Dr. Norbert Spitz – Vortragsexposé – Wintersemester 2004/2005

Die Akademie für Bildende Künste der Universität Mainz und das Studium generale laden zu folgendem Gastvortrag ein:

Dr. Norbert Spitz (Kabul)

Kultur und Bildung in Afghanistan im Jahr 3 nach den Taliban

Donnerstag, 9. Dezember 2004, 18.00 Uhr, Hörsaal P 2 (Philosophicum)

Nach mehr als 25 Jahren Besatzung, Bürgerkrieg und Taliban unternimmt Afghanistan die ersten Schritte hin zum Aufbau von zivilgesellschaftlichen Strukturen und zu einer funktionierenden Demokratie. Mit massiver Unterstützung der internationalen Staatengemeinschaft, aber auch mit vielen eigenen Anstrengungen sind erste Erfolge zu verzeichnen. Die ersten freien und geheimen Wahlen seit 40 Jahren waren im vergangenen Oktober – trotz aller Unzulänglichkeiten – ein weiterer Schritt hin zur Normalisierung.
Das Goethe-Institut ist seit 1965 in Afghanistan tätig, war aber in den Jahren von 1990 bis 2002 geschlossen. In den ersten zwei Jahren seit Wiederaufnahme der Aktivitäten lag der Schwerpunkt der Arbeit auf der Unterstützung afghanischer Kultur- und Bildungseinrichtungen mit materieller Ausstattung und auf Qualifizierungsmaßnahmen örtlicher Kulturschaffender. Nicht nur der Bürgerkrieg, der wesentlich für die physische Zerstörung des Landes verantwortlich ist, sondern auch die Jahre der Talibanzeit haben zu einer massiven Abwanderung gebildeter und intellektueller Afghanen geführt, die auch im 3. Jahr der Nachtaliban-Zeit nur sehr zögerlich zurückkehren.
Angesichts der Vielzahl der Probleme beim Wiederaufbau Afghanistans in allen Bereichen der Gesellschaft sehen sich Kultur- und Bildung nur einem mäßigen Interesse seitens der Geberländer gegenüber. Demobilisierung privater Milizen und Kampf gegen Mohnanbau und Drogenhandel, aber auch die Schaffung staatlicher Organe und der Aufbau der Wirtschaft stehen deutlich höher in der Skala der Maßnahmen. Ohne eine wesentliche Verbesserung des Bildungswesens (die deutlich über den Bau neuer Schulen hinausgehen muss) und ohne eine Kultur, die die eigene Geschichte und Gegenwart reflektiert, wird aber das Ziel einer funktionierenden Demokratie wesentlich langsamer erreicht werden. Der Vortrag versucht, eine illustrierte Momentaufnahme der augenblicklichen Situation zu vermitteln und denkbare Perspektiven aufzuzeigen.

Norbert Spitz, Dr. rer. soc., Jahrgang 1953, arbeitet seit 18 Jahren für das Goethe-Institut und war bisher in Kopenhagen, Frankfurt, Khartoum, München und Montréal tätig. Seit März 2004 leitet er das Goethe-Institut Kabul.