Mainzer Geographische Studien, Heft 35:

Schreiber, Michael: Großstadttourismus in der Bundesrepublik Deutschland am Beispiel einer segmentorientierten Untersuchung der Stadt Mainz.

 

Zusammenfassung

Die vorliegende Arbeit hat sich mit dem Phänomen des bundesdeutschen Großstadttourismus in quantitativer und qualitativer Form auseinandergesetzt und darauf aufbauend die typischen Erscheinungsformen des Städtefremdenverkehrs im Rahmen einer segmentorientierten Untersuchung am Beispiel der Stadt Mainz dargestellt.

Bei der Analyse des bundesdeutschen Großstadttourismus, dem ersten Schwerpunkt der Arbeit, wurde zunächst der Stellenwert des Städtefremdenverkehrs innerhalb der Freizeit und Fremdenverkehrsforschung sowie im Rahmen politischer Planungskonzeptionen aufgezeigt. In diesem mehr theoretischen Teil konnte nachgewiesen werden, daß der Städtetourismus sowohl in der Tourismusforschung als auch in staatlichen Planungsprogrammen eine stark eingeschränkte Bewertung erfährt. In beiden Bereiche ist eine bevorzugte Ausrichtung auf die Belange der Ferien- und Naherholung festzustellen. Die aus stadttouristischer Sicht so bedeutsamen Erscheinungsformen des beruflich motivierten Reiseverkehrs lassen dagegen in der Fremdenverkehrswissenschaft und –politik eine gleichwertige Behandlung vermissen.

Eine weitere Problematik des Großstadttourismus liegt in einer quantitativen und qualitativen Erfaßbarkeit begründet. Aufgrund fehlender amtlicher Statistiken und mangelnder Typisierungsansätze ist die Entwicklung und Struktur des großstädtischen Zielreiseverkehrs weitgehend unerforscht.

In der vorliegenden Arbeit wurden auf der Grundlage einzelner statistischer Landesberichte die Dimensionen des bundesdeutschen Großstadttourismus in vier Phasen zwischen 1960 und 1987 verfolgt und miteinander verglichen. Dabei zeigte sich, daß der Städtefremdenverkehr, abgesehen von einer Stagnationsphase (zwischen 1966 und 1974), durch eine expansive Angebots- und Nachfrageentwicklung gekennzeichnet ist. Im Zeitraum zwischen 1960 und 1987 hat sich die Summe der Fremdübernachtungen in bundesdeutschen Großstädten nahezu verdoppelt, die Zahl der Betten ist im gleichen Zeitraum sogar um den zweieinhalbfachen Wert gestiegen.

Zur Strukturierung des gesamten Fremdenverkehrspotentials wurde unter Zugrundelegung zielgruppenorientierter Indikatoren ein spezielles Typisierungsverfahren entwickelt. Die differenzierte Vorgehensweise ermöglichte erstmals, den bis dahin als homogenes Phänomen geltenden Großstadttourismus in seiner Heterogenität darzustellen. Als Haupttypen des Großstadttourismus konnten dabei die Besichtigungs-, Geschäfts-, Messe- und Millionenstädte mit ihren unterschiedlichen Merkmalsausprägungen in der Angebots und Nachfragesituation herausgearbeitet werden.

Zu den vom Geschäftsreiseverkehr geprägten Großstädte zählt auch die Stadt Mainz, deren touristisches Potential in einer weiterführenden Unterstützung analysiert wurde. Mit der Untersuchung des Mainzer Stadttourismus erfolgte erstmals eine segmentorientierte Analyse des Fremdenverkehrsaufkommens einer bundesdeutschen Großstadt. Hierbei wurden die Merkmalsausprägungen der Haupterscheinungsformen (Geschäfts,- Kongreß- und Besichtigungsreiseverkehr) separat untersucht, womit die differenzierte Erfassung der einzelnen Segmente erreicht werden konnte.

Neben den segmentbezogenen Merkmalsausprägungen standen die segementübergreifenden Faktoren (geographische Lage, Beherbergungs-, Gaststättengewerbe, Verkehrsanbindung, Informationsangebot) im Mittelpunkt des Interesses. Bei der Untersuchung dieser "motivunabhängigen" Grundlagen stellte sich heraus, daß die Stadt Mainz im infrastrukturellen Bereich auf überdurchschnittliche Angebotsfaktoren zurückgreifen kann, während im Vergleich dazu der Informationssektor mit den dazugehörigen Werbeaktivitäten durch ein unterentwickeltes Erscheinungsbild gekennzeichnet ist. Die Ursachen für das geringe Werbeengagement liegen einerseits im begrenzten finanziellen Werbebudget und andererseits in der Fehleinschätzung vorliegender Positiventwicklungen im Übernachtungs- und Tagestourismus begründet. Seitens der stadttouristischen Entscheidungsträger werden die mit Sonderkonditionen geworbenen Flugbesatzungsmitglieder sowie die standortgebundenen Fortbildungsteilnehmer – die zusammen annähernd 50% des gesamten Übernachtungsaufkommens abdecken – mit einem steigenden touristischen Interesse im Übernachtungsreiseverkehr in Verbindung gebracht, und die Besucher von Festivitäten aus dem zentralörtlichen Einzugsbereich werden als Repräsentanten einer positiven Nachfrageentwicklung im Tagestourismus angesehen!

Ziel einer zukünftigen Fremdenverkehrspolitik in der Stadt Mainz muß es sein, die eigentlichen Haupterscheinungsformen des Stadttourismus mit gezielten Planungsmaßnahmen anzusprechen. Dazu können die Ergebnisse der segmentbezogenen Fremdenverkehrsuntersuchung herangezogen werden, die in der vorliegenden Arbeit in einem Marketing-Grundlagenkonzept zusammengefaßt worden sind. In diesem Fremdenverkehrsleitbild, das sich an dem Phasenmodell der Marketing-Planung orientiert, wurden die einzelnen Marketing-Ziele und -Strategien,die zur Planung des absatzpolitischen Instrumentariums notwendig sind, herausgearbeitet und an konkreten Beispielen veranschaulicht. Ein besonderes Augenmerk wurde dabei auf die Angebots- und Kommunikationspolitik (u.a. Informationssystem, Werbung, Image-Profilierung) gerichtet, da vor allem in diesem Bereichen eine Verbesserung der Marksituation erforderlich ist. Für die Stadt Mainz geht es darum, die aufgezeigten Schwachpunkte kurz- bzw. mittelfristig abzubauen und sich langfristig von vergleichbaren Städten mit gezielten Werbemaßnahmen abzusetzen.

Die gewonnen Detailergebnisse zum Mainzer Stadttourismus können darüber hinaus als Vergleichsbasis für zukünftige Untersuchungen in anderen Städten herangezogen werden oder als Grundlage für weitere Forschungsarbeiten zum Phänomen des Großstadttourismus Verwendung finden.