Was die Materie im Inneren zusammenhält

25 November 2014

Es geht um subatomare Teilchen, um Myonen, Quarks, Gluonen und Co.: Physikerinnen und Physiker um den Elektronenbeschleuniger MAMI der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) sind auch am BESIII-Experiment in Peking maßgeblich beteiligt. Sie spüren den Grundbausteinen der Materie nach und wollen die Tür öffnen für eine neue Physik.

Univ.-Prof. Dr. Achim Denig skizziert - sehr vereinfacht natürlich - Quarks und Gluonen in einem Proton. (Foto: Stefan F. Sämmer)Univ.-Prof. Dr. Achim Denig zeichnet drei dicke Punkte im Dreieck auf ein blankes Blatt Papier. Mit ihnen endet eine kleine Reise zu den Grundbausteinen der Materie. Sie begann bei den Molekülen, also bei Objekten wie dem Wassermolekül H2O. Sie bestehen aus mehreren Atomen. "Jedes dieser Atome besitzt einen Atomkern", erklärt der Physiker. "Und ein Atomkern wiederum besteht aus Neutronen und Protonen." Um solch ein Proton geht es, das skizziert Denig gerade. "Es ist aber natürlich ein stark vereinfachtes Bild", warnt er. Die drei Punkte stehen für drei Quarks. Tatsächlich sind Quarks punktförmige Teilchen ohne Ausdehnung. Diese drei verbindet Denig nun durch Spiralen. "Das sind die Gluonen, die Klebeteilchen, die die Quarks zusammenhalten."

Neue rätselhafte Teilchen

Professor Dr. Achim Denig photo: Stefan F. Sämmer" target="_blank"><img style="float: left;" alt="Professor Dr. Achim Denig photo: Stefan F. SämmerBisher waren nur subatomare Teilchen bestehend aus zwei oder drei Quarks bekannt. Doch im Jahr 2013 entdeckte der Doktorand Zhiqing Liu am Elektron-Positron-Beschleuniger BEPC-II in Peking in China ein neues subatomares Teilchen, das den Namen Zc(3900) bekam. Es besteht aus vier Quarks und existiert nur für Bruchteile einer Millardstel Mikrosekunde, hat aber in der Fachwelt einen tiefen Eindruck hinterlassen.

"Es ist eine Tatsache, dass wir noch nicht richtig verstehen, wie die Quark-Zusammensetzung in einem Proton oder Neutron funktioniert", sagt Denig. Die Entdeckung von Zc(3900) bringt neue wichtige Einblicke, die helfen können, ein Bild zu vervollständigen, das entschieden komplizierter ist als jene grobe Skizze auf Denigs Arbeitstisch. Zc(3900) blieb zudem nicht das einzige neue Teilchen dieser Art. Die Doktorandin Yuping Guo entdeckte wenig später ein weiteres ähnliches Gebilde und es kommen ständig neue hinzu.

Die Arbeiten von Liu und Guo wurden in China als die beste und zweitbeste Doktorarbeit im Fach Physik ausgezeichnet. Die American Physical Society setzte die Entdeckung der neuen Teilchen auf ihre Liste der zehn "Highlights of the Year". Heute arbeiten sowohl Liu als auch Guo als Postdocs in Denigs Arbeitsgruppe am Sonderforschungsbereich 1044 zum Thema "Die Niederenergie-Grenze des Standardmodells: Von Quarks und Gluonen zu Hadronen und Kernen", der von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) am Institut für Kernphysik der JGU gefördert wird.

350 Physiker, elf Länder, ein Experiment

Blick in den BES-III-Detektor am Institut für Hochenergiephysik IHEP in Peking, China © Institute for High Energy Physics (IHEP, Peking)"Wir wollen herausfinden, was die Materie im Innersten zusammenhält", packt Denig als Co-Sprecher des Sonderforschungsbereichs das Ziel seiner Gruppe in einen Satz. Dafür haben sich die Mainzer in ein internationales Team von Wissenschaftlern eingereiht, die das BESIII-Experiment am Beschleuniger BEPC-II betreiben. Ursprünglich ging es um ein weiteres Teilchen mit überraschenden Eigenschaften, das bereits 2005 am SLAC National Laboratory im kalifornischen Stanford in den USA entdeckt wurde: Y(4260). Diese Entdeckung wurde bereits nach wenigen Wochen bestätigt, aber die Untersuchungen brachten weitere sensationelle neue Ergebnisse.

350 Physikerinnen und Physiker von 50 Institutionen aus elf Ländern sind am BESIII-Experiment beteiligt. "Wir stellen mittlerweile die drittgrößte Gruppe", berichtet Denig. "Fünf Mainzer Arbeitsgruppen sind beteiligt und mit Univ.-Prof. Dr. Wolfgang Gradl stellen wir den Sprecher der nicht-chinesischen Universitäten." Der Elektron-Positron-Beschleuniger BEPCII bietet eine gute Ergänzung zum Mainzer Elektronenbeschleuniger MAMI, an dem Wissenschaftler ebenfalls mit einzigartigen Experimenten Fragestellungen zur Struktur von subatomaren Teilchen nachgehen. Darüber hinaus ist der Sonderforschungsbereich 1044 in das Exzellenzcluster "Precision Physics, Fundamental Interactions and Structure of Matter" (PRISMA) der Johannes Gutenberg-Universität Mainz eingebettet, was weitere Perspektiven eröffnet. "Mainz wird weltweit als wichtiger Standort gesehen."

Viermal im Jahr treffen sich die Teams in Peking. "Außerdem haben wir mehrmals in der Woche Telefonkonferenzen." Es besteht ein reger Mitarbeiteraustausch – wie etwa im Fall Liu und Guo.

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BESIII Experiment

Viermal im Jahr treffen sich die am BES-III-Experiment beteiligten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, darunter auch Univ.-Prof. Dr. Achim Denig und seine Kollegen der insgesamt fünf beteiligten Mainzer Arbeitsgruppen, in Peking. (Foto: Stefan F. Sämmer)Physik jenseits des Standardmodells

Mit Präzisionsphysik gehen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Materie auf den Grund. Sie klopfen dabei das Standardmodell der Elementarteilchenphysik auf Risse ab. "Man will eigentlich, dass etwas nicht zusammenpasst, denn man weiß, dass es etwas jenseits dieses Standardmodells geben muss."

Aber was? Vier Grundkräfte der Physik sind bekannt. Das sind die Gravitation, der Elektromagnetismus, die schwache Kernkraft und die starke Kernkraft, die bei der Entstehung von Teilchen wie Y(4260) und Zc(3900) eine Rolle spielt. Doch es gibt gerade in Hinsicht auf die Eigenschaften gewisser subatomarer Teilchen Hinweise, dass da etwas ist, was jenseits dieser Kräfte wirkt, etwas, das nicht vom Standardmodell erfasst wird. Per Theorie und Experiment spüren Denig und Co. dem nach.

"Das Standardmodell funktioniert extrem gut", räumt der Physiker ein. Es sagte zum Beispiel das Higgs-Teilchen voraus, das dann jüngst gefunden wurde. "Aber wir wissen zugleich, dass es Dinge gibt, die das Standardmodell nicht umfasst. Dieser Tisch, der Mond, die Sonne, das Universum – all das besteht im Wesentlichen aus Materie. Was das Modell nicht erklärt: Warum es heute wesentlich mehr Materie als Antimaterie gibt. Unmittelbar nach dem Urknall war das Verhältnis 50 zu 50. Hinzu kommt, dass die mysteriöse Dunkle Materie nicht vom Standardmodell beschrieben wird, aber den Großteil der Materie im Universum ausmacht."

Weltformeln auf dem Prüfstand

Univ.-Prof. Dr. Achim Denig lehrt und forscht seit 2008 am Institut für Kernphysik der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Foto: Stefan F. SämmerWas im Großen gilt, gilt auch im Kleinen: Der DFG-Sonderforschungsbereich 1044 beschäftigt sich intensiv mit dem anomalen magnetischen Moment des Myons. Das Myon ist der schwere Bruder des Elektrons und sein magnetisches Moment weicht ab von dem, was das Standardmodell erwarten ließe. "Bisher wurden drei bis vier Standardabweichungen gemessen. Bei einem Wert von fünf Standardabweichungen hätten wir einen Beweis, dass da etwas nicht zusammenpasst." Solch ein Hinweis würde die Tür einen Spalt weit öffnen für eine neue Physik, für einen neuen Ansatz, der weiter führt als das Standardmodell.

Aber warum nach solchen Hinweisen suchen, was bringt diese Forschung? Diese Frage wird Denig immer wieder gestellt. "Ich habe zwei Antworten darauf: Wir machen spannende Grundlagenforschung, die von manchen vielleicht als weltfern bezeichnet werden könnte. Unsere Studierenden und Nachwuchswissenschaftler werden aber von der Bachelorarbeit an hervorragend ausgebildet. In unseren Arbeitsgruppen treffen sich Deutsche, Italiener, Chinesen und Amerikaner. Sie arbeiten an hochspezialisierten technischen Fragestellungen und lernen so ganz früh, ihre Arbeiten auf internationalem Niveau zu präsentieren. Unsere Leute haben später überhaupt kein Problem, einen Job in der Industrie zu finden."

Und die zweite Antwort? "Die ist ganz einfach: Das sind Weltformeln, die wir überprüfen. Grundsätzlicher geht es nicht mehr. Wir arbeiten an einer unglaublich fundamentalen Basis."

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