Auf der Suche nach den Ursachen neurodegenerativer Krankheiten

27. Januar 2022

Mit Prof. Dr. Dorothee Dormann kam im Frühling 2021 eine Spezialistin für neurodegenerative Erkrankungen an den Fachbereich Biologie der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU). Dormann untersucht sehr erfolgreich die molekularen Prozesse, die Krankheiten wie Alzheimer zugrunde liegen. Dafür wurde die Zellbiologin und Biochemikerin bereits mehrfach ausgezeichnet.

Wenn sie einem Laien von ihrer Forschung erzählt, versucht Prof. Dr. Dorothee Dormann Fachbegriffe möglichst außen vor zu lassen. Das scheint allerdings nicht ganz leicht zu sein. Zwischendurch hält sie immer wieder mal inne. Aber am Ende zeichnet sie ein sehr lebendiges Bild ihrer Arbeit: "Uns interessiert, was bei neurodegenerativen Erkrankungen in den Nervenzellen schiefläuft", erklärt Dormann. "Warum sterben Zellen ab?" Ihre Arbeitsgruppe konzentriert sich vor allem auf die Amyotrophe Lateralsklerose (ALS) und die Frontotemporale Demenz (FTD), zwei Krankheiten, die einiges mit Alzheimer gemein haben, aber seltener auftreten. "Wir untersuchen die molekularen Prozesse, um den Ursachen der Erkrankungen auf die Spur zu kommen. Es geht dabei um allgemeine zellbiologische Prinzipien."

Im Kern dreht sich alles um Eiweiße, die Dinge tun, die sie nicht tun sollten. Dormann nennt Beispiele: "Ein bereits länger bekanntes Phänomen ist ein Aggregationsprozess, der in gewissen Proteinregionen, die ungefaltet sind, stattfindet. Dort lagern sich Moleküle zusammen und bilden Bündel." Dies geschieht zuerst in einigen wenigen Nervenzellen, greift dann aber um sich, breitet sich über die Gehirnregionen aus und führt zur Erkrankung. "Die Bündel sondern sich vom Rest der Zelle ab wie Öltröpfchen in einer wässrigen Flüssigkeit. Wir nennen das Phasentrennung. Normalerweise schafft es die Zelle, solche Verklumpungen zu verhindern. Wir wollen wissen, wie ihr das gelingt. Warum lagern sich diese Moleküle zusammen und was löst sie wieder auf?"

Proteinverklumpungen mit fatalen Folgen

Ein zweites Beispiel: "Einige Proteine lagern sich bei ALS und FTD in hoher Konzentration in den Nervenzellen ab. In gesunden Zellen sorgt ein Molekül dafür, dass sie in den Zellkern transportiert werden. Dort sollten sich diese Proteine auch aufhalten, um eine wichtige Rolle beim Ablesen des Erbguts zu übernehmen. Doch ihr Transport ist gestört. Sie bleiben im umliegenden Cytoplasma." Dort bilden sie wiederum Klumpen, die fatale Auswirkungen haben.

"Wenn wir solche Phänomene genau verstehen und wenn es uns dann auch noch gelänge, etwa den Transport dieser Proteine in den Zellkern zu stimulieren, wäre das ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu einer Behandlung", sagt Dormann. "Dies betrifft nicht nur ALS und FTD, sondern auch Alzheimer. In den letzten Jahren haben wir festgestellt, dass bei allen neurodegenerativen Krankheiten viele Prozesse sehr ähnlich ablaufen."

Dormann ist recht neu in Mainz. Sie wurde im Frühling 2021 als Professorin für Molekulare Zellbiologie ans Institut für Molekulare Physiologie der JGU berufen. Zuvor leitete sie eine Emmy Noether-Forschungsgruppe an der Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU). Mittlerweile ist ihr Umzug weitestgehend vollzogen, auch wenn sie ihren Schreibtisch erst mal in den Räumlichkeiten ihres Kollegen Prof. Dr. Edward A. Lemke aufgestellt hat. Ihr zukünftiges Domizil wird im Moment noch grundsaniert.

Mit ihren Forschungen zu neurodegenerativen Erkrankungen hat sich Dormann bereits einen Namen gemacht: Sie leistete wichtige Beiträge zum genaueren Verständnis der ALS und FTD. Dafür wurde sie mit dem Heinz Maier-Leibnitz-Preis sowie dem Paul Ehrlich- und Ludwig Darmstaedter-Nachwuchspreis ausgezeichnet. Jüngst erhielt sie zudem den mit 280.000 Euro dotierten Alzheimer-Forschungspreis der Hans und Ilse Breuer-Stiftung. Dormann studierte Biochemie in Tübingen und North Carolina. Zur Promotion ging sie an die Rockefeller University nach New York, 2007 wechselte sie dann an die LMU.

JGU bietet hervorragendes Umfeld

Als Heisenberg-Professorin wird sie nun an der JGU ihre Forschungsarbeit fortsetzen. Einen Teil ihrer Münchner Arbeitsgruppe hat sie dafür mitgebracht. "Wegen des Lockdowns waren der Umzug und die Wohnungssuche für uns nicht ganz einfach", erzählt sie. "Es ist auch ein bisschen schade, dass wir das Universitätsleben nur eingeschränkt erleben."

Die Entscheidung für Mainz ist ihr nicht schwergefallen. "Mich reizt das hervorragende Forschungsumfeld. Der Fachbereich Biologie befindet sich im Aufbruch, viele Professuren wurden kürzlich neu besetzt. Wir können mitgestalten. Es gibt eine gute Verbindung zur Universitätsmedizin Mainz und eine ganze Reihe exzellenter Kolleginnen und Kollegen untersucht molekulare Prozesse, die mich sehr interessieren. Ich sehe viele Anknüpfungspunkte – auch ans Max-Planck-Institut für Polymerforschung." Als Adjunct Director des Instituts für Molekulare Biologie (IMB) steht sie zudem in engem Kontakt mit einer weiteren bedeutenden Forschungseinrichtung auf dem Campus. "Es ist ein großes Plus, dass ich die hervorragend ausgestatteten Core Facilities dort nutzen kann."

Dormann betreibt Grundlagenforschung: "Wir verfolgen einen reduktionistischen Ansatz, kommen ohne Tierversuche aus und arbeiten vor allem im Labor mit dem Reagenzglas." Dort lassen sich die Vorgänge in den Nervenzellen quasi modellhaft nachvollziehen, ohne alle Störfaktoren. "Je weniger komplex wir die Prozesse gestalten, desto leichter fällt es uns, ihre Ursachen zu verstehen."

Forschung zur Früherkennung

Um Ursachen geht es ganz besonders in der Forschung zur Neurodegeneration – auch auf einer sehr praktischen, klinischen Ebene: "Wir wissen, dass Krankheiten wie Alzheimer, FTD oder ALS bereits sehr früh beginnen, oft zehn bis zwanzig Jahre, bevor wir sie erkennen. Wir haben inzwischen Medikamente, die den Krankheitsprozess aufhalten oder bremsen können, die die Ablagerungen in den Zellen bekämpfen. Aber sie kommen bei den klinischen Studien erst zum Einsatz, wenn schon viel zerstört ist. Wir müssen versuchen, mehr über die ganz frühen Störungen herauszufinden, wir müssen sogenannte Biomarker finden, die uns in der Diagnose anzeigen, wenn eine Erkrankung im Frühstadium vorliegt. Dann können wir den Patientinnen und Patienten wirklich helfen." Dies betrifft die 40- bis 45-Jährigen: Bei ihnen könnte eine neurodegenerative Erkrankung gestoppt werden, noch bevor sie überhaupt spürbare Einschränkungen verursacht.

"Warum manche Proteine in der Nervenzelle zur Ablagerung gebracht werden, wissen wir noch nicht so gut", räumt Dormann ein. Genau darum aber dreht sich ihre Forschung: Denn wenn die Mechanismen auf molekularer Ebene durchschaut sind, eröffnet das neue Chancen für die Diagnostik und die Therapie, für die Bekämpfung der Neurodegeneration im frühesten Stadium.