Prof. Dr. Jürgen Straub – Vortragsexposé – Wintersemester 2012/2013

Themenschwerpunkt des Studium generale

"Selbstbild und Weltbild. Kulturalität, Pluralität, Universalität?"

Prof. Dr. Jürgen Straub (Bochum)

Selbstbild und Identität in modernen Gesellschaften

Montag, 5. Nov. 2012, 18:15 Uhr, Hörsaal N 1 (Muschel)

Der Begriff der "Identität" ist eine Problemanzeige. Er bezieht sich zunächst auf einzelne Personen und die in vielen modernen Gesellschaften längst 'epidemisch' gewordene Frage: "Wer bin ich (geworden), wer möchte ich heute und morgen sein"? Diese Frage stellt sich genau dann (und nur dann), wenn sie sich nicht mehr leicht (und vielleicht gar nicht mehr) beantworten lässt. Viele Menschen, die diese Frage umtreibt, suchen zeitlebens nach klaren, eindeutigen und abschließenden Antworten – oft vergeblich. Diese Einsicht zählt heute zu den Allgemeinplätzen – Woody Allens "Manhattan" ist (fast) überall.

Aus dieser unbestreitbaren Erkenntnis haben manche Philosophen und Wissenschaftlerinnen die Schlussfolgerung gezogen, dass der Identitätsbegriff hoffnungslos veraltet sei, in modernen Gesellschaften seine kulturelle und soziale Relevanz verloren habe und kurzerhand verabschiedet werden könne. Postmoderne oder poststrukturalistische Loblieder auf das "Nicht-Identische" (auf "Hybridität", "Multiplizität", "Polyphrenie" etc.) bezeugen diese mittlerweile regelrecht populäre Ansicht unentwegt. Sie verdankt sich nichtsdestotrotz einem gravierenden Irrtum, genauer: einer fast beispiellosen Vereinfachung, ja Trivialisierung moderner Theorien personaler Identität. Sie sind darüber hinaus an eine gewisse Ignoranz gegenüber den nach wie vor virulenten Lebensproblemen gekoppelt, um die dieser soziologische und psychologische Begriff noch immer kreist. Obendrein feiern sie manchmal die funktionale Geschmeidigkeit und virtuose Anpassungsfähigkeit 'gesichtsloser Menschen'.

Im Vortrag werden Konturen eines komplexen, theoretisch haltbaren und empirisch nützlichen Identitätsbegriffs skizziert (im Anschluss an den amerikanischen Pragmatismus, die Psychoanalyse und andere wichtige Traditionen sozial- und kulturwissenschaftlichen Denkens). Dabei wird nicht zuletzt deutlich, dass dieser Begriff eine psychologische Anthropologie impliziert, in der die Rationalität und die Emotionalität des Menschen gleichermaßen wichtig sind, das Bewusste ebenso wie das Unbewusste, die Selbstreflexion und der Selbstentzug unabdingbar zur Existenz dieses sozialen und kulturellen Lebewesens gehören.

Indem das Konzept der personalen Identität in eine triadische pragma-semantische Struktur eingebettet und von zwei Alternativen – nämlich Fragmentierung und Totalität – abgegrenzt wird, lässt sich im Übrigen eine bislang noch kaum untersuchte Verwandtschaft zwischen einer nach Identität suchenden Person einerseits, demokratischen Verhältnissen und einer "Politik der offenen Gesellschaft" andererseits zumindest andeuten.

Prof. Dr. phil. Jürgen Straub, seit April 2011 Dekan der Fakultät für Sozialwissenschaft der Ruhr-Universität Bochum (RUB). Seit dem Sommersemester 2008 hat er in dieser Fakultät den Lehrstuhl für "Sozialtheorie und Sozialpsychologie" inne. Zu seinen (interdisziplinär bearbeiteten) Forschungsschwerpunkten zählen: Interkulturelle Kommunikation und Kompetenz; Sozial- und Kulturpsychologie, interdisziplinäre Handlungs- und Subjekt-, Sozial- und Kulturtheorie; Geschichtsbewusstsein, Gewalt in modernen Gesellschaften; Geschichte der Psychologie und der Psychologisierung der soziokulturellen Welt.

Nächster Vortrag in dieser Reihe:

Prof. Dr. Christoph Antweiler (Südostasienwissenschaft, Universität Bonn)

Mensch und Weltkultur. Universalien und neuer Kosmopolitismus im Anthropozän

Montag, 19. November 2012, 18:15 Uhr, N 1 (Muschel)