Prof. Dr. Werner Konold und Prof. Dr. Hubert Weiger – Vortragsexposé/Thesensammlung – Wintersemester 2008/2009

THEMENSCHWERPUNKT DES STUDIUM GENERALE
"NATURSCHUTZ UND WISSENSCHAFT. THEORIE – PRAXIS – WISSENSTRANSFER"

Diskussionsabend mit zwei Kurzvorträgen zur Frage:
Naturschutzkonzepte im Wandel – Notwendige Dynamik oder Preisgabe genuiner Ziele?

Diskutanten und Redner:
Prof. Dr. Werner Konold und Prof. Dr. Hubert Weiger
Moderation: Dipl.-Ing. Hildegard Eissing (MUFV RLP)

Montag, 15. Dezember 2008, 18.15 Uhr, N 3 (Muschel)

Prof. Dr. Werner Konold:
Prof. Dr. sc. agr. Werner Konold: Jahrgang 1950; aufgewachsen auf der Schwäbischen Alb (was ihn geprägt hat); vor dem Studium 1 Jahr landwirtschaftliches Praktikum; 1970 bis 1975 Studium der Allgemeinen Agrarwissenschaften an der Universität Hohenheim; anschließend Bearbeitung mehrerer Forschungs- und Planungsprojekte, daneben freiberufliche Planungs- und Gutachtertätigkeit; 1983 Promotion über die Ökologie kleiner Fließgewässer (Uni Hohenheim); 1988 Habilitation über die Geschichte, Limnologie, Vegetation und den Naturschutz von oberschwäbischen Stillgewässern; seit 1997 Inhaber des Lehrstuhls für Landespflege an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg. – Forschungsschwerpunkte: Kulturlandschaftsforschung (Geschichte, Triebkräfte, Ökologie), Landschaftsentwicklung und neue Landnutzungsformen, Regionalentwicklung, Naturschutz (Wald, Offenland, Gewässer), Bewertung im Naturschutz, Gewässerkunde, Wasserhistorie, Klimawandelforschung; Leiter mehrerer großer inter- und transdisziplinärer Forschungsprojekte. – Sprecher des Deutschen Rates für Landespflege, Mitglied des MAB-Nationalkomitees, Mitglied im Strategiebeirat Sozialökologische Forschung beim BMBF, Mitglied im Fachausschuss für Naturschutzfragen beim Ministerium für Ernährung und Ländlichen Raum Baden-Württemberg, Vorsitzender der Naturforschenden Gesellschaft zu Freiburg im Breisgau, und weitere Ehrenämter. – Träger des Großen Binding-Preises für Natur- und Umweltschutz 2004.

Prof. Dr. Hubert Weiger:
Diplomforstwirt, Studium der Forstwirtschaft an der Universität München und an der ETH Zürich. 1976 großes Forstliches Staatsexamen. 1986 Promotion an der Münchner Universität mit summa cum laude über bodenkundliche und forsthydrologische Fragen. Seit 2002 Vorsitzender des Bundes Naturschutz in Bayern e.V. (BUND Landesverband Bayern); seit 2007 Vorsitzender des Bund für Umwelt und Naturschutz in Deutschland (BUND) e.V. Seit 1994 Honorarprofessor an der Universität Kassel für Naturschutz und nachhaltige Landnutzung sowie seit 2002 Lehrbeauftragter für Naturschutzpolitik an der TU München im Fachbereich Forstwissenschaft und Ressourcenmanagement. Mitglied in zahlreichen fachwissenschaftlichen Gremien, zahlreiche Veröffentlichungen mit den Hauptarbeitsgebieten Naturschutzpolitik, Naturschutzgeschichte, Bodenschutz, Land- und Forstwirtschaft.

Prof. Dr. Werner Konold – Thesen zum Vortrag:
• Im Naturschutz wirken nach wie vor die Rudorff’sche und die Conwentz’sche Tradition, zum Teil in ein und derselben Person.
• Nach wie vor von hohem emotionalem und auch fachlichem Stellenwert ist das (auch nur vermeintlich) Unverfälschte, Ursprüngliche, Natürliche; "Naturnähe" führt immer noch die Hitliste der Bewertungskriterien im Naturschutz an.
• Dem Ursprünglichen, dem Unverfälschten, der "Wildnis" wird nach wie vor eine gewisse sozialhygienische Bedeutung beigemessen, wenn auch heute auf einem anderen Niveau und mit anderen Worten.
• Der Wunsch nach Erhaltung der "gewachsenen Landschaft" auf einem wie auch immer gearteten Status quo ist nach wie vor ein Denkschema städtisch-bürgerlicher Kreise ("der wandernde Städter").
• Ästhetische Aspekte – Vielfalt, Eigenart und Schönheit – in der Landschaftsgestaltung wurden in der ökologisierten Epoche des Naturschutzes zurück gedrängt, scheinen jedoch erfreulicher Weise wieder stärker in den Vordergrund gerückt zu werden, speziell auch in der Fachplanung des Naturschutzes. Damit käme die alte Landschaftspflege zu neuen Ehren.
• Nach wie vor dominant im Naturschutz ist die Gefährdungssemantik, nach der Natur etwas Verletzliches, Fragiles, vor den Menschen und durch den Menschen zu Schützendes sei.
• Neu und zukunftsträchtig ist das Aufgreifen und Praktizieren von traditionellen oder gar archaischen Nutzungsformen unter dem Eindruck der Herausforderungen beim Landschafts-, speziell beim Offenlandmanagement: großflächiger Einsatz von Haus- und Wildtieren, Waldweide, Einsatz von Feuer. Auf diesem Weg sollte man weiter voran schreiten und dabei auch an alte Eigentumsformen wie die Allmende denken, die es vom Prinzip her erleichtern würde, großflächiges Landschafts-Management zu betreiben.
• Neu und extrem wichtig sind integrative Entwicklungskonzepte für Landschaften mit partizipativen Elementen, wo es letztlich im besten Fall den Naturschutz einfach als Nebenprodukt gibt.
• Neu, aus normativer Sicht notwendig und zeitgemäß ist die Erforschung und zunehmende Wertschätzung urban-industrieller Landschaften sowie ausgebeuteter und stark beanspruchter Landschaftsräume. Dies führt auch zu einer differenzierten Beurteilung von "Eingriff" und "Schaden".
• Für notwendig und absolut zukunftsfähig – da mit Anschluss an Traditionen versehen – halte ich die sich andeutende Renaissance, Heimat und Heimatpflege wieder stärker mit dem Naturschutz zu verknüpfen. Dies wird dem Naturschutz generell, allerdings nicht dem puristischen Naturschutz, einen Akzeptanzschub geben, da er seinen sozialen und emotionalen Gehalt einbringen kann. Es bedarf hierzu noch einer breiten und ernsthaften Diskussion um einen modernen Heimat-, aber auch einen modernen Naturschutzbegriff.
• Modern heißt, den "Retro-Charakter" ein ganzes Stück weit aufzugeben und sich einer Verzeitlichung zu stellen.

Prof. Dr. Hubert Weiger – Vortragsexposé:
Der deutsche Naturschutz war in seiner Anfangsphase geprägt von Schutzbemühungen um einzelne Landschaftsausschnitte oder Vorkommen einzelner bedeutender Arten. Auch heute konzentriert sich der Naturschutz immer noch auf protektive Maßnahmen im Bereich des Arten- und Naturschutzes. Und obwohl die Ausweisung von Schutzgebieten in den letzten Jahrzehnten immer mehr zugenommen hat, ist eine Trendwende im Artenrückgang oder bei der Nivellierung der Landschaft nicht eingetreten. In der heutigen Diskussion um die Ziele und Strategien des Naturschutzes spielt daher zunehmend die Forderung nach Berücksichtigung dynamischer natürlicher Prozesse eine Rolle, denn viele Arten sind auf dynamische Prozesse, d.h. Störungen angewiesen. Eines der Ziele und Aufgaben des Naturschutzes in Deutschland muss es sein, natürliche dynamische Prozesse in der Landschaft wieder zu ermöglichen und deshalb den Anteil von Gebieten zu erhöhen, in die der Mensch nicht eingreift. Bei der Umsetzung entsprechender Konzepte ergibt sich jedoch eine Reihe von Problemen. Der Naturschutz muss auch Konzepte und Strategien entwickeln, um naturnahe Kulturlandschaften zu sichern. Streitpunkt der Leitbild-Diskussion ist dabei vielfach der Umfang und das Verhältnis zum Status-Quo-Naturschutz.