Wenn Medien Menschen zeichnen

17. September 2014

Nach elf Jahren ist er zurück in Mainz. Anfang April 2014 wurde Christian Schemer auf die Professur für Allgemeine Kommunikationswissenschaft am Institut für Publizistik der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) berufen. Aus der Schweiz bringt er große Pläne mit. Er möchte Labors aufbauen, um genauer zu erforschen, wie Menschen auf Medienberichte über soziale, politische oder ethnische Gruppen reagieren.

"Ausländer und Asylsuchende sind in den Schweizer Medien ein ganz großes Thema", berichtet Prof. Dr. Christian Schemer. Am Institut für Publizistikwissenschaft und Medienforschung (IPMZ) der Universität Zürich hat er als Postdoc untersucht, wie diese Gruppen in den Medien dargestellt werden. Er wollte wissen, wie diese Darstellung die Konsumenten beeinflusst.

"Von da aus bin ich zu einer allgemeineren Fragestellung gekommen", erzählt der 37-Jährige. "Welche Auswirkungen hat es, wenn Medien einmütig über gewisse Gruppen berichten?" Dem will der Kommunikationswissenschaftler als frisch ernannter Professor für Allgemeine Kommunikationswissenschaft am Institut für Publizistik der Johannes Gutenberg-Universität Mainz nachgehen.

Von alten und von dicken Leuten

"Alte Menschen werden in den Medien meist als sympathisch, aber uninformiert gezeigt. Oder nehmen sie übergewichtige Menschen: In Filmen und auf Fotos wirken sie oft unvorteilhaft. Sie werden häufig sitzend und damit als weniger aktiv porträtiert. Und wenn es um das Thema Ernährung geht, tauchen sie häufig in Verbindung mit Junk Food auf, mit ungesunder Ernährung. So eine Darstellung ist auf Dauer ungünstig für eine soziale Gruppe."

Auch das Fehlen von Bildern und Berichten hat Schemer im Blick: "In den Medien werden wir kaum mit behinderten Menschen konfrontiert. Wir bekommen in diesem Bereich keinen Kontakt, wir bekommen keine Informationen zu Behinderten. Das fördert ein Unbehagen gegenüber dieser Gruppe. Vorbehalte bleiben bestehen."

Schemer nennt dieses Thema bescheiden sein "Steckenpferd". Diese Formulierung trifft es nicht ganz, auch wenn sich der Kommunikationswissenschaftler sonst als sehr beredt erweist. Denn es ist mehr als ein bloßes Steckenpferd, weit mehr als ein Hobby, was ihn da beschäftigt. Das wird schnell klar.

Seinem neuen Büro im Georg Forster-Gebäude hat Schemer bereits seinen Stempel aufgedrückt. Buntstiftzeichnungen seiner Tochter hängen an einer Wand und das Bücherregal ist auch bereits gut bestückt. Den Forster-Bau gab es noch nicht, als Schemer 1997 mit seinem Studium der Publizistik, Politikwissenschaft und Romanischen Philologie an der JGU begann. Seitdem hat sich nicht nur an der Universität, sondern auch für ihn viel getan. Neben seiner Zeit in Zürich war er Visiting Scholar an der University of Pennsylvania in den USA und hatte eine Vertretungsprofessur für Kommunikationswissenschaft an der Ludwig-Maximilians-Universität München inne. "Nun bin ich wieder hier. Das ist ein gutes Gefühl."

Von hartnäckigen Vorurteilen

Wie also reagieren Menschen darauf, wenn bestimmte Gruppen in Medien auf eine ganz bestimmte Art dargestellt werden? "Es hat sich gezeigt, dass es leichter ist, Vorurteile zu bestätigen als sie aufzubrechen. Wir haben Probanden explizit nach ihren Vorurteilen gefragt. Danach zeigten wir einer Gruppe einen vorurteilsbehafteten Beitrag." Die Kontrollgruppe sah eine differenziertere Reportage. "Danach haben wir sie wieder befragt." Die Beiträge mit den Vorurteilen setzten sich höchst erfolgreich fest.

Ein Problem seines Vorgehens spricht der Professor gleich selbst an: "Die Leute sagen uns natürlich nicht unbedingt die Wahrheit, wenn sie zum Beispiel wissen, dass Ressentiments gegen Ausländer gesellschaftlich nicht akzeptiert sind." Deswegen geht Schemer einen neuen Weg. "Ich bin dabei, Forschungslabore aufzubauen. Dort werden wir dann die Mittel haben, um etwa an der Gesichtsmuskulatur, der Mimik abzulesen, ob jemand die Wahrheit sagt oder nicht."

An dieser experimentellen Forschung liegt ihm viel. "Das wurde zwar schon zuvor in Mainz gemacht, aber nicht derart intensiv." Seine Pläne hat Schemer mit den Kolleginnen und Kollegen am Institut abgestimmt. "Das ist kein Alleingang und ich werde ganz sicher nicht der Einzige sein, der diese Labore nutzt. Davon werden wir alle profitieren." Auch für die Lehre sieht er dabei neue Perspektiven. "Wir können Studierende direkt in die Forschung einbeziehen, wir bieten ihnen Forschung zum Anfassen."

Über die Relevanz solcher Forschungen könnte Schemer viel erzählen. "Prinzipiell ist klar: Wir sind Gruppenwesen, wir brauchen andere Menschen zum Leben. Da ist es nützlich, sich einer Gruppe zugehörig zu fühlen, den Dozenten oder den Studierenden – oder den Fußballfans. Dabei favorisieren wir unsere eigene Gruppe. Das haben Sie beim Spiel Argentinien gegen Deutschland gesehen: Die Deutschen sind besser. Wir könnten auch die Übergruppe der Fußballfans bilden, aber das ist leider nicht so wirkungsvoll, damit identifizieren sich die Leute nicht so sehr."

Von Gruppen und Gegengruppen

Die Eigengruppenfavorisierung wird oft problematisch. "Schauen Sie sich die Abwertung der Einwanderer aus dem Osten an. Sie werden von vielen Politikern als Sozialschmarotzer bezeichnet." Das tragen die Medien dann weiter. "Wir sehen dann Menschen, die uns unser erarbeitetes Geld wegnehmen wollen."

Oft drücke sich Eigengruppenfavorisierung und die Abwertung einer Gegengruppe in unwillkürlichen Handlungen aus. "Vorurteile sind per se immer da, aber wir haben die Möglichkeit, dagegen anzukämpfen", betont Schemer. "Im Bus setzen Sie sich vielleicht automatisch nicht neben einen Behinderten oder neben jemanden, der wie ein Moslem aussieht. Sie können diese Reaktion aber aufbrechen, können Ihre Einstellung reflektieren – und sich gerade auf diesen Platz setzen, den Sie eben noch ausgeschlossen haben."

In Sachen Aufbrechen können die Medien eine wichtige Rolle spielen. "In der Neuen Zürcher Zeitung wurde sehr differenziert über Asylsuchende berichtet, über ihre Schicksale, ihre Motive, in die Schweiz zu kommen, über ihre Unterbringung. Dadurch sind sie nicht mehr einfach die Gruppe der Asylsuchenden, die angeblich unseren Wohlstand bedrohen."

Schemers "Steckenpferd" ist also höchst relevant. Es geht um Hartz-IV-Empfänger, die in den Augen vieler selbst Schuld sind an ihrem Schicksal, es geht um alte Menschen, denen nicht mehr viel zugetraut wird, und um Ausländer, die an den Rand der Gesellschaft gerückt werden. "Es gibt Untersuchungen, die belegen, dass der Stellenwert einer Gruppe innerhalb einer Gesellschaft immer etwa gleich ist, egal, in welcher Kultur", erzählt Schemer. "Wenn das stimmt, tragen die Medien dann vielleicht zu dieser Stabilität bei?"

Schemer hat viele Fragen mit nach Mainz gebracht. Nun macht er sich an ihre Beantwortung. "Ich fühle mich wohl hier", bekräftigt er zum Abschied und schaut sich um in seinem neuen Büro. Dann geht es wieder an die Arbeit.