Prof. Dr. Kurt M. Kotrschal – Vortragsexposé – Wintersemester 2008/2009

THEMENSCHWERPUNKT DES STUDIUM GENERALE
"BIOLOGISCH DETERMINIERT? MENSCHSEIN ZWISCHEN ZWANG UND AUTONOMIE"

Prof. Dr. Kurt M. Kotrschal
(Wien)

Biologie der Moral

Dienstag, 16. Dezember 2008, 18.15 Uhr, Hörsaal N 1 (Muschel)

Der Titel mag provozieren, weil die Evolution bekanntlich funktionierende Systeme hervorbringt, die aber nicht notwendigerweise “moralisch” oder “gut” im Sinne einer menschlichen Ethik sein müssen. Aus dem Sein kann kein Sollen abgeleitet werden, so das Credo, welches dem brüchigen Frieden zwischen (Human)ethologie und Geisteswissenschaften zugrunde liegt. Sogar unter den Biologen scheint weitgehend anerkannt, dass Geist und Kultur des Menschen Ethik und Moral hervorbringen, nicht aber direkt seine Biologie.
Ist diese klare Trennung zwischen Natur und Geist gerechtfertigt? Neuere Ergebnisse der organismischen Biologie lassen daran zweifeln. Bereits Konrad Lorenz sprach vom “moralanalogen” Verhalten von Tieren. Der aktuelle Erkenntnisstand weist die menschliche Moralfähigkeit und -bedürftigkeit als Teil des Darwinschen Kontinuums aus, entstanden im sozialen Kontext. Wirbeltiere, von Fisch bis Mensch verfügen über ein herkunftsgleiches “soziales Netzwerk” im Gehirn, welches für die instinktive Steuerung des sozio-sexuellen Verhaltens zuständig ist.
Darüber hinaus finden sich zumindest bei den gleichwarmen Wirbeltieren Hirngebiete, welche u.a. die Impulse kontrollieren und sozial angepasstes Verhalten ermöglichen, der praefrontale Kortex der Säugetiere und das Nidopallium caudolaterale der Vögel. Spiegelneuronsysteme werden im Zusammenhang mit Stimmungsübertragung und spontaner Empathiefähigkeit diskutiert. Moralfähigkeit ist daher erheblich biologisch fundamentiert und selbst bei den Inhalten, beim grundlegenden Normenkatalog scheint es sich um eine “menschliche Universalie” zu handeln, wie die Beispiele des Küngschen “Weltethos” oder der Anspruch auf universelle Menschenrechte verdeutlichen. Den Rahmen für die menschliche Selbstbestimmtheit liefert die Reaktionsnorm. Darüber kann sich auch der Geist nicht hinwegsetzen.

Kurt M. Kotrschal, Mag.rer.nat., Prof. Dr., geboren 1953 in Linz, Studium der Biologie an der Univ. Salzburg, 1981 Promotion, 1987 Habilitation und 1976-1981 an der Univ. Salzburg, Forschungsaufenthalte an den Universitäten Arizona und Colorado, USA. Arbeiten zur Evolution der Fische und zur Funktion von Sinnes- und Nervensystemen. Seit 1990 Leiter der Konrad Lorenz Forschungsstelle für Ethologie in Grünau/Oberösterreich (www.klf.ac.at, www.wolfscience.at) und Professor am Department für Verhaltensbiologie, Fakultät für Lebenswissenschaften, Universität Wien. Forschung an hormonalen, kognitiven und energetischen Aspekten sozialer Organisation und zunehmend auch Mensch-Tierbeziehung. Etwa 200 Originalartikel in Fachzeitschriften, Buchbeiträge und Bücher.

Nächster Vortrag in dieser Reihe:
Dr. Tobias Deschner (Wiss. Mitarbeiter, Gruppenleiter Verhaltensendokrinologie, MPI für evolutionäre Anthropologie, Leipzig)
Die Entwicklung von Kultur bei wildlebenden Schimpansen
Dienstag, 6. Januar 2009, 18.15 Uhr, Hörsaal N 1 (Muschel)