Ring frei für 10 Minuten Wissenschaft

22. August 2016

Einst wurde er von der Fachwelt belächelt und misstrauisch beäugt, doch mittlerweile hat sich das Format des Science Slam fest etabliert. Der unterhaltsame Wettstreit junger Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler eignet sich hervorragend, um aktuelle Forschung einem breiten Publikum nahezubringen. Auch Mainz hat längst seine eigene Science Slam-Szene – und im Oktober steht ein LifeScienceSlam eigens anlässlich der Wiedereröffnung der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) vor 70 Jahren an.

Lorenz Adlung wundert sich. "Ich habe noch nicht verstanden, warum Science Slams so gut funktionieren", gesteht der Heidelberger Systembiologe. "Es kommt ein Publikum, das zum Großteil noch nie auf so einer Veranstaltung war. Sie wissen nicht, wer auf der Bühne stehen oder um welche Themen es gehen wird." Und sie kommen, um sich wissenschaftliche Kurzvorträge über beispielsweise Statistik oder Genetik, über das Universum oder den Blutkrebs anzuhören.

"Ausgerechnet rot" hat Adlung einen seiner zehnminütigen Vorträge betitelt. "Ich will zeigen, was ich als Wissenschaftler mache", sagt er. "Der große Anreiz ist, eine Sache so einfach wie möglich und so kompliziert wie nötig darzustellen." Voriges Jahr trat er beim bis auf den letzten Platz ausverkauften Mainzer Science Slam im Capitol-Kino auf. Für die hiesige Szene war der etwas schnoddrig wirkende Typ mit der St. Pauli-Snapback-Cap eine echte Entdeckung.

Bienchen, Blümchen und Mathematik

Die Systembiologie erklärte Adlung seinem Publikum als eine "Mischung aus Bienchen-und-Blümchen-Wissenschaft und angewandter Mathematik". Seine Arbeit am Deutschen Krebsforschungszentrum in Heidelberg (DKFZ) skizziert der Doktorand in wenigen Sätzen: "Wir wollen verstehen, wie sich unser Blut regeneriert, und künstliches Blut in der Petrischale herstellen. Wir wollen den Blutkrebs identifizieren und besiegen. Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass eine Zelle zur Krebszelle entartet? Wir bedienen uns der Mathematik als einem nützlichen Instrument, um dem Krebs auf die Pelle zu rücken."

Es gab eine Zeit, da galt der Science Slam einem Gros der Wissenschaftler als unseriös. Auch Adlung hat schon zu hören bekommen, dass seine Auftritte eher Klamauk seien. "Diese Wahrnehmung hat sich geändert", berichtet Gabriel Belinga Belinga, "das Science Slam-Format wird eben nicht mehr als Klamauk angesehen, sondern als wichtiger Teil der Wissenschaftskommunikation. Immer mehr Leute sehen das große Potenzial." Im Team von LUUPS, einer Initiative, die sich als Verlag, Agentur und Plattform versteht und regionale Aktivitäten im Bereich Kunst und Musik bündelt, veranstaltet er regelmäßig Science Slams, häufig auch in Zusammenarbeit mit der Johannes Gutenberg-Universität Mainz.

Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler stellen beim Science Slam ihre eigene Forschung vor. Für jede Präsentation gibt es zehn Minuten Zeit und am Ende bestimmt das Publikum per Applaus den Champion des Abends. Vorbild für dieses Format des Science Slam, das seit etwa zehn Jahren existiert, war der Poetry Slam, bei dem Autorinnen und Autoren unter ganz ähnlichen Rahmenbedingungen gegeneinander antreten.

Doktorandin im Rampenlicht

Belinga Belinga hat erlebt, wie junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zögerten, an solch einer Veranstaltung teilzunehmen. "Vor ein paar Jahren haben wir noch Klinken geputzt und bekamen immer mal wieder zu hören: 'Ich glaube nicht, dass so etwas meinem Prof gefallen würde.'" Das hat sich mittlerweile geändert – auch dank der renommierten Featured Scientists, die dem wissenschaftlichen Nachwuchs am Science Slam-Abend mit einem eigenen kleinen Beitrag die Bühne ebnen.

Mit Blick auf das relativ neue Format war dem Büro für Frauenförderung und Gleichstellung an der JGU im letzten Jahr aufgefallen, dass Wissenschaftlerinnen bei Science Slams oft unterrepräsentiert sind. Gemeinsam mit LUUPS rief es daraufhin die jungen Akademikerinnen der JGU auf, sich an einem Mainzer Science Slam for Female Researchers zu beteiligen. Zur Vorbereitung und damit die Teilnehmerinnen nicht völlig unvorbereitet in den Ring steigen, organisierten die Universität und LUUPS zudem einen speziellen Slam-Workshop – mit großem Erfolg.

An beidem nahm Nina Brück, Doktorandin am Institut für Erziehungswissenschaft der JGU, teil. Von Klamauk war keine Rede und von Skepsis keine Spur, als sie sich dazu entschloss. Im Gegenteil: Am Institut wurde Brück bestärkt.

Beim Workshop coachten eine Sprachtrainerin sowie ein erfahrener Slammer und Slam-Coach die Teilnehmerinnen. "Das war sehr hilfreich. Ich hatte ja wenig Ahnung davon, was ein Science Slam ist und was es zu beachten gibt. Es begann mit ganz einfachen Tipps wie etwa besser keine hochhackigen Schuhe beim Slam zu tragen, weil sich das auf die Atmung und damit auf die Stimme auswirkt." Vortragsdramaturgie und Spannungsbogen, der Einsatz von sprachlichen und medialen Mitteln und die Einbeziehung des Publikums wurden ausführlich besprochen.

Transparente Wissenschaft

Am Ende stand Brück vor gut 300 Gästen im wieder einmal ausverkauften Capitol. Sie erzählte von ihrer Forschung zur Moralentwicklung. Für ihre Doktorarbeit stellte sie rund 80 Kita-Kinder vor ein Problem: Ein Kind bekommt zwei Bonbons. Eines darf es selbst lutschen, das andere soll es verschenken. Aber an wen? Lieber an eines seiner Geschwister oder doch an die beste Freundin, an den besten Freund? In Interviews erfragte die Erziehungswissenschaftlerin, wie sich die Kleinen angesichts dieses Dilemmas entscheiden würden.

Die Auswertung der Daten steht noch an, aber beim Science Slam konnte Brück immerhin einen ersten Eindruck davon vermitteln, worum es ihr geht. Als besonderes i-Tüpfelchen gab es bei ihrem Auftritt zwei Bonbons für jeden Gast. So begann das Spiel mit dem Publikum. Brück verpasste zwar den Sieg beim Science Slam for Female Researchers, aber ein Erfolg wurde ihr erster Auftritt dennoch. Sie bekam neben dem Applaus eine Einladung zum Auftritt beim Dortmunder Science Slam.

"Das Format des Science Slam hilft dabei, Transparenz zu schaffen", sagt Brück. "Wir bekommen so die Möglichkeit, unsere Forschung einem breiteren Publikum vorzustellen." – "Gut, Öffentlichkeit könnte ich auch bekommen, wenn ich einen Blog schreibe", räumt Adlung ein. "Aber beim Slam habe ich den direkten Kontakt zum Publikum. Ich habe mittlerweile gelernt, mich auf die Leute und ihre Reaktionen einzustellen. Und wenn sie applaudieren, gibt mir das viel."

Das bundesweite Netz für Science Slams ist längst geknüpft. Deutsche Meisterschaften werden regelmäßig ausgetragen. Gabriel Belinga Belinga und das LUUPS-Team wollen Adlung für die kommenden Meisterschaften nominieren. Der Systembiologe reist derzeit von Slam zu Slam, betont aber zugleich: "Mir ist wichtig, dass ich als Wissenschaftler ernst genommen werde. Beim Slam stelle ich Forschung zwar öffentlichkeitswirksam und mit Humor vor, aber es bleibt immer seriös: Es ist wirklich meine Forschung, wovon ich da rede."