Dr. Charlotte Krauss · Vortragsexposé · Wintersemester 2009/2010

Der Interdisziplinäre Arbeitskreis für Drama und Theater und das Studium generale laden im Rahmen der Ringvorlesung WENDEZEITEN UND EPOCHENUMBRÜCHE: DIE AUSEINANDERSETZUNG MIT HISTORISCHEN ZÄSUREN IM DRAMA zu folgendem Vortrag ein:

Dr. Charlotte Krauss (Département d'Allemand, Univ. de Strasbourg)

Engagiert romantisch? Das französische drame romantique zwischen ästhetischem und politischem Revolutionsanspruch

Montag, 11. Januar 2010, 18.15 Uhr, P 4 (Philosophicum)

Das französische drame romantique ist in einer Zeit politischer Umbrüche verankert und entwickelte aus diesem zeitlichen Kontext heraus einen Anspruch auf politische Gültigkeit. Victor Hugo, der das Genre schon 1827 im Vorwort seines Dramas Cromwell definierte, stellte neben ästhetischen Neuerungen den Zeitbezug in den Vordergrund. So sollten auch die Volksmassen, die die Französische Revolution eindrucksvoll in die kollektive Vorstellung eingeführt hatte, auf die Bühne gelangen. Anlässlich der Uraufführung seines Dramas Hernani kam es 1830 zur Auseinandersetzung von konservativen und progressiven Kräften; die legendäre "Bataille d'Hernani" verdeutlicht den gesellschaftlichen Stellenwert des neuen Dramas. In der Folge jedoch mussten die Autoren immer wieder Zugeständnisse machen und sich zum Teil weit von ihrem anfänglichen Revolutionsanspruch entfernen.
Dieser Vortrag soll die Spanne zwischen politischer und künstlerischer Ambition beispielhaft am Werk zweier Autoren zeigen: Victor Hugo, dem Theoretiker des neuen Dramas, und Alexandre Dumas, der explizit die Nähe zum Populärtheater suchte. War der doppelte Anspruch, ein ästhetisch neues wie auch politisch einflussreiches Theater zu schaffen, von Anfang an zum Scheitern verurteilt? Dauerhaften Erfolg jedenfalls hatte das oft als unspielbar oder langweilig bezeichnete drame romantique nicht: Die heutigen von Hugo oder Dumas inspirierten Massenspektakel sind nahezu durchweg Inszenierungen ihrer weltbekannten Romane. Hatte das ambitionierte französische "Schwellentheater" letztlich keine Zukunft?

Dr. Charlotte Krauss, Studium der Romanistik, Politikwissenschaft, Deutsch als Fremdsprache in Mainz und Lyon. 2001–2006 wissenschaftliche Mitarbeiterin für französische Literatur an der Johannes Gutenberg-Universität. Seit 2006 DAAD-Lektorin für Deutsch/deutsche Literatur an der Université de Strasbourg (Frankreich).
Forschungsschwerpunkte/Publikationen: Promotion 2006 zur Darstellung Russlands und der Russen in der französischen Fiktion des 19. Jahrhunderts. (La Russie et les Russes dans la fiction française du XIXe siècle. 1812–1917. D'une image de l'autre à un univers imaginaire, Amsterdam/New York, Rodopi, 2007.)
Forschungsschwerpunkte und Publikationen zur europäischen Literatur (Roman und Theater) des 19. Jahrhunderts, Literatur und Politik, Populärliteratur und kollektive Vorstellungen. Aktuelles Forschungsprojekt zum europäischen Theater (1830–1848) zwischen Zensur und Propaganda.

Nächster Vortrag in dieser Reihe:
Prof. Dr. Alfred Gall (Institut für Slavistik, Universität Mainz)
Finis Poloniae – vom Untergang zum Übergang:
Dramatik der Sinnstiftung in der polnischen Literatur des 19. Jahrhunderts
Montag, 18. Januar 2010, 18.15 Uhr, P 4 (Philosophicum)