Und manchmal knallt der Ball eben gegen die Museumsmauern

5. Juni 2012

Afrikanische Museen sind längst nicht mehr nur Aufbewahrungsorte für verstaubte Exponate. Sie haben sich zum Schmelztiegel der Gesellschaft entwickelt. Hier diskutieren die Menschen politische Fragen, sie bilden sich fort oder treiben Sport. Drei Fachleute berichteten auf Einladung des Johannes Gutenberg-Stiftungsprofessors Friedemann Schrenk von dieser Entwicklung.

"Was gräbst Du da aus?", fragten die Menschen im malawischen Karonga. "Wir wollen das sehen." – "Also beschlossen wir, es ihnen zu zeigen", erzählt Friedemann Schrenk.

Als Inhaber der Johannes Gutenberg-Stiftungsprofessur 2012 ist der renommierte Paläoanthropologe zu Gast in Mainz, um in seiner Vorlesungsreihe "Out of Africa: Zur Globalgeschichte des Homo sapiens" den Weg zum modernen Menschen nachzuzeichnen. Doch gleich zu Beginn hatte er versprochen, dass auch das heutige Afrika eine große Rolle im Programm spielen sollte. Dieses Versprechen löste er nun ein. Schrenk empfing drei Gäste, die unter dem Titel "Transfer and reception – The role of museums in und for Africa" von den etwas anderen Museen ihres Kontinents berichteten.

Lernziel kulturelle Entwicklung

"Ich kenne mich mit so was nicht aus", stapelte Schrenk tief. "Ich bin auf tote Menschen spezialisiert, nicht auf lebende." Tatsächlich entstand aufgrund seines Entschlusses, den Menschen zu zeigen, was er an hominiden Fossilien in ihrer Region ausgräbt, das Kultur- und Museumszentrum von Karonga. "Wenn wir von Entwicklungshilfe sprechen, geht es nicht nur um Lebensmittel oder Gesundheit. Es geht auch um kulturelle Entwicklung. Das müssen wir noch lernen", erzählte er dem Publikum im RW1, dem größten Hörsaal der Johannes Gutenberg-Universität Mainz.

"Es gibt nicht die eine Rolle von Kultur. Kultur kann benutzt werden, um Menschen zu trennen, sie kann sogar für Völkermord missbraucht werden. Aber sie kann auch Gemeinschaft schaffen", so Mike van Graan. Er beriet unter anderem den Kulturminister in Nelson Mandelas erstem Kabinett, engagiert sich in führender Position für Organisationen, die afrikanische Künstler fördern, und gilt als einer der wichtigsten Theaterautoren des heutigen Südafrika.

Erbe der Kolonialherrscher

Van Graan hat erlebt, wie die Museen, Erbe der Kolonialherrscher, auch Instrument der Apartheid wurden. Aber er hat auch erlebt, wie diese Institutionen in Afrika ihr Gesicht grundlegend änderten. Ein Beispiel dafür ist das Fort Jesus.

Dr. George Abungu, Archäologe und Vizepräsident des International Council of Museums in Kenia, erzählt: "Museen haben eine Geschichte. Sie waren auch bei uns wichtige kulturelle Institutionen, in denen die Identität einer Nation Ausdruck fand, wo die großartigsten Exponate aufgehoben wurden." Das hätten die Afrikaner erst einmal so von den Kolonialherren übernommen.

Vom Gefängnis zum Museum

"Doch in den 1990ern begannen die Leute zu fragen: 'Sollten Museen nicht eine aktivere Rolle in unserer Gesellschaft spielen?'" Hier kam Fort Jesus in Mombasa ins Spiel. 1593 von den Portugiesen errichtet, gilt der Komplex als Meisterstück des damaligen Festungsbaus. Unter späteren Machthabern, darunter die Briten, wurde er zum Gefängnis – und dann zum Museum.

"Wir fragten alle Gemeinschaften: Was wollt ihr?", erzählt Abungu von der Umwidmung der Festung. Verschiedenste Bevölkerungsgruppen brachten sich ein. "Fort Jesus wurde zu einem Schmelztiegel, einem Punkt, von dem aus wir Abschied von der Vergangenheit nahmen, um in Richtung Zukunft zu gehen." Der einstige Ort für Ausstellungen diente als Trainingscenter für junge Leute. Sie lernten, ihre Häuser zu sanieren. Er wurde zum Ort der Diskussion über Politik und Kultur. "Das Museum verließ sogar seine Mauern", so Abungu. Fußballspiele finden in seinem Schatten statt. "Manchmal trifft der Ball die Mauern, aber das gehört dazu." Fort Josef, 2011 zum Weltkulturerbe erklärt, reifte zu einer Institution, die sich um die ökonomischen Interessen der Menschen kümmert, um die Umwelt und sogar um den Sport.

Museen verändern sich afrikaweit

Von einem ähnlichen Museum erzählt Ciraj Rassool, Leiter des African Programme in Museum and Heritage Studies an der University of the Western Cape: Auch das District Six Museum in Kapstadt ist Versammlungs-, Bildungs- und Diskussionsort. So gab van Graan hier Workshops zur Geschichte des Theaters. "Wir leben in einer Zeit, in der sich das Konzept vom Museum, wie wir es kennen, fundamental ändert“, sagt Rassool. "Afrikaweit!"

Doch ihm liegt noch ein anderer Aspekt am Herzen. Afrika wurde von den Kolonialmächten in vielerlei Hinsicht geplündert. Fossilien, Kunst und religiöse Artefakte wanderten in die Sammlungen der Welt. Doch damit nicht genug: Im Jahr 1909 grub der österreichische Ethnograf Rudolf Pöch Leichen aus, um ihre Knochen in seine Wiener Museumssammlung zu überführen. Die San, die Buschmänner, galten damals als Vertreter einer Frühform des Menschen. Das musste dokumentiert werden, fand Pöch, da konnte keine Rücksicht genommen werden. Die sterblichen Überreste von Klaas und Trooi Pienaar von den Khoisan wurden nach Wien verfrachtet.

Klaas und Trooi Pienaar kehren heim

Rassool beschreibt, wie sich die Sicht auf solche Vorgänge allmählich änderte. Die Repatriierung von Objekten aus Afrika setzte ein. Entsprechende Gesetze führten zu Verhandlungen mit den Museen der Welt. Und eine Rehumanisierung sollte auch stattfinden. Pöchs Exponate sollten in ihre Heimat überführt werden.

"Im Wiener Museum witzelte jemand: 'Sie wollen Trooi und Klaas treffen? Hier sind sie.' Die Person reichte ein paar Knochen rüber." Die Atmosphäre bei den Verhandlungen war angespannt. Es dauerte, bis Verständnis für die Position des jeweiligen Gegenübers aufkeimte. Aber im April 2012 kamen Trooi und Klaas Pienaars Überreste endlich zurück nach Südafrika.

"Gegenseitiges Verständnis und Respekt, das ist uns wichtig", meint Abungu dazu. Das sei auch der Weg, den die afrikanischen Museen eingeschlagen hätten. "In der Vergangenheit waren sie wie alle anderen Museen, auch bei uns lagen verstaubte Exponate. Heute reagieren wir auf die Bedürfnisse der Menschen."