Naturschutz


Wiederansiedlung des Lungen-Enzians bei Nackenheim im Oktober 2017

Botanische Gärten sind durch ihre wissenschaftliche und gärtnerische Expertise besser als jede andere Einrichtung in der Lage, bedrohte Pflanzenarten für eine begrenzte Zeit außerhalb ihres Lebensraums als lebende Pflanzen zu erhalten. Solche Maßnahmen werden als ex situ- oder Erhaltungskulturen bezeichnet. Sie sind neben der Einlagerung von Saatgut in sogenannten Genbanken die wichtigste Methode, den Artenschutz zu gewährleisten, wenn in den natürlichen Lebensräumen (in situ) die Erhaltung der Pflanzen vorübergehend oder dauerhaft nicht mehr möglich ist. Idealerweise erfolgen ex situ Kulturen nur für einen begrenzten Zeitraum, da es in der Kultur bei jeder neuen Vermehrung durch Saatgut zu Veränderungen der genetischen Variation der Pflanzen kommen kann. Kurzfristige Erhaltungskulturen sind bei gutem Management eine der wichtigsten Möglichkeiten, um kleine Bestände bedrohter Arten in der Natur zu stützen oder verschwundene Arten in renaturierten Lebensräumen wieder anzusiedeln.

Der Botanische Garten der Johannes Gutenberg-Universität Mainz unterhält seit Jahrzehnten Erhaltungskulturen insbesondere der seltenen Pflanzen des Mainzer Sandes. Diese langjährigen Erhaltungskulturen werden in der Bildungsarbeit und zu Forschungszwecken genutzt (siehe z.B. Lauterbach et al. 2012).

Seit Juli 2018 sind die Grüne Schule und der Botanische Garten der Johannes Gutenberg-Universität Mainz Projektpartner im bundesweiten Netzwerk zum Schutz von Wildpflanzen in besonderer Verantwortung Deutschlands (WIPs-De II).

Wiederansiedlung des Lungen-Enzians

Im Oktober 2017 wurden in Kooperation mit dem NABU-Projekt "Lebensader Oberrhein" erstmals in größerem Umfang Pflanzen aus Erhaltungskulturen des Botanischen Gartens für ein Wiederansiedlungsprojekt genutzt. Auf der Nagelwiese bei Nackenheim, einer für den Naturschutz angelegten Ausgleichsfläche, wurden 130 Jungpflanzen des Lungen-Enzians (Gentiana pneumonanthe) ausgepflanzt. Der Lungen-Enzian ist in Deutschland stark gefährdet. Seine natürlichen Lebensräume sind in Rheinland-Pfalz vor allem die Stromtalwiesen entlang des Rheins, die aufgrund von Deichbaumaßnahmen und intensiver landwirtschaftlicher Nutzung sehr stark zurückgedrängt worden sind.

Die Erhaltungskultur des Lungen-Enzians im Botanischen Garten basiert auf einer Aufsammlung von einigen wenigen Samen, die 1995 bei einer Biotoppflegeaktion auf der Lorenzwiese bei Guntersblum am Rhein gesammelt wurden. Die Population an diesem Standort ist seit langem rückläufig, und die verbliebenen Exemplare blühen und fruchten offenbar nicht in jedem Jahr. 2009 und 2010 kamen Pflanzen aus Nachzuchten dieser Samen in den Botanischen Garten. Nach anfänglich großen Schwierigkeiten in der Kultur ist es im Botanischen Garten seit 2015 mit einer neuen Vermehrungsmethode gelungen, eine große Zahl von Jungpflanzen des Lungen-Enzians heranzuziehen. Dazu wurden die sehr kleinen Samen in Wassergefäßen zur Keimung gebracht und die winzigen Keimlinge danach auf das Kultursubstrat übertragen. In den ersten Monaten erfolgte die Kultur im Gewächshaus, danach in einem geschützten Bereich im Freiland. Nach etwa zwei Jahren waren die Pflanzen so kräftig, dass sie ausgepflanzt werden konnten. Detaillierte Hinweise zum Keimungsverhalten und zur Biologie des Lungen-Enzians finden sich auch auf der Webseite der AG Erhaltungskulturen des Verbands Botanischer Gärten.

Die nun für den Wiederansiedlungsversuch ausgewählte Fläche ist eine abgeschobene Feuchtsenke mit zwei kleinen Wasserflächen, die im Jahr 2003 als Ausgleichsmaßnahme für ein Bauprojekt geschaffen wurde. Nach Anlage dieses Biotops stellten sich schnell besondere Feuchtwiesenarten, wie die stark gefährdete Binsen-Schneide (Cladium mariscus) und der bundesweit vom Aussterben bedrohte Kriechende Sellerie (Apium repens) ein. Samen dieser Pflanzen waren offenbar noch im Boden vorhanden gewesen. Weitere Arten, wie der Späte Bitterling (Blackstonia acuminata) konnten durch Saatgutausbringung erfolgreich etabliert werden. Da in der Umgebung keine Flächen mit natürlicher Feuchtwiesenvegetation mehr existieren, ist eine Ansiedlung der typischen Pflanzen dieses Lebensraums auf natürlichem Wege kaum mehr möglich. Die Nagelwiese bietet aber hervorragende Standortbedingungen. Aus diesem Grund wurde sie von Dr. Axel Schönhofer, einem Experten für die Wiederherstellung von Naturstandorten, in Abstimmung mit dem zuständigen Biotopbetreuer und der Ortsgemeinde für den Wiederansiedlungsversuch des Lungen-Enzians empfohlen.

Die Ausbringung des Lungen-Enzians aus der Erhaltungskultur des Botanischen Gartens ist nun ein weiterer Schritt, den Wert dieses Biotops zu erhöhen. Durch ein regelmäßiges Monitoring soll in den nächsten Jahren überprüft werden, wie erfolgreich der Ansiedlungsversuch verlaufen ist. Damit können wertvolle Erfahrungen für die potentielle Wiederansiedlung des Lungen-Enzians auf weiteren Flächen gesammelt werden.

Veröffentlichungen, in denen Erhaltungskulturen aus dem Botanischen Garten Mainz untersucht wurden

Lauterbach, D., M. Burkart & B. Gemeinholzer (2012). Rapid genetic differentiation between ex situ and their in situ source populations: an example of the endangered Silene otites (Caryophyllaceae). Botanical Journal of the Linnean Society 168: 64-75.

Müller, C.M., B. Huwe, V. Wissemann, J. Joshi & B. Gemeinholzer (2017). Conservation genetic assessment of four plant species in a small replica of a steppe ecosystem >30 years after establishment. Biodivers Conserv. 26(11), 2699-2716 DOI 10.1007/s10531-017-1381-1.

Text und Fotos | Ralf Omlor