Prof. Dr. Karl Grammer · Vortragsexposé · Sommersemster 2010

STUDIUM GENERALE: MAINZER UNIVERSITÄTSGESPRÄCHE



"DAS SCHÖNE – FORMEN UND FUNKTIONEN"

Prof. Dr. Karl Grammer (Wien)

Darwinsche Ästhetik – Ist Schönheit mehr als nur Oberfläche?

Mittwoch, 28. April 2010, 18.15 Uhr, Hörsaal N 1 (Muschel)



Viele Wissenschaftler gehen davon aus, dass Attraktivität ein Begriff ist, der kulturell und historisch hochvariant ist. Bei näherer Betrachtung ist diese Aussage aber nicht haltbar, denn wir wissen aus vielen Forschungsarbeiten, dass die Attraktivität eines Gesichtes zumindest innerhalb einzelner Populationen sehr streng definiert und von allen Mitgliedern gleich beurteilt wird. Worin dieses Stereotyp besteht, ist zurzeit noch Gegenstand intensiver Forschung. Dabei wird vor allem von der Annahme ausgegangen, dass aufgrund evolutiv entstandener Systembedingungen Attraktivität ein durch sexuelle Selektion entstandenes "ehrliches", also unfälschbares Signal darstellt.

Wenn diese Hypothese zutrifft, dann muss "Schönheit" auf der Wahrnehmung von Signalen beruhen, die einen so genannten "Kern der Wahrheit" besitzen. D. h. Schönheit darf nicht nur im Auge des Betrachters liegen, sondern muss sich auch in der Form von beobachtbaren Merkmalen ausdrücken. Wenn dies der Fall ist, dann stellen sich weitere Fragen: Wenn Einzelmerkmale Schönheit signalisieren, welchen Kern der Wahrheit besitzen sie dann? Signalisieren alle Merkmale unterschiedliche Fitness-Aspekte – wie weit verbreitet angenommen wird – oder stellt das gesamte Erscheinungsbild eines Menschen sozusagen ein Ornament dar, das eine generelle Signalwirkung besitzt?

Prof. Grammer wird in diesem Vortrag zeigen, wie in der Biologie moderne mathematische Methoden und Computermodelle eingesetzt werden, um dieser Frage nachzugehen und welche überraschenden Ergebnisse es dabei gibt. Denn Schönheit, so variabel sie wahrgenommen werden mag, hat nach diesen Ergebnissen eine biologische Grundlage, deren Ursprung in der sexuellen Selektion zu finden ist. Dieser Ursprung hat zu Konstruktionsanleitungen für die Wahrnehmung von Schönheit geführt – und nicht zu spezifischen Inhalten.



Prof. Dr. Karl Grammer (1950) studierte Biologie, Anthropologie und Physik an der Ludwig-Maximilians-Universität München. 1972 Diplomarbeit und 1982 Dissertation an der Forschungsstelle für Humanethologie der Max-Planck-Gesellschaft in Seewiesen. Dort bis 1991 wissenschaftlicher Assistent. 1990 Habilitation an der Universität Wien und 1991 Leiter des Ludwig-Boltzmann-Instituts für Stadtethologie in Wien. 1994 Forschungsstipendium an der Universität Kyoto. 2002 Zdenek Klein Award für besondere integrative Forschungsleistungen und 2004 erster Preis der internationalen Ausschreibung Vienna Cooperate für besonders innovative technologische Projekte. Ab 2005 Forschungsaufenthalt am Zentrum für Interdisziplinäre Forschung in Bielefeld. Thema: Computersimulation menschlicher Kommunikation. Seit 2010 Leiter der Human Behavior Research Group an der Universität Wien.



Nächster Vortrag in dieser Reihe:

Prof. Dr. Irmtraud Fischer

(Institut für Alttestamentliche Bibelwissenschaft, Karl-Franzens-Universität Graz)

Reich-und-schön – und gottesfürchtig! Zum strategischen Einsatz weiblicher Schönheit in der Judit-Erzählung und deren Rezeption in der Kunst

Mittwoch, 5. Mai 2010, 18.15 Uhr, Hörsaal N 1 (Muschel)