Zwei attische Kannen

Oinochoe, Inv. Nr. 115 (1951 aus der Sammlung Preyß erworben)
Höhe mit Henkel: 24,2 cm; Durchmesser an breitester Stelle: 15,6 cm
Erhaltungszustand: aus zahlreichen Fragmenten zusammengesetzt; Ergänzungen im Bereich der Rückseite und neben der weiblichen Figur; antike Reparaturen am Henkel
Einordnung: attisch-rotfigurig, ca. 440 v. Chr., Zwergmaler

Olpe, Inv. 87 (aus der Sammlung Grancy, Herkunft unbekannt)
Höhe mit Henkel: 31,6 cm; Durchmesser an breitester Stelle: 11,5 cm
Erhaltungszustand: aus zahlreichen Fragmenten zusammengesetzt; oberer Henkelansatz und kleinere Fehlstellen ergänzt
Einordnung: attisch-schwarzfigurig, um 530 v. Chr., nach Art des Amasismalers

Betrachtet man die griechischen Vasenformen, so fallen zwei unterschiedliche Kannentypen auf: die Oinochoe (Abb. 1) und ihre Unterart, die Olpe (Abb. 4). Der Name der Oinochoe erklärt sofort ihre Funktion: oinos bedeutet "Wein", cheo "gießen, schütten", wodurch deutlich wird, dass dieses Gefäß zum Ausgießen von Wein bestimmt war. Verwendet wurden die Kannen beim Symposion, bei dem der Wein mit Hilfe von Oinochoen aus Krateren, in denen man Wein und Wasser mischte, geschöpft wurde. Gelegentlich sind sie auch als Grabbeigaben bezeugt oder dienten bei Opferhandlungen zum Ausgießen von Trankspenden. Dieselbe Funktion besaß auch die Olpe, ihr Name entspricht der griechischen Bezeichnung für "Kanne".

Die beiden Kannentypen werden heute nur durch ihre Form unterschieden. Die Oinochoe ist eine bauchige Kanne mit abgesetztem Hals (Abb. 1). Ähnlich wie heutige Kannen besitzt sie einen großen Henkel, so dass ihr Inhalt leicht ausgeschüttet werden kann. Der Ausguss kann unterschiedliche Form annehmen: Es gibt runde Ausgüsse sowie sogenannte Schnabelkannen, deren Ausguss tatsächlich einem Schnabel ähnelt. Der früheste, seit der geometrischen Zeit bezeugte Kannentypus ist die Kleeblattkanne, deren Mündung die Form eines dreiblättrigen Kleeblatts besitzt. Als Olpen werden heute schlanke Kannen bezeichnet, bei denen der Bauch gleitend und ohne Absatz in den Hals übergeht (Abb. 4). Zudem überragt der Henkel die Lippe. Auch bei den Olpen finden sich unterschiedliche Ausgüsse, sie sind z.B. rund, trompeten- oder kleeblattförmig.

Oinochoe
Die Oinochoe Inv. 115 (Abb. 1-3) in der Vasensammlung entspricht genau der oben beschriebenen Form. Ihr Fuß zunächst ist leicht konvex nach außen, dann konkav nach innen gewölbt. Eine tongrundige Rille setzt den sonst schwarzen Fuß deutlich vom Vasenkörper ab. Der Bauch ist breit gewölbt und zum Halsansatz hin ist die Schulter abgeflacht. Der Hals ist abgesetzt, was durch ein umlaufendes Dekorationsband noch verstärkt wird. Er wölbt sich leicht konkav nach innen und endet er in einer ausgestellten Lippe. Der Henkel setzt an der Schulter an und führt leicht geschwungen senkrecht nach oben, wo er mit einem Bogen am Rand des Gefäßes ansetzt. Zwei Rillen teilen den Henkel in drei unregelmäßig große Rippen.

Interessant bei dieser Kanne ist, dass anscheinend bereits in der Antike der Henkel abbrach und repariert wurde. An der Mündung waren ursprünglich drei Bleiklammern angebracht, von denen sich zwei erhalten haben (Abb. 2). Eine weitere Bruchstelle im Henkelbogen scheint ebenfalls verklammert gewesen zu sein, denn hier finden sich noch vier Löcher für Klammern. Die Verbindung zum Bauch des Gefäßes wurde mit einer großen Klammer repariert. Die Reparatur scheint jedoch, da alle Klammern gebrochen sind, nicht gehalten zu haben. Durch derartige Reparaturen waren die Gefäße zwar meist nicht mehr funktionstüchtig, doch lassen sich dennoch eine Reihe von antiken Reparaturen nachweisen. Keramik war nicht besonders teuer, und wenn ein Gefäß zu Bruch ging, hätte man es leicht durch ein neues ersetzen können. Deshalb wird angenommen, dass die Gefäße in einigen Fällen einen ideellen Wert für den Besitzer hatten. Vielleicht waren es Geschenke o.ä., von denen sich der Besitzer nicht trennen wollte.

Die Dekoration der Oinochoe in der Mainzer Sammlung ist gleichmäßig schwarz, an einigen Stellen jedoch ist der Überzug allerdings nicht ganz deckend, so dass der Tongrund durchscheint. Die figürliche Szene auf der Vorderseite des Gefäßes (Abb. 1. 3) ist in rotfiguriger Maltechnik ausgeführt. Im unteren Bereich des Bauches erkennt man ein nicht ganz umlaufendes Schmuckband, einen sogenannten Eierstab, der zugleich die Standfläche für die beiden Figuren bildet. Über der figürlichen Szene befindet sich, wie bereits erwähnt, ein breiter Zungenstab.
Links befindet sich eine unbekleidete männliche Figur (Abb. 1). Der Schwanz, die Ausführung des Gesichts sowie die Glatze zeigen, dass es sich um einen Satyr handelt. Diese Wesen waren eng mit Dionysos, dem Gott des Weines, verbunden und bekannt für ihren sexuellen Appetit. Der Satyr auf der Oinochoe trägt einen Blätterkranz im Haar, der ehemals mit roter Farbe hervorgehoben war und heute kaum mehr kenntlich ist. In schnellem Lauf nach rechts nähert sich der Satyr einer weiblichen Figur. Sie (Abb. 3) ist mit einem langen Gewand sowie einem Manteltuch bekleidet und trägt rote Bänder im Haar. Auch sie ist im Lauf nach rechts, von dem Satyr weg, begriffen, wendet sich jedoch zu ihm um und streckt ihre rechte Hand nach ihm aus. In der linken Hand hält sie einen stabartigen Gegenstand, dessen Spitze allerdings fehlt. Bei diesem Stab handelt es sich wohl um einen Thyrsos, der die Frau als Mänade ausweist - ein Wesen, das im Kreis des Dionysos gleichsam das weibliche Pendant zum Satyrn darstellt. Somit ist das Thema des Vasenbildes eindeutig dem dionysischen Bereich zuzuordnen: dargestellt ist ein Satyr, der eine Mänade verfolgt. Auf einer Weinkanne, die beim Symposion benutzt wurde, ist ein solches Thema durchaus passend. Die Oinochoe wird dem in hochklassischer Zeit tätigen Zwergmaler zugeschrieben, der hauptsächlich Amphoren sowie Hydrien und Peliken bemalte.

Olpe
Bei der zweiten Kanne (Inv. 87) aus der Sammlung handelt es sich um eine Olpe (Abb. 4. 5). Das Gefäß weist einen echinusförmigen Fuß auf; der Bauch ist nicht so stark gewölbt wie bei der Oinochoe und geht ohne Absatz in den Hals über. Der Ausguss ist als Kleeblattmündung gestaltet. Der tongrundige, mit schwarzen Linien verzierte Henkel setzt an der oberen Bauchzone an und führt geschwungen zur Innenseite der Lippe. Er zeigt eine Rille, wodurch er in zwei Rippen gegliedert ist.

Die Bemalung des Gefäßes ist uneinheitlich und wirkt eher braun als schwarz, was auf einen Fehlbrand hindeutet. Das Bildfeld selbst ist tongrundig ausgespart und wird an der Oberseite von einem Geschlinge aus Lotosknospen gerahmt. Die figürliche Szene ist in schwarzfiguriger Technik ausgeführt. Interessant ist, dass das Bildfeld leicht aus der Achse des Henkels verschoben ist. Blickt man man von vorn auf das Gefäß, ist es nicht ganz sichtbar. Möglich ist, dass die Kanne, wenn sie nicht benutzt wurde, an der Wand aufgehängt wurde. In dieser Position wäre die dargestellte Szene tatsächlich am besten zu sehen.

An den Figuren ist teilweise noch rote Farbe zu erkennen, so z.B. bei den Gewändern und der Pferdemähne. Dargestellt sind insgesamt vier Figuren. Ganz links befindet sich ein unbekleideter junger Mann mit einem Speer in der Hand. Offenbar ist er, wie seine lebhaften Gesten vermuten lassen, mit dem neben ihm stehenden und in Vorderansicht dargestellten Reiter im Gespräch vertieft. Rechts neben ihm erkennt ma
n einen weiteren nackten Jüngling, der ebenfalls an dem Gespräch teilzuhaben scheint. Am rechten Rand des Bildfelds erscheint eine vierte männliche Figur. Diese hebt sich durch ihr langes Gewand von den übrigen ab und ist offenbar auch nicht an deren Gespräch beteiligt. Solche scheinbar unbeteiligten Figuren werden als "Zuschauerfiguren' bezeichnet. Zu erwähnen ist noch ein Hund, der sich zu Füßen des Reiters befindet. Jagdhund und Pferd weisen darauf hin, dass hier junge Männer der wohlhabenden Oberschicht dargestellt sind; wegen der Bewaffnung der linken Figur handelt es sich möglicherweise um Jäger. Die Nacktheit der beiden stehenden Jünglinge evoziert das Ideal eines jugendlich-athletischen Körpers.

Auf der Rückseite der Olpe befindet sich noch eine weitere Verzierung (Abb. 5). Man sieht dort zwei tongrundige dreieckige Aussparungen, zwischen denen ein schwarzes Oval entsteht. Einige Forscher möchten hier ein stilisiertes Auge erkennen. Ob dies zutrifft bleibt unsicher, denn es könnte sich auch um eine ornamentale Verzierung handeln.

Literatur
Inv. 87: R. Hampe - E. Simon, CVA Mainz (1) Taf. 38, 1-3; B. Lowis in: K. Junker (Hrsg.), Aus Mythos und Lebenswelt. Griechische Vasen aus der Sammlung der Universität Mainz (Worms 1999) 39-42. - Inv. 115: E. Böhr, CVA Mainz (2) Taf. 12, 7; 13. - Zur Gefäßform: W. Schiering, Die griechischen Tongefäße ²(Berlin 1983)152 f. - Zur antiken Reparatur an Inv. 115: A. Nießner in: Junker a.O. 105 f.

Sandra Kyewski