Paul Meyer

Imaginatives Resonanz Training – Körpersymptom-orientierte Selbstheilung über die Vorstellung
Paul Meyer berichtet

 

Im Winter 1990 begann ich meine Studien, wie wir über gezielte Aufmerksamkeit auf unsere Körperempfindung Störungen und Hindernisse eines gesunden Zustandes überwinden können. Im Laufe von fast 25 Jahren konnten ich selbst wie auch zahlreiche Ärzte und Therapeuten, die sich die IRT-Methode aneigneten, über die Arbeit mit an unterschiedlichsten Symptomen Leidenden IRT weiter entwickeln (mehrere hundert Behandlungen sind dokumentiert). Vor allem aber konnte die Arbeitshypothesen, wie wir allein über die Vorstellung nicht nur Schmerzen vermindern, ja sogar verschwinden machen, sondern auch pathologische Veränderungen unseres Körpers wieder in einen gesunden Zustand bringen können, wissenschaftlich in einer neurophysiologischen Studie mit funktioneller Magnetresonanztomographie am Universitätsklinikum Frankfurt erhärtet werden.

So begann alles: Eine Mitarbeiterin der Maschinenfabrik, in der ich als Berater tätig war, kehrte nach monatelanger Krankheit wieder an ihren Arbeitsplatz in der Kantine zurück. Trotz der Krankengymnastik nach ihrer Operation am Handgelenk konnte sie ihre Hand nicht schließen und mit ihr Gegenstände halten. Ich bat sie, mit mir ein kleines Experiment durchzuführen: Sie solle mit einer nur vorgestellten rechten Hand die Tischkante zu ergreifen, neben der sie gerade stand. Etwas überrascht tat sie dieses und konnte damit die Tischkante fühlen und die vorgestellte Hand auch im Geiste sehen: Daumen obendrauf, Finger untendrunter, mitsamt der Operationsnarbe und den Versteifungen.

Dann wollte ich wissen, wie weit sie die vorgestellte Hand nun schließen könne. Sie konnte das genügend, um die Kante zu umfassen, was sie zu überraschen schien. Dann bat ich sie, mit der vorgestellten Hand – woran man ja nichts kaputtmachen könnte – auf die Tischkante zuzugreifen. Obwohl sie das mit der wirklichen Hand nicht konnte, ging es mit der vorgestellten! Sie berichtete darauf erstaunt, dass die Hand, speziell die Operationsnarbe, zu kribbeln anfing und warm wurde was sich den Arm hinauf ausbreitete. Sobald das nicht weiter ging, bat ich sie, den Griff loszulassen und sie berichtete eine Verstärkung dieser Wirkungen, ausgehend von den Fingerspitzen, die gegen die Unterseite der Tischplatte eingedrückt gewesen waren. Für einen Abschluss der Übung bat ich sie, die vorgestellte Hand in die wirkliche hineinzubewegen und deren Auflösung dort zu spüren.

Frau R. berichtete, dass die wirkliche Hand, ohne überhaupt bewegt zu werden, die Sensationen der vorgestellten Hand mitgemacht hätte und dass jetzt ein Kribbeln und ein Arbeiten mit Wärme in der Hand vor sich ging: Die Operationsnarbe sei sogar heiß. In einem zweiten Durchgang dieser Übung intensivierte sich das von ihr berichtete Kribbeln, das Wärmegefühl etc. in ihrer realen Hand. Daraufhin nahm sie die Hand aus der Schlinge, in der sie bislang gesteckt hatte, und zu ihrem und meinem Erstaunen konnte sie die Hand schließen, was seit der Operation nicht möglich gewesen war!

 

Was geschieht bei IRT?

 

Mir wurde klar, dass wir in diesen knapp fünf Minuten einem neuen Phänomen auf die Spur gekommen waren. Dabei war der wesentliche Unterschied zur psychotherapeutischen Vorstellungsarbeit, dass die Augen offen waren, und der in Lebensgröße vorgestellte Körperteil mit der angeschauten wirklichen Umgebung in aktiven Bezug gesetzt wurde. Nach einigen weiteren solchen Übungen mit an unterschiedlichen Symptomen an ihrem Bewegungsapparat Leidenden formulierte ich meine Hypothese: Ein normaler Körper funktioniert nach einem unsichtbaren Grundmuster bzw. um mit Rupert Sheldrake (1981) zu sprechen: einem morphogenetischen Feld von Gesundheit, das mit diesem Körper räumlich mehr oder weniger zusammenfällt. Bei Krankheiten, Operations- und Unfallfolgen etc. wird das Grundmuster lokal von Störfeldern überlagert. Das in der Vorstellung spontan in Körpernähe erscheinende „Körperbild" zeigt das momentan wirkende Gesamtmuster und macht die Wechselwirkung zwischen dem realen und imaginierten Feld erfahrbar. Ausgehend davon kann nun der Störfeldanteil aufgelöst werden.

Zu diesem Zweck sucht man diejenigen muskulären Anspannungen des Körperbildes, die den Schmerz bzw. das Symptom provozieren und sucht sie imaginativ zu verändern, denn in der Vorstellung sind weitaus mehr Aktivitäten mit dem in Mitleidenschaft gezogenen Körperteil – der Hand, dem schlecht durchbluteten Bein, aber auch dem amputierten Glied, das Phantomschmerzen bereitet – möglich. Dabei entsteht eine Rückkoppelung der vorgestellten Empfindungen und Bewegungen mit den realen betroffenen Körperteilen löst sich das Störfeld schrittweise auf und das störungsfrei erlebte Grundmuster setzt sich wieder durch.
Mit der bildgebenden Methode des Neuroimaging konnte ich in einer Studie (Meyer e.a., 2012), dass mentale Vorstellungen von Bewegungen genau wie reale Aktionen des Bewegungsapparates sowie Sinneseindrücke im Gehirn die entsprechenden Repräsentationsgebiete des Bewegungsapparates aktivieren: Vorstellungen von Handbewegungen der motorischen Hirnrinde, Vorstellungen von Bewegungen der Zunge aktivieren die Zungenregion der primär motorischen Rinde. Dies gilt auch für Sensorik und die taktile Imagination, die Vorstellung einer Berührung, bei der Areale im sensorischen Cortex aktiviert werden. IRT nutzt die Rückkoppelung von Realität und Vorstellung in unserem Zentralen Nervensystem und macht diese zu einer Methode der Selbstentspannung und Selbstheilung: Mit IRT werden Sie vom Patienten, dem Leidenden, zum Anwender und aktiv Forschenden.

 

Evidenzbasierung

 

In meinem Buch möchte ich Schritt für Schritt in die Methode von IRT einführen: Übungsabläufe werden für unterschiedliche Symptomgruppen, die sich in der jahrzehntelangen Anwendung von IRT und der genauen Beobachtung der positiven Veränderungen an den Patienten systematisch erhärtet haben, detailliert beschrieben und mit medizinischen Kasuistiken, die im Verlauf meiner Forschungen erstellt und medizinisch bestätigt wurden, illustriert. Zugleich soll über den geistigen Hintergrund dieser Methode ein geschärftes Bewusstsein für unser Körperempfinden, seine Stör- und Verletzbarkeit entwickelt werden: Was wir unter ‚gesund‘ und ‚krank‘, unter ‚Behinderung‘ unserer Bewegungs- und Empfindungsfähigkeit verstehen, wird von zahlreichen Hypothesen und Modellen – laienhafter wie wissenschaftlicher Natur – geprägt.
Häufig geht jedoch gerade durch solche Erklärungen unser ureigenes Empfinden verloren: Was eigentlich von uns selbst unmittelbar leiblich empfundene Körpersymptome sind, wird kategorisiert als dies oder jenes organische Leiden oder aber auch wie im Falle chronischer Schmerzen als ohne organische Ursache, als schwer oder gar nicht mehr therapierbar. Dadurch werden die Möglichkeiten, sich selbst mit dem eigenen Leiden auseinanderzusetzen, behindert und eingeschränkt. Der zentrale Stellenwert der Selbsterfahrung, wie er nicht zuletzt im ost-asiatischen Denken und seiner Meditationspraxis bekannt ist, soll in kleinen Exkursen zu leiblichem Spüren, der Entwicklung von Körperbild und –schema und unseren unterschiedlichen Weisen der Bewusstheit auf uns selbst, die Welt und andere Menschen, erläutert werden.

Dennoch lassen sich auch empirisch verifizierbare Gründe für die Wirksamkeit für IRT anführen. Hierzu wird im Anhang die von Paul Meyer, Christoph Matthes, Karl Erwin Kusche und Konrad Maurer am Uniklinikum Frankfurt 2012 durchgeführte klinische Studien an zwei Patienten mit Phantomgliedschmerzen vorgestellt, die die vollständige Auflösung dieser Schmerzen nach der Anwendung von IRT mit Hilfe funktioneller Magnetresonanztherapie (fMRT) auch evidenzbasiert nachweisen konnte. Ebenso wird die erprobte Verbindung von IRT mit anderen Therapiemethoden dargestellt, wie es von zahlreichen Therapeuten erprobt wurde. Auch hier soll das Buch Anregung sein, auf diesem Gebiet weiter zu forschen, selbst vom Leidenden zum Anwender zu werden.
Die zuvor angeführte Hypothese zur Entstehung von einer Reihe von Krankheiten und Leiden ist im Ansatz nicht neu, wohl aber das vorgestellte zyklische Angehen der unbewusst gespeicherten muskulären An- und Entspannungen, die die verschiedensten Körpersysteme in ihren normalen Funktionen beeinträchtigen. Bei der Einführung einer neuen Behandlungsmethode muss man sich vergegenwärtigen, dass mehrere hundert Verfahren in der Psychotherapie bekannt sind und weitere Methoden eher mit Misstrauen aufgenommen werden. Eine Ausnahme könnte sein, dass ein Verfahren nach kurzer Einführung dem Anwender die Möglichkeit gibt, eigenständig in jeder Situation und überall eine Methode einzusetzen, die Symptome vermindert. Gerade dies zeichnet IRT aus.

Bekannte und erprobte Psychotherapiemethoden, die häufig zur Entspannung und Lockerung sowie zur Angstlösung eingesetzt werden, sind: Autogenes Training, Progressive Muskelentspannung, Hypnose und verwandte Verfahren, schließlich das Katathyme Bildererleben. Entspannungsverfahren, vor allem das autogene Training, aber auch die progressive Muskelentspannung kann man selbst überall einsetzen. Die Effekte sind Entspannung, Beruhigung, Selbstkontrolle, Schmerzbekämpfung und Verbesserung des Körpergefühls. Die Indikationen sind vielfältig und betreffen besonders Patienten mit psychovegetativen Beschwerden, chronische Schmerzzustände, Erschöpfungszustände, Antriebs- und Unruhezustände und Schlafstörungen. Nebenwirkungen sind fast unbekannt. Charakteristisch an den o.g. Verfahren ist, dass ausschließlich der Weg der willentlichen Selbstentspannung gewählt wird. Bei der Feldenkrais-Methode wird über Erforschen und Verändern unserer individuellen Bewegungs- und Verhaltensmuster ein Zugang zu unserem Körper- und Bewegungsschema gesucht. Für Moshe Feldenkrais ist der Mensch in sich selbst regulierendes rekursives System; an jeder seiner Handlungen sind Bewegungen, Sinnesempfindungen, Gefühle und Denken zusammen beteiligt, jede Veränderung einer dieser Komponenten verändert auch das ganze System. Wir alle handeln nach einem Bild, das wir im Laufe des Lebens von uns machen (vgl. Feldenkrais 1981, 19). Gerade die Motorik, aber auch beschrieb dies folgendermaßen: „Ein jeder bewegt sich, empfindet, denkt und spricht auf traumatische Erfahrungen, Verletzungen und Unfälle prägen dieses Selbstbild. Durch bewusste Aufmerksamkeit auf unsere Bewegungs-, Empfindungs-, aber auch Denkmuster kann dieses Bild und damit auch unsere psychosomatische Haltung so verändert werden, dass es uns nicht nur ein für uns intaktes psycho-physisches System widerspiegelt, sondern sich dies auch in schmerzfreien Bewegungen umsetzen lässt.

Die Arbeit des Aufmerksamkeitsleiters, der zumindest zu Beginn des Trainings mit dem Anwender zusammenarbeiten sollte, orientiert sich an dem Persönlichkeitskonzept der Feldenkrais-Methode, gleichwohl die körpersymptomorientierte Konzeption von IRT die Bewegung allein imaginativ vollziehen lässt, dabei jedoch die Aufmerksamkeit auf das eigene Körperbild steigert; Empfindung, Gefühl und auch im Anschluss an die Sitzung das Denken werden intensiviert, was dann auf die Bewegungsfähigkeit zurückwirkt.
Das Selbstbild eines Menschen besteht nach Moshe Feldenkrais (1904-1984) aus vier Bestandteilen, die an jeder Handlung beteiligt sind: Bewegung, Sinnesempfindung, Gefühl und Denken: „Um sich zu bewegen braucht man, bewußt oder unbewußt, mindestens einen seiner Sinne, und indem man ihn gebraucht, wird man notwendig auch fühlen und denken. Damit einer sehe, höre, berühre oder Berührung merke, überhaupt durch seine Sinne etwas empfinde und wahrnehme, muß sein Interesse und seine Aufmerksamkeit geweckt werden, muß er bemerken oder erkennen, muß etwas geschehen und an ihn kommen, das ihn angeht und bewegt. Zur Sinnesempfindung gehört hier auch, daß er sich bewegt, daß er fühlt und denkt.

Um Ärger und Freude empfinden zu können, muß einer in einer bestimmten Haltung sein und in irgendeiner Beziehung stehen zu einem anderen Lebewesen oder Gegenstand. […] Um zu denken, muß einer wach sein und wissen, daß er wach ist und nicht träumt; das heißt, er muß seine körperliche Stellung oder Lage im Verhältnis zum Schwerefeld empfinden und erkennen können.“ (Feldenkrais 1981, 32).

An chronischen Schmerzen, besonders im Rückenbereich, lässt sich dies einprägsam illustrieren: Bei manchen Menschen treten nach unverhältnismäßiger physischer Belastung (z.B. schweres Heben aus dem Kreuz heraus), Schmerzen im Lendenwirbelsäulenbereich auf. Diese können immer wieder auftreten, und manche Menschen werden diese Schmerzen gar nie wieder los, obwohl unzählige Untersuchungen beim Orthopäden, Radiologen und Neurologen keinen wirklich „fassbaren“ Grund liefern können: Das Röntgenbild oder die Computertomographie sind weitgehend unauffällig, die Nervenbahnen sind nicht geschädigt und auch sonst sind außer den Schmerzen keine handfesten krankhaften Veränderungen am Skelett vorhanden, die die Schmerzen erklären könnten. Die Ärzte sind oftmals ratlos und der Patient verzweifelt nicht selten, da seine Beschwerden weiterhin unvermindert fortbestehen und allenfalls durch starke Schmerzmittel vorübergehend zu lindern sind. Chronische Rückenschmerzen, bei denen sich in vielen Fällen keine eindeutige Ursache finden lässt, sind ein ausgezeichnetes Beispiel dafür, wie sich Schmerzen verselbstständigen können und auch ohne äußere Ursache weiter fortbestehen können.

Ein weiteres Beispiel sind Phantomschmerzen. Phantomschmerzen treten bei vielen Menschen auf, bei denen ein Körperglied (z.B. Hand, Arm, Unterschenkel etc.) oder ein anderer Körperteil (z.B. Brustamputation bei Brustkrebs) amputiert worden ist und die nach der Amputation Schmerzen in eben diesem – nicht mehr vorhandenen –Körperteil empfinden. In vielen Fällen sind diese Phantomschmerzen nur durch Einsatz hoher Dosen von Opiaten halbwegs zu dämpfen. Über die Ursachen von Phantomschmerzen gibt es viele unterschiedliche Theorien. Keine davon konnte jemals bewiesen werden. Nun konnte aber mit Hilfe modernster bildgebender Verfahren gezeigt werden, dass die Stelle im Gehirn, die vor der Amputation für die Empfindung bzw. Bewegung des betroffenen Körperteils zuständig gewesen ist, nach der Amputation bei vielen Betroffenen ganz anders beansprucht wird. So wird z.B. das „Handareal“ im Gehirn nach der Amputation der Hand etwa dann aktiviert, wenn man den Mund bewegt, was vollkommen unphysiologisch ist, denn das Handareal ist ja für die Bewegung der Hand zuständig sowie für alle Empfindungen, die aus dem Handbereich kommen. Das Mundareal liegt im Gehirn übrigens in direkter Nachbarschaft zum Handareal. Wenn also durch eine Handamputation die normalen, gesunden Rückkopplungen aus der Hand an das Gehirn wegfallen oder wenn krankhafte Signale aus Nervenfasern des Amputationsstumpfes quasi als „Rauschen“ das Gehirn fluten, dann kann das Gehirn keinen Abgleich mehr zwischen dem Normalbild und dem aktuellen Zustand der Hand vornehmen.

Ziel von IRT ist nun, das veränderte Selbstbild wieder bewusst zu machen. Heilerfolge zeigen sich zumeist schon nach den ersten Übungen, die idealerweise nach einer ersten Anleitung durch einen ausgebildeten Aufmerksamkeitsleiter dann sehr schnell selbst in den Alltag integriert werden können. Anders als z.B. bei der Hypnose wird das Training im Wachzustand und mit der Aktivierung aller Sinne durchgeführt. Durch die IRT-Übungen soll das störungsfreie Bild im bewussten Zustand wieder in den Vordergrund treten und so das Störbild ersetzen. Wie geht dies vor sich? Man beschließt zunächst, den betroffenen Körperteil in der Vorstellung „kommen zu lassen“. Ohne sich besonders anzustrengen, beginnt man damit, sich selbst außerhalb seines Körpers befindend visuell vorzustellen, mit besonderem Augenmerk auf den betreffenden Körperteil, der Beschwerden bereitet. Was passiert dabei? Mit dem Beschluss, ein Bild der Gliedmaße in Ihrem Kopf entstehen zu lassen, wird auf einer unbewussten Ebene das Körperbild oder Selbstbild angesprochen. Ohne dass Sie das wollen oder gar beabsichtigen, wird Ihnen – je nachdem welche Störung vorliegt – ein entsprechend krankhaft verändertes Bild vor Augen kommen. Sie stellen sich nun visuell vor, wie sie mit der betreffenden Gliedmaße bestimmte Aktionen ausführen (z.B. die Handfläche auf die Tischplatte aufzulegen, die Tischkante zu umgreifen etc.). Damit werden weitere Elemente und Details des Körperbildes an die Oberfläche bzw. ins Bewusstsein geholt.

 

Lernen, Resonanz und Feedback

 

So berichten manche Patienten, dass sie bei der vorgestellten Bewegung starke Schmerzen empfinden oder Verkrampfungen oder andere Missempfindungen. All diese unangenehmen Empfindungen sind Bestandteil des Störbildes im Gehirn. Wenn Sie es bei dieser Übung belassen würden, würden Sie keinen Therapieerfolg erzielen. Deshalb kommt nun der entscheidende Schritt: Nachdem sich das visuelle Bild des vorgestellten Körperteils, mitsamt all den zusätzlichen Empfindungen, die dadurch mit an die „Oberfläche“ geholt worden sind, in ihrer Vorstellung stabilisiert hat, brechen Sie diese Vorstellung ab, indem sie die Vorstellung wieder in ihren realen Körper quasi „zurückholen“ und sich nun auf die reale Empfindung aus dem betreffenden Körperteil konzentrieren. Diese beiden Vorgänge: „hinein in die Vorstellung“ und „heraus aus der Vorstellung“ bilden zusammen einen Zyklus. Ein Zyklus ist die kleinste therapeutische Einheit während der IRT, der zu Beginn sich über mehrere Minuten erstrecken kann, im Laufe der Übungen sich dann jedoch bis in Sekundenbruchteile verkürzen kann. Eine Wiederholungsrate von mindestens 20-30 Zyklen pro Minute ist anzustreben. Bei dieser Geschwindigkeit zeigen sich auch die besten Heilerfolge, die sofort, also noch während einer IRT – deutlich zu spüren sind. Je öfter diese Übung wiederholt wird, umso besser gelingt die Vorstellung: die vorgestellten Bilder werden klarer, schärfer, intensiver. Sie brauchen weniger Zeit und Kraft, um diese Vorstellungen aufzubauen. Man kann diesen Übungseffekt auch mit dem Erlernen eines neuen Handgriffes oder einer neuen Tätigkeit vergleichen: Am Anfang fällt es noch schwer, eine neue Bewegung – z.B. beim Musizieren – auszuführen, aber mit jeder weiteren Wiederholung werden die Bewegungen leichter und präziser.

Wenn Sie sich nun ihre Hand visuell vorstellen, dann sprechen sie auf einer unbewussten Ebene das im Gehirn gespeicherte „Selbstbild“ der Hand an. Und wie wir bereits eingangs sagten, besteht dieses Selbstbild nicht nur aus visueller Information sondern aus Informationen, die aus allen Sinneskanälen gespeist werden: Im Selbstbild (z.B. auf die Hand bezogen) sind alle Empfindungen abgespeichert, die diese Hand jemals erlebt hat: wie es war, wenn Sie ihre Hand auf eine kühle, glatte (Tisch-)platte gelegt haben, denn das haben sie in der Vergangenheit schon oft getan. Wie es sich anfühlt, wenn Sie Ihre Fingergelenke beugen und ihre Handmuskeln anspannen, denn das haben sie schon tausend- oder gar millionenfach in Ihrem Leben gefühlt, wann immer sie eine Handbewegung ausgeführt haben. Alle diese Empfindungen sind im Selbstbild abgespeichert. Und durch die visuelle Vorstellung der Hand (und ihrer Bewegung), werden alle diese Informationen wieder auf die bewusste Ebene gehoben, wo sie sie dann auch bewusst in der Vorstellung wahrgenommen werden. Dazu gehören auch Informationen die im „Störbild“ abgespeichert sind. Daher kommt es auch zu Schmerzen oder anderweitigen Beschwerden in der Vorstellung, wenn eine Störung des Selbstbildes vorliegt.

Dieses Phänomen wird auch als „Resonanz“ bezeichnet: Sie erhalten, durch ihre Vorstellung angestoßen, eine Rückmeldung, die sich direkt aus dem aktuellen gestörten Selbstbild des betreffenden Körperteils speist. Je öfter Sie die Vorstellung nach einem Zyklus beenden und ihr Gehirn in einem neuen Zyklus erneut eine Rückkopplung vom Selbstbild erhält, umso größer ist die Chance, dass das Normalbild, also das ursprüngliche, gesunde, Selbstbild zum Vorschein gelangt und das krankhafte Störbild wieder verschwindet. Das Normalbild hört niemals auf zu existieren, es wird allenfalls von einem gestörten Bild überlagert. Die schnellen Vorstellungszyklen während der IRT stellen offenbar einen ganz starken Reiz dar, aufgrund dessen das in den Hintergrund gedrängte Normalbild sich wieder entfalten kann. So kommt es, dass während einer IRT Sitzung der Patient berichtet, wie seine vorgestellte Wahrnehmung (visuelle Wahrnehmung von Form, Farbe, Gestalt, Berührungsempfinden, Bewegungsempfinden, Temperaturempfinden, Lageempfinden etc.) des betreffenden Körperteils immer klarer, deutlicher und schärfer wird, während die aus dem Störfeld stammenden krankhaften Wahrnehmungen (Schmerz, Missempfindungen aller Art etc.) mit jedem weiteren Zyklus immer mehr verblassen. Je stärker und besser das Normalbild zum Vorschein kommt, desto schwächer wird das Störbild.

Dieser Effekt ist dermaßen gut reproduzierbar und verblüffend, dass viele Patienten dies schon als eine Art „Wunderheilung“ bezeichnet haben und beinahe gar nicht fassen können, wie prompt und nachhaltig Ihre aktuellen Beschwerden sich dadurch lindern oder gar ganz auflösen lassen. Dies erfordert jedoch ein hohes Maß an Konzentration und Motivation. Gerade durch diese direkte Selbstbeteiligung des Leidenden wird der Anwender von IRT gleichzeitig auch sein eigener „Heiler“.
IRT soll eine schulmedizinische Behandlung nicht ersetzen, sie kann diese nur ergänzen. Wir raten davon ab, ohne Rücksprache mit behandelnden Medizinern ein IRT zu beginnen. Auch wenn ein Selbststudium von IRT möglich ist, raten wir, die Übungen unter Anleitung eines erfahrenen Aufmerksamkeitsleiters zu beginnen, der helfen kann, Symptome zu lokalisieren, der Widerständen oder negativen Erfahrungen im Anfangsstadium des Trainings mit Ihnen nachgehen kann.

 

IRTII

 

IRTII, die Erweiterung unserer situativen und geschichtlichen Erfahrung, der Gewinn an Aufmerksamkeit darauf, wie wir uns befinden, entwickelte sich u.a. aus dem Studium von Ken Wilbers „Spektrum des Bewußtseins“ und der These, dass Grenzen, die wir unserem Erleben auferlegen und die zu einer Einschränkung unseres Bewusstseins führen, Konflikte bedeuten.

Das Paradigma, Grenzen zu ziehen, zwischen uns und anderem, zwischen unseren Vorlieben und Zielen, um Entscheidungen zu treffen, wird verschoben. Grenzziehungen bereiten Konflikte vor. „Wesentlich ist, daß wir immer dazu neigen, die Grenze als real zu behandeln, und dann die Gegensätze, die die Grenze geschaffen hat, manipulieren. Wir scheinen die Existenz der Grenze selbst nie in Frage zu stellen. Weil wir die Grenze für real halten, bleiben wir unerschütterlich bei der Vorstellung, die Gegensätze seien unvereinbar, getrennt, auf immer festgelegt.“ (Wilber 1991, 36)

Gegensätze sind wechselseitig voneinander abhängig, sind Teil eines gemeinsamen Bewegungs- und Handlungsprozesses: Subjekt und Objekt, Zeit und Rum bilden ein verflochtenes Kontinuum, ein Muster, eine Gestalt, die aus Figur und Grund, dem Zusammenhang von Gegensätzen wie hell und dunkel besteht. Die Grenze zwischen Gegensätzen trennt nicht nur, sondern vereinigt auch – gleich einer Linie.

 

konkav     )    konvex

 

Eine Linie ist nur dann eine (illusorische) Grenze, wenn wir uns ihre beiden Seiten als getrennt und beziehungslos vorstellen, wenn wir nur den äußeren Unterschied zweier Gegensätze, nicht aber die innere Einheit bemerken. Mit IRTII können wir darangehen, Täuschungen und Illusionen in unserem Alltag, die aus der grundlegend immer selektiv stattfinden Wahrnehmung resultieren, zu bemerken (nicht sie zerstören). Projektionen können aufgelöst werden, indem man selber hinschaut, statt mit den Augen anderer auf sich zu blicken. Auch dies ist mit der imaginativen Resonanz möglich.
Beginnen wir nun mit der schrittweisen Einführung in IRT.

 

Feldenkrais, Moshe (1981): Bewußtheit durch Bewegung. Frankfurt/Main
Sheldrake, Rupert (1981): A new Science of Life. Dt.: Das schöpferische Universum. Die Theorie des morphogenetischen Feldes. Aus dem Englischen von Waltram Landmann und Klaus Wessel. Ullstein, Frankfurt am Main/Berlin 1983, Neuauflage 2009
Wilber, Ken (1991): Wege zum Selbst. Östliche und westliche Ansätze zu persönlichem Wachstum. München

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Einführung - Diese Datei als PDF

Paul Meyers Buch zu IRT, mit einer Einführung zu hirnphysiologischen Vorgängen, der Bildung des Körperschemas und dem leiblichen Umlernen bei IRT: pdf

Artikel zu Heilung von Phantomschmerzen, aus: Psychiatry Research 202 (2012): PsychiatryResearch

Fallbericht: pdf

IRT lehren: Handreichungen für den Aufmerksamkeitsleiter

Aus Erfahrungsberichten von IRT-Anwendern