Dionysisches und Trauernde

Inv. 73. Attisch-schwarzfigurige Halsamphora (gefunden 1829 in Cavalupo/Latium)
Höhe: 42 cm
Erhaltung: Aus Fragmenten vollständig zusammengesetzt; einige Partien am Hals ergänzt
Einordnung: um 500/490 v. Chr., attisch-schwarzfigurig

Die Amphora ist die wohl bekannteste Gefäßform der griechischen Feinkeramik. Das Wort „Amphora” stammt von dem griechischen Wort amphoreús ab, welches aus amphiphoreús gekürzt wurde. Wörtlich bedeutet es „an beiden Seiten zu tragender Krug” (amphí = beidseitig und phérein = tragen). Für gewöhnlich wurde dieses Vorratsgefäß, welches mit einem Deckel verschlossen werden konnte, aus Ton hergestellt. Es wurden mitunter aber auch Bronze, Edelmetalle, Onyx oder Glas verwendet. In der Antike wurden unter dem Begriff Amphora auch die heute als Stamnos und Pelike bezeichneten Gefäßformen verstanden.
Unbemalte Amphoren zählen zur Gebrauchskeramik eines Haushalts und dienten zur Aufbewahrung von Wein, Öl und anderen Flüssigkeiten sowie von festen Nahrungsmitteln wie Hülsenfrüchten und Salzfischen. Bemalte Amphoren hingegen dienten wohl meist repräsentativen Zwecken, etwa als Grabaufsätze, Aschenurnen oder Grabbeigaben, oder als vornehmes Behältnis für Öl oder Parfüm. Sie waren zudem ein wichtiges Handelsobjekt.
Kostbare Inhalte einer (Gebrauchs-)Amphora konnten durch ein angehängtes Etikett, Aufmalung oder eine Einstempelung gekennzeichnet werden. Dann wurden Substanz, Herkunft, Jahrgang, Produzent und/oder Händler notiert. Amphoren, die mit einer solchen Kennzeichnung erhalten sind, dienen als eine wichtige Quelle der antiken Wirtschaftsgeschichte. Die Transportamphoren sind von der Frühzeit bis in die Spätantike nachweisbar. Sie hatten normalerweise einen spitz zulaufenden Fuß. Zum Transport wurden sie aneinander gelehnt, zur Lagerung häufig in den Boden gesteckt. Wie der enge Hals belegt, waren sie ausschließlich für flüssigen Inhalt bestimmt.
Bei der Form der bemalten Amphoren sind zwei Typen zu unterscheiden. Beide Typen wurden auf die gleiche Weise verwendet und dienten demselben Zweck. Der erste Typus ist die Halsamphora, welche sich durch einen vom Körper klar abgesetzten Hals von dem zweiten Typus, der Bauchamphora, unterscheidet. Die Bauchamphora hat einen gleitenden Übergang vom Bauch zum Hals. Beide Typen haben gemeinsam, dass sich die Henkel am Hals befinden. Eine Variante der Halsamphora ist die panathenäische Preisamphora (auch Amphora panathenäischer Form). Sie wurde den Siegern der Wettkämpfe mit Öl gefüllt überreicht und war mit einer Darstellung der jeweiligen Disziplin, in der der Sieger angetreten war, versehen. Spitzamphoren (mit abgesetztem Hals) treten nur sehr selten im Repertoire der Feinkeramik auf.

Die Bauchamphora lässt sich wie die Halsamphora ihrer Form nach in mehrere Varianten untergliedern. Diese werden durch besondere Merkmale differenziert. Die erste Variante besitzt kantige Henkel sowie einen gestuften Fuß hat. Die zweite Variante hingegen zeichnet sich durch zylindrische Henkel und einen gleichmäßig gerundeten, echinusförmigen Fuß aus, und die dritte Variante kann man an einem eigenwilligen Körper- und Halsumriss erkennen. Im 6. und 5. Jahrhundert wurde die Amphora in attischen Töpfereien vorwiegend für den Export hergestellt. Den schwarzfigurigen Standardtypus der Halsamphora löste späte die rotfigurige „nolanische Amphora” (Abb. 4) als Exportgut ab.

Das Mainzer Exemplar einer attischen Halsamphora (Abb. 1-3) wurde von Beazley dem von ihm definierten und weit verbreiteten Standardtypus zugeordnet. Es hat einen leicht ovalen Gefäßkörper sowie einen echinusförmigen Fuß und ist 42 cm hoch. Die Henkel bestehen aus drei Rippen. Das Gefäß ist um 500/490 v. Chr. einzuordnen, also in die spätarchaische Epoche.

Die Amphora stammt aus der Werkstatt des Nikoxenos-Malers, der sowohl die schwarzfigurige als auch, etwas weniger überzeugend, die rotfigurige Maltechnik anwandte. Bisher sind keine Gefäße aus seiner Hand bekannt, auf denen beide Techniken praktiziert wurden. Der Maler spezialisierte sich nicht auf Amphoren, wie wir das von anderen Vasenmalern kennen, jedoch sind 14 weitere Amphoren von seiner Hand erhalten, die dem Mainzer Exemplar sehr ähnlich sind.

Die Mündung ist außen und innen, die dreiteiligen Henkel außen und der Fuß bis auf einen schmalen Streifen direkt über der Standfläche schwarz gefasst. Über dem schmalen Streifen befinden sich ein purpurroter Streifen sowie ein Strahlenkranz, darüber ein Lotosknospenornament. Den Hals verzieren Lotosblumenornamente, die durch die Henkel unterbrochen sind. Unter den Henkeln befinden sich weitere Ornamente. Sowohl auf der Schulter als auch unter dem Halsansatz erkennt man Zungenmuster, die wiederum unter den Henkeln unterbrochen sind. Auf der tongrundigen Unterseite des Fußes kann man ein Graffito lesen: EY:A: EV, vermutlich ein Handelszeichen.

Zwischen den Ornamenten an Hals und Fuß der Amphora befinden sich beidseitig zwei Darstellungen, die von ihrer Komposition her gleich aufgebaut sind: Eine Figur in der Mitte mit einem Tier im Hintergrund, sowie Gestalten zu ihrer Rechten und Linken. Im Mittelpunkt des ersten Bildes steht ein bärtiger Mann reiferen Alters (Abb. 2). Er ist mit Chiton und Mantel bekleidet, wobei der Mantel an den Zipfeln lockere Zickzackfalten wirft. Auf dem zur Seite gewandten Kopf trägt er einen breiten Efeukranz. Anhand seiner Attribute ist er als Gott Dionysos erkennbar. Zu den Attributen gehört der Kantharos in seiner erhobenen linken Hand, der allerdings nur von der Henkelseite aus sichtbar ist, sowie in der anderen Hand eine Rebenranke, die sich im Hintergrund verzweigt. Sie umspielt die anderen Gestalten zu seiner Rechten und Linken. Auch ein Ziegenbock mit gesenktem Kopf, und fast menschlichem Gesicht, der hinter ihm steht und dadurch halb verdeckt ist, gehört zu seinen Attributen.

Die Gestalten zu seiten des Dionysos sind Sartyrn, die den Kopf zurückwenden und offenbar freudig tanzen. Beide tragen außerdem jeweils eine Mänade auf den Schultern, welche wiederum ebenfalls, wie Dionysos, Efeukränze in den Haaren haben und die Arme heben, als würden sie lebhaft und voller Aufregung miteinander reden. Beide wenden ihr Gesicht dem Gott zu. Sowohl die Haut der Mänaden, als auch die Trauben an den Ranken treten deutlich weiß vor dem schwarzen Tongrund hervor. Ihre Kleider sind ebenfalls teils weiß, teils rot getupft. Rot getupft sind außerdem die Efeukränze in den Haaren, sowie der Hals des Bockes, Bart des Gottes, Haar, Bart und Schwanz der Sartyrn.

Im Mittelpunkt des zweiten Bildes steht ein Krieger (Abb. 3). Er trägt Helm, Rundschild, Beinschienen und zwei Speere. Vor und hinter ihm steht jeweils eine Frau, die beide ihren Mantel wie eine Kapuze über den Kopf gezogen tragen und jeweils eine vom Mantel verhüllte Hand erheben. Die linke Frau, die der Krieger anblickt, streckt die rechte, nicht verhüllte Hand mit weit gespreizten Fingern von sich. Die Frau hinter ihm krallt sich hingegen mit der freien Hand in den Mantel. Ihr zugewandt steht, hinter den Beinen des Kriegers, ein großer Hund. Wie auf dem anderen Bild befindet sich auch hier im Hintergrund eine Weinranke, die sich zwischen den Gestalten verzweigt. Die Frauen haben weiße Haut, und der Rundschild des Kriegers trägt als Emblem ein leuchtend weißes Bein. Der Rand des Schildes ist rot getupft. Die Binde im Haar des Kriegers unter dem zurückgeschobenen Helm ist rot, der Helmbusch weiß, ebenso wie die getupf
te Zierde der Kleider.

Seit Anfang des 6. Jahrhunderts wurden die beiden hier vorhandenen Motive zusammen auf einem Gefäß dargestellt. Für den modernen Betrachter mögen sie, anders für die Zeitgenossen, als sehr gegensätzlich erscheinen. Die Amphora wurde in einem Grab gefunden und diente einst sicher Grabbeigabe. Sie zeigt auf vermittelnde Weise den Lebensstil eines vermögenden attischen Bürgers mit seinen verschiedenen Facetten auf sich vereint: einerseits die Pflicht, als vollwertiges Gemeinschaftsmitglied in den Kampf zu ziehen, um die Gemeinde und die eigene Familie zu verteidigen, andererseits den dionysischen Lebensgenuss. Beim Symposion, an das die Darstellung mit Dionysos und seinem Gefolge erinnert, kam eine Gruppe von Männern zusammen, um gemeinsam sinnliche und geistige Vergnügungen zu erleben.

Literatur

R. Hampe - E. Simon, CVA Mainz Universität (1) Taf. 34; A. Trautmann in: K. Junker (Hrsg.), Aus Mythos und Lebenswelt. Griechische Vasen aus der Sammlung der Universität Mainz (Worms 1999) 52-55 (mit der älteren Literatur). - Zu Form und Verwendung: W. Schiering, Die griechischen Tongefäße ²(Berlin 1983) 25-39 . 140f.; I. Scheibler, Griechische Töpferkunst. Herstellung, Handel und Gebrauch der antiken Tongefäße (München 1983) 16-29. 58-70.

Julia Brandt