginalisierte zwischen Verteufelung und utopischem Gegenentwurf. In: H. Lehmann, A.-Ch. Trepp (Hg.). Im Zeichen der Krise. Religiosität im Europa des 17. Jahrhunderts. Göttingen: 1999. S. 337-358, Katholische Volksfrömmigkeit. In: M. Blümcke (Hg.). Alltagskultur in Baden-Württemberg. Stuttgart 2003. S. 161-179.