Mainzer Geographische Studien, Heft 13

Cheikh Dibes, Mohamed: Die Wochenmärkte in Nordsyrien

 

Zusammenfassung

Im folgenden sollen die wichtigsten Aspekte dieser Arbeit kurz umrissen werden:

Die ländlichen Wochenmärkte in Syrien gehen nicht auf alte Tradition zurück, sondern sind erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in Verbindung mit den Reformen des Osmanischen Reiches und der Befriedung und Kultivierung der Wüstensteppengebiete entstanden, und zwar mit dem Ziel, die Wirtschaft in den neu erschlossenen Räumen zu fördern. In der darauffolgenden Zeit und insbesondere ab 1930 wurde das Wochenmarktnetz ständig erweitert, so daß es heute insgesamt 37 Märkte verschiedener Größenordnung umfaßt.

Bemerkenswerterweise konnte festgestellt werden, daß ein solches Wochenmarktsystem außer im nordsyrischen Untersuchungsgebiet nirgendwo in Syrien existiert. Am Beispiel zweier Großräume, Hama/Homs und Damaskus, wurde der Versuch unternommen, die Ursachen dieses Phänomens aus verschiedenen Perspektiven zu beleuchten. Dabei stellte sich heraus, daß neben den ungünstigen naturräumlichen Voraussetzungen auch die geschichtliche Entwicklung des betreffenden Raumes für das Fehlen solcher Handelsinstitutionen in großen Zusammenhängen verantwortlich gemacht werden kann.

Wochenmärkte finden stets in Verbindung mit Siedlungen und überwiegend in Amtsorten (Muhafaza, Nahiya und Mantika) statt. Sie können aber auch in größeren Dörfern abgehalten werden, sofern diese eine Ortsverwaltung (Baladiya) besitzen. Ein direkter Zusammenhang zwischen der Einwohnerzahl eines Ortes und der Größe seines Marktes besteht nicht. Die Entscheidung über die Gründung eines Wochenmarktes liegt allein bei den zuständigen Behörden. Doch die Initiative dazu kann auch von den Ortsbewohnern ausgehen, die in diesem Falle aber erst eine entsprechende Genehmigung der Behörden einholen müssen.

Zwischen der räumlichen Verbreitung der Wochenmärkte und den naturräumlichen Gegebenheiten konnte ein Zusammenhang festgestellt werden: So konzentriert sich die Mehrzahl der Bazarorte auf die fruchtbaren und dichtbesiedelten Räume im Westen und Nordwesten des Arbeitsraumes, während nach Süden und Osten hin, in den dünnbesiedelten und agrarisch extensiv genutzten Gebieten, eine relative Abnahme ihrer Zahl zu verzeichnen ist.

Im Mittelpunkt dieser Untersuchung stand die Klassifizierung der Wochenmärkte nach Angebot und Funktion, wobei zwischen kleineren, mittleren und größeren Märkten unterschieden werden konnte. Da sich das Marktangebot mit einigen Ausnahmen aus Waren und Vieh, mit zum Teil sehr unterschiedlichen Verhältnissen, zusammensetzt, müßte ferner eine Typisierung der Märkte vorgenommen werden. Demnach ergeben sich drei Haupttypen:

  1. nur Viehmarkt
  2. gemischter Markt (Warenangebot >Viehangebot)
  3. gemischter Markt (Warenangebot < Viehangebot).

Zum Wochenmarkt gehören Güter und Dienstleistungen des einfachen und periodischen Bedarfs sowie Vieh, wobei Schafe den Hauptanteil ausmachen. Bei den Waren handelt es sich um Erzeugnisse des städtischen Gewerbes, die vorwiegend aus den Provinzhauptstädten Aleppo und Idlib stammen, sowie um Agrarprodukte, die teils von den Händlern auf dem Lande eingekauft, teils als Überschußerzeugnisse von den Bauern selbst angeboten werden. Für die ländliche Bevölkerung ist der Wochenmarkt aber weitaus mehr als eine Handelsstätte im wirtschaftlichen Sinne. Er ist Teil ihres gesellschaftlichen Lebens.

Als Marktplatz kann eine Straße bzw. ein Platz innerhalb des Ortes - möglichst in direkter Nachbarschaft zu den stationären Handelseinrichtungen - dienen, wobei der Viehmarkt dann am Ortsrand stattfindet. Ein solcher Standort ist vorwiegend auf den Märkten im Westen und Nordwesten des Untersuchungsgebietes zu beobachten. Im Osten und Süden dagegen finden die meisten Bazare auf einem Feld außerhalb des Ortes statt, wobei Waren und Vieh auf demselben Platz verkauft werden. Der Marktplatz ist zwar nach Branchen in verschiedene Bereiche aufgeteilt, eine strenge räumliche Trennung der verschiedenen Stände wird aber selten eingehalten.

Die Markttage sind mehr oder weniger gleichmäßig auf die einzelnen Wochentage verteilt; zwei Tage heben sich besonders ab: der Mittwoch durch eine um 50 % unterdurchschnittliche Repräsentation und der Freitag durch ein umgekehrtes Verhältnis. Ein Vergleich der heutigen Markttage mit denen vor etwa 25 Jahren hat sogar gezeigt, daß damals fast die Hälfte aller Wochenmärkte im Untersuchungsgebiet am Freitag stattfanden, während heute nur 20 % der Märkte an diesem Tag abgehalten werden. Die Abkehr vom Freitag als dem ursprünglich bevorzugten Markttag hängt vor allem mit der Verbesserung der zeit-räumlichen Koordination der Märkte zusammen, deren Ziel es ist, eine sinnvollere Verteilung der Handelsaktivitäten auf die ganze Woche herbeizuführen, wodurch die Versorgungssituation der ländlichen Bevölkerung verbessert werden soll. Hinsichtlich des zeiträumlichen Verhaltens der Märkte zeigen Berechnungen, die für das Untersuchungsgebiet angestellt wurden, daß keine gesetzmäßige Beziehung zwischen der Streuung der Märkte und ihrem zeitlichen Stattfinden besteht, was einerseits die Ergebnisse von OETTINGER (1975) für Mittelanatolien bestätigt, andererseits den Beobachtungen von HILL und SMITH (1972) in Nordnigeria widerspricht.

Die Wochenmarkthändler und -handwerker setzen sich aus drei Gruppen zusammen:

  1. Nebenberufliche Bauernhändler, die den Handel als Zuerwerb zur Verbesserung ihrer Einkünfte aus der Landwirtschaft betreiben (63 %).
  2. Hauptberufliche Händler und Handwerker, die einen stationären Laden besitzen und zusätzlich ein bis zwei Märkte wöchentlich aufsuchen (19 %).
  3. Hauptberufliche Händler und Handwerker, die kein festes Geschäft besitzen und ausschließlich auf Wochenmärkte spezialisiert sind (16 %).

Die Mehrheit der hauptberuflichen Händler, die kein festes Geschäft besitzen, kommt aus den beiden Provinzhauptstädten Aleppo und Idlib. Diese suchen im Ablauf einer Woche fünf, sechs oder sogar sieben Märkte auf. Ihre wöchentlichen Routen sind individuell, wobei jeder Händler seine Route nach rein persönlichen Erfahrungen zusammensetzt, ohne dabei darauf zu achten, daß die Märkte räumlich möglichst nah beieinander liegen. Dies ist zum Teil darauf zurückzuführen, daß alle Händler stets zu Hause übernachten.

Aufgrund dessen kommt es im Untersuchungsgebiet nicht zur Herausbildung von geschlossenen Marktringen.

Die hauptberuflichen Händler legen wöchentlich durchschnittlich zwischen 400 und 900 km zurück, wobei die Mobilität eines Händlers in erster Linie von dem Wert seiner Ware im Verhältnis zu ihrem Gewicht und ihrem Raumbedarf bestimmt wird.

Schlußbetrachtung

Periodische Märkte weisen, ungeachtet ihrer Zugehörigkeit zu verschiedenen Erdteilen, eine Reihe von gemeinsamen Merkmalen auf, die damit erklärt werden können, daß fast überall dieselben ökonomischen Bedürfnisse ihrer Entstehung zugrunde liegen. Sieht man von dieser Grundübereinstimmung jedoch einmal ab, so scheinen sich die Wochenmärkte Nordsyriens von den übrigen anderer Länder vor allem durch zwei auffallende Tatsachen zu unterscheiden:

  1. Während die Händler der Wochenmärkte sich fast überall zum größten Teil aus hauptberuflichen und nur zu einem geringen Prozentsatz aus nebenberuflichen Händlern zusammensetzen (GORMSEN (1971), S. 375, OETTINGER (1975), S. 56), konnte bei den Wochenmarkthändlern des Untersuchungsgebietes ein umgekehrtes Verhältnis festgestellt werden (63 % nebenberufliche Händler). Dieses Phänomen ist offensichtlich ein Zeichen dafür, daß häufig die Einkommen aus der Landwirtschaft allein nicht ausreichen, um den Lebensunterhalt zu bestreiten. Damit kommt dem Wochenmarkthandel in Nordsyrien als Nebenerwerbsquelle für die ländliche Bevölkerung eine nicht zu unterschätzende Bedeutung zu.
  2. Die Wochenmärkte in Nordsyrien sind im Gegensatz zu periodischen Marktsystemen in anderen Teilen der Erde wie Lateinamerika, Afrika, Teilen des Vorderen Orients (Türkei, Persien) in überregionalen wirtschaftlichen Verflechtungen nur in eine Richtung einbezogen. Zwar stammt die Ware, die auf den Wochenmärkten angeboten wird, hauptsächlich aus den Großhandelsplätzen, umgekehrt aber gelangen Agrarprodukte, die aus dem Umland des betreffenden Marktortes kommen, selten und nur in kleinen Mengen auf die Märkte der Großstädte.

Die begrenzte Funktion des Wochenmarktes hat zur Folge, daß der Bazar sich auf lange Zeit nur dort zu behaupten vermag, wo der Bedarf der Bevölkerung an Waren und Dienstleistungen fast ausschließlich auf dem Bazar gedeckt werden muß und eine Konkurrenz seitens des stationären Handels nicht besteht. Damit scheint der Wochenmarkt aus ökonomischer Sicht einer bestimmten Übergangsphase anzugehören, bei der, angesichts der schwachen Nachfrage und der unzulänglichen Verkehrsverbindungen, stationäre Handelseinrichtungen unrentabel sind. Mit dem Ausbau des Verkehrsnetzes und dem Anwachsen der Nachfrage nimmt die Zahl der Händler zeitweilig zu. Es dauert dann nicht lange, bis diese Händler dazu übergehen, sich in festen Geschäften niederzulassen, aus denen später ein kleiner Souk entsteht. Ist dieses Stadium erreicht, so beginnt ihre Zahl abzunehmen. Von dieser Tatsache ausgehend läßt sich für die Bazare in Nordsyrien folgende Entwicklung voraussehen:

  1. Die Zahl der Warenhändler auf den Wochenmärkten der Mittel- und Kleinstädte, die über gute Verkehrsverbindungen zu den nächstliegenden Großstädten verfügen und einen stationären Souk beherbergen wie Jesr Eschughour, Ariha, Manbedj und Al Bab, wird weiterhin zurückgehen, und ihre Bazare werden in unabsehbarer Zeit hauptsächlich nur noch dem Viehhandel dienen, dessen Umfang durch zunehmende Verkehrserschließung und billigere Transportkosten sehr wahrscheinlich erweitert wird.
  2. Im Gegensatz dazu wird die Zahl der Händler in den Wochenmarktorten, die bis heute noch keine nennenswerten stationären Geschäfte besitzen, mit zunehmender Verbesserung des Straßennetzes ansteigen, und verkehrsmäßig günstig gelegene Marktorte wie Maskane, Atareb, Khafse und Deir Hafer werden in besonderem Maße davon profitieren. In kleineren peripher gelegenen Bazaren, zu denen keine guten Straßenverbindungen bestehen, wie Bulbul, Khanaser, Radschou und Ain Al Arab, ist vorerst mit einer weiteren Stagnation der Handelsaktivitäten zu rechnen.

In manchen Teilen der Erde, wo das periodische Marktsystem sich in einem fortgeschrittenen Stadium befindet und ein engmaschiges Marktnetz vorhanden ist, ist im allgemeinen ein Rückgang der Zahl der Wochenmärkte zu beobachten, der auf die Verbesserung der Verkehrsverbindungen zurückzuführen ist.

Für das Untersuchungsgebiet in Nordsyrien dürfte dies jedoch nicht zutreffen, da das Wochenmarktnetz ziemlich weitmaschig ist und neue Wochenmärkte gegründet werden, wie etwa in Abzimou, wo ein neuer Markt erst 1975 entstand (OTTINGER (1975), S. 69, stellte eine ähnliche Entwicklung bei den Märkten in Mittelanatolien fest). Vor allem aber im Osten und Nordosten des Untersuchungsraumes werden zahlreiche Wochenmärkte notwendig sein, um die Versorgungssituation verbessern zu können.

Doch durch Gründung neuer Wochenmärkte allein kann dieses Ziel nicht erreicht werden, da erst eine Verbesserung der Infrastruktur in diesem Gebiet die Voraussetzung dafür schaffen würde.

Allerdings besteht wenig Hoffnung, daß etwaige Maßnahmen zur Verbesserung der Infrastruktur die erwähnten landwirtschaftlich schwachen Gebiete im Osten und Nordosten des Untersuchungsgebietes mit einbeziehen.

Dies bedeutet, daß gerade die armen Bewohner dieser Gegenden weiterhin lange Anfahrtzeiten und zusätzliche Transportkosten in Kauf nehmen müssen, um ihren Bedarf an Lebensmitteln, Kleidung etc. decken zu können.
Angesichts dieser Tatsache hat die Direktion für Versorgung und Binnenhandel in Aleppo einen Plan ausgearbeitet, der vorsieht, Lastwagen mit Gütern des täglichen Bedarfs in die kleinen und kleinsten entlegenen Ortschaften zu entsenden. Diese sogenannten "mobilen Läden" sollen in bestimmtem Turnus die verschiedenen Ortschaften je einmal wöchentlich aufsuchen, um die Versorgungsmisere dort lindern zu helfen. Aber selbst wenn dieser Plan realisiert werden sollte, was mehr als zweifelhaft ist, bleibt er ein Tropfen auf den heißen Stein.