Jägers Prunkwinde

Die schöne Ipomoea jaegeri an ihrem neuen
Standort im Cycadeen-Gewächshaus.

Ipomoea jaegeri Pilg.

Diese Pflanze werden Sie nicht kennen, und den Jäger, nach dem sie benannt ist, wahrscheinlich auch nicht. Aber es lohnt sich, die beiden etwas näher zu betrachten, denn die Pflanze ist wirklich sehr attraktiv! Und die Geschichte ihrer Entdeckung und Beschreibung vermittelt eine ganz gute Vorstellung von der Vorgehensweise und den Schwierigkeiten bei der Benennung und Klassifizierung einer Pflanze.

Begeben wir uns gleich an den Ort der Entdeckung! Am 8. Januar 1907 erreichte der deutsche Geograph Fritz Jäger (1881-1966) die Gipfelregion des Lamuniane, eines etwa 2.400 m hohen Gebirgszuges westlich des Natronsees im Norden Tansanias. Diese Region war damals Teil der Kolonie Deutsch-Ostafrika, und Jäger unternahm im Auftrag der Kolonialabteilung des Auswärtigen Amtes eine Forschungsreise in das Hochland der Riesenkrater und die umliegenden Hochländer Deutsch-Ostafrikas. Sein Auftrag war die geographisch Erkundung und Kartographierung dieser noch weitgehend unbekannten Region. Begleitet wurde er von seinem Vetter Eduard Oehler, dessen Aufgaben das botanische Sammeln und vor allem das Fotografieren umfassten. „Im Übrigen“, berichtet Jäger, „waren wir für ostafrikanischen Verhältnisse einfach ausgerüstet und reisten daher ziemlich billig. Unsere Karawane zählte durchschnittlich 65 Köpfe, was für ein solches Unternehmen sehr wenig ist.“ Soviel zum personellen Aufwand damaliger Forschungsreisen.

Interessant ist auch Jägers Beschreibung der botanischen Ausrüstung, die ihm das Botanische Museum in Berlin-Dahlem zur Verfügung gestellt hatte: „Sie bestand in Pflanzenpressen, Kisten mit Blecheinsatz, Pflanzenpapier, 50 l reinen Alkohol. Die gesammelten Pflanzen wurden nach leichtem Pressen in gesonderte nummerierte Papierbogen gelegt, in diesen in die Kisten verpackt und mit Alkohol durchfeuchtet. Die vollen Kisten wurden luftdicht verschlossen an das Botanische Museum zurückgesandt, wo dann die Pflanzen getrocknet wurden.“ Die Suche nach neuen Pflanzenarten stand aber nicht im Mittelpunkt. Bezüglich der Pflanzen ging es vor allem darum, die Ausdehnung der unterschiedlichen Vegetationsformen zu dokumentieren „Wir haben deshalb beim Sammeln nicht nach neuen Arten gefahndet und deswegen den Botanikern eine kleine Enttäuschung bereitet, sondern vielmehr Charakterpflanzen gesammelt.“ So wurden auf dem Lamuniane, auf dem eine parkartige Steppenvegetation vorherrschte, auch nur vierzehn Pflanzenarten gesammelt. Darunter war dann aber doch eine Art, die die Botaniker in Berlin noch nicht kannten und die Robert Pilger unter dem Namen Ipomoea jaegeri Pilg. wissenschaftlich beschrieb.

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts war das Botanische Museum in Berlin-Dahlem eines der führenden Zentren für die Erforschung und Klassifikation der unzähligen neu entdeckten Pflanzenarten. Allein Robert Pilger beschrieb in dieser Zeit 2.396 neue Arten. Über die von Jäger und Oehler gesammelte Ipomoea merkte er an „Es sind nur die Spitzen von Ästen vorhanden, die ziemlich dick und dicht beblättert sind“. Aber an diesen Zweigen waren Blüten und Früchte vorhanden, und so fand Pilger alle Merkmale, die er für die Klassifizierung benötigte. Nach der Bearbeitung wanderten die gepressten und auf Papierbögen aufgeklebten Zweige zur dauerhaften Archivierung ins Herbarium des Museums. Für zukünftige Forscher sollten sie hier als Referenzbelege zur Verfügung stehen. Aber es kam anders: Im März 1943 wurde das Herbarium durch einen Bombenangriff nahezu vollständig zerstört. Darunter auch die Belege der Ipomoea jaegeri. Somit ist es heute schwierig zu entscheiden, was unter einer Ipomoea jaegeri zu verstehen ist.

Wahrscheinlich waren Fritz Jäger und Eduard Oehler aber nicht die ersten Forscher, die diese ungewöhnliche Prunkwinden-Art, die gar keine Windepflanze ist, sondern eine kniehohe Staude, gesammelt haben. Im Herbarium der Universität Hamburg gibt es einen sehr ähnlichen Beleg, den der Afrikaforscher Gustaf Adolf Fischer 1882/83 ebenfalls in Ostafrika gesammelt hat. Dieses Exemplar war bereits 1893 als neue Pflanzenart mit dem Namen Rivea nana Hallier f. beschrieben worden. Allerdings ist dieser Name, obwohl er älter ist, nach den komplizierten Regeln der botanischen Nomenklatur ungültig. Und es gibt noch mindestens zwei weitere Namen, die heute als gleichbedeutend mit Ipomoea jaegeri eingestuft werden. Noch immer ist die Abgrenzung dieser Pflanzenart nicht ganz klar. Offenbar handelt es sich um eine recht variable Pflanzenart, deren Verbreitungsareal in Kenia und Tansania liegt, aber möglicherweise auch bis nach Äthiopien reicht. Ihre Einordnung innerhalb der großen Gattung Ipomoea (Prunkwinden) mit weltweit etwa 600 Arten wurde vor einigen Jahren durch molekulare Untersuchungen bestätigt.

Im Botanischen Garten der Universität Mainz wird Ipomoea jaegeri erst seit dem Jahr 2013 kultiviert. Sie ist Teil einer Forschungssammlung zur Bearbeitung der Windengewächse (Convolvulaceae). Nun hat die Pflanze zum ersten Mal geblüht und dank ihrer aparten Erscheinung einen festen Platz in der Schausammlung des Botanischen Gartens erhalten. Sie kann im hinteren Teil des Cycadeen-Gewächshauses besucht werden.

Fritz Jäger kam übrigens wohlbehalten aus Ostafrika zurück. Er unternahm 1914 noch eine Forschungsreise nach Südwestafrika, wo er vom Ausbruch des ersten Weltkrieges überrascht wurde. Erst 1919 konnte er wieder nach Deutschland zurückkehren. Von 1928 bis 1947 war er schließlich Professor für Geographie an der Universität Basel. Er war ein bedeutender Geograph, aber seine Ipomoae jaegeri hat er wohl nie wieder gesehen.

Systematik Windengewächse (Convolvulaceae)
Heimat Tansania, Kenia, Äthiopien ?
Standort Gewächshaus 17 (Cycadeen-Haus)

Literatur
Jaeger, F. (1911-1913). Das Hochland der Riesenkrater und die umliegenden Hochländer Deutsch-Ostafrikas, Ergebnisse einer amtlichen Forschungsreise ins abflusslose Gebiet des nördlichen Deutsch-Ostafrikas 1906/1907. Berlin, Mittler.
Manos, P.S., R.E. Miller & P. Wilkin (2001). Phylogenetic analysis of Ipomoea, Argyreia, Stictocardia, and Turbinia suggests a generalized model of morphological evolution in Morning Glories. Systematic Botany 26: 585–602.
Pilger, R. (1910). Convolvulaceae africanae II. Bot. Jahrb. Syst. 45(2): 220.
Sebsebe, D. (2006). Convolvulaceae. Pp. 161 - 231. In: Flora of Ethiopia and Eritrea Vol. 5. Addis Ababa, Uppsala.
Verdcourt, B. (1963). Convolvulaceae. Pp. 1 - 161. In: Hubbard, C.E. & E. Milne-Redhead (eds.), Flora of Tropical East Africa. London.

Text und Fotos: Dr. Ralf Omlor | 18.09.2014