IceCube-Forscher weisen erstmals Herkunft eines Neutrinos aus den Tiefen des Kosmos nach

Elementarteilchen stammt aus drei Milliarden Lichtjahren entfernter Galaxie / Schwarzes Loch als Teilchenbeschleuniger

13.07.2018

Eine internationale "astronomische Ringfahndung" wurde von Erfolg gekrönt: Ein Forscherteam hat erstmals eine kosmische Quelle energiereicher Neutrinos geortet. Auslöser der Suche war ein einzelnes hochenergetisches Neutrino, das am 22. September 2017 im Eis der Antarktis durch das Neutrino-Teleskop IceCube nachgewiesen worden war. Teleskope auf der Erde und im Weltraum ermittelten anschließend den Ursprung dieses Elementarteilchens. Er liegt in einer drei Milliarden Lichtjahre entfernten Galaxie im Sternbild Orion, in der ein gigantisches Schwarzes Loch auf natürliche Weise Teilchen beschleunigt. An der Kampagne waren weltweit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler von 16 astronomischen Observatorien beteiligt. Unter den Forschern sind auch Prof. Dr. Sebastian Böser und Prof. Dr. Lutz Köpke vom Institut für Physik der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU), das seit 1999 dem IceCube-Konsortium angehört. Die Ergebnisse dieser gemeinsamen Suche wurden aktuell in der Fachzeitschrift Science veröffentlicht.

Die IceCube-Forscher durchsuchten nach dieser Entdeckung ihre Daten der vergangenen zehn Jahre im Hinblick auf frühere Messungen von Neutrinos aus der festgestellten Richtung. Tatsächlich fanden sie für den Zeitraum von September 2014 bis März 2015 einen merklichen, zeitweiligen Neutrino-Überschuss. Die Wahrscheinlichkeit, dass es sich beim diesem Überschuss lediglich um einen statistischen Ausreißer handelt, ist sehr gering und wird auf 1 zu 5.000 geschätzt. Über dieses Ergebnis wird in einem zweiten Artikel in der derselben Ausgabe von Science berichtet.

Die Kampagnen, die unter Federführung von Forschern in Deutschland durchgeführt wurden, liefern auch den ersten stichhaltigen Beleg für einen Herkunftsort der energiereichsten Teilchen im Weltall, vorwiegend Protonen, die als kosmische Strahlung fortwährend auf die Erdatmosphäre treffen. Energiereiche kosmische Neutrinos sind dabei ein äußerst hilfreicher Indikator, da sie über größte Entfernungen ohne Richtungsänderung unbeschadet zu uns gelangen können. Die Beobachtung des einzelnen Neutrinos bestätigt, dass sogenannte aktive Galaxien mit einem extrem schweren Schwarzen Loch im Zentrum auch die Beschleuniger der kosmischen Teilchen sind.

Die abgestimmte Beobachtungsaktion gilt bei Experten als wichtiger Erfolg der noch jungen "Astronomie mit verschiedenen Informationsträgern" wie elektromagnetische Strahlung, Neutrinos und Gravitationswellen, die durch verschiedene Detektoren und Teleskope auf der ganzen Welt und im Weltraum aufgespürt werden. "Dies ist ein entscheidender Schritt vorwärts, der erst durch eine hervorragende Vernetzung und den automatischen Informationsaustausch zwischen den Observatorien möglich wurde", sagt Sebastian Böser.

Das internationale IceCube-Team besteht aus rund 300 Wissenschaftlern aus zwölf Ländern und wird unter der Federführung der US-amerikanischen National Science Foundation betrieben. Deutschland stellt nach den USA das zweitstärkste Kontingent des Teams. Neben Forschern des Deutschen Elektronen-Synchrotons (DESY) sind neun deutsche Universitäten beteiligt: die Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule Aachen, die Humboldt-Universität zu Berlin, die Ruhr-Universität Bochum, die Technische Universität Dortmund, die Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, die Johannes Gutenberg-Universität Mainz, die Universität Münster, die Technische Universität München und die Bergische Universität Wuppertal.

"Erfolgreiche Forschungsverbünde zeichnen sich durch eine gelebte Schwarmintelligenz und eine ideenreiche Zusammenarbeit in allen Bereichen aus", bemerkt Lutz Köpke zu dem Kooperationsprojekt. "Dazu haben Doktoranden von der Universität Mainz unter anderem essenzielle Algorithmen zur präzisen Bestimmung des Herkunftsorts beigesteuert."

Neutrinos, die Geisterteilchen im Standardmodell der Physik

Neutrinos werden unter anderem bei der Kernfusion im Innern der Sonne erzeugt. Eine Fläche so groß wie ein menschlicher Daumennagel durchfliegen in jeder Sekunde rund 60 Milliarden Sonnen-Neutrinos, allerdings ohne irgendeine Spur zu hinterlassen. Ihre geringe Reaktionsneigung macht den Nachweis dieser "Geisterteilchen" extrem aufwendig und erfordert gewaltige Detektoren, um wenigstens ein paar der seltenen Reaktionen nachzuweisen. Für den IceCube-Detektor haben Forscher darum 86 Löcher ins Eis der Antarktis gebohrt, jedes 2.500 Meter tief. In diese Löcher haben sie, verteilt über einen vollen Kubikkilometer, 5.160 Lichtsensoren versenkt. Diese Sensoren registrieren die winzigen Lichtblitze, die bei den seltenen Neutrino-Reaktionen im Eis entstehen.

Vor fünf Jahren hatte IceCube zwar zum ersten Mal kosmische Neutrinos nachgewiesen, die weit höhere Energien als Sonnen-Neutrinos haben und daher von diesen unterscheidbar sind. Jedoch konnten die Wissenschaftler bis zu dem jetzigen "Fahndungserfolg" keine Neutrino-Quelle orten.

Die Arbeitsgruppen von Böser und Köpke suchen unter anderem nach Neutrinos aus Supernovae und übermitteln mögliche Hinweise innerhalb von Minuten an andere Experimente. Sie untersuchen außerdem mit hoher Präzision Neutrinos, die in der Erdatmosphäre entstehen und die genutzt werden können, um Neutrino-Eigenschaften deutlich genauer zu bestimmen und Abweichungen vom Standardmodell der Elementarteilchen zu finden. Schließlich vermessen sie die Eigenschaften von kosmischen Neutrinos. "Wir schöpfen dabei die Daten in all ihren Feinheiten mit komplexen Algorithmen aus, um die Richtungen, Energien und die Art der nachgewiesenen Neutrinos genauer zu bestimmen. Außerdem entwickeln wir neue optische Sensoren für zukünftige Neutrino-Detektoren im Eis und deren Eichung", bemerkt Sebastian Böser.

Ab Herbst 2018 wird der Mainzer Physiker Dr. Benjamin Eberhardt ein Jahr am Südpol verbringen, wo er sich darum kümmern wird, dass das Experiment und die entsprechende Computertechnik des IceCube-Observatoriums fehlerfrei funktionieren.