Mainzer Geographische Studien, Heft 3

Kandler, Otto: Untersuchungen zur quartären Entwicklung des Rheintales zwischen Mainz/Wiesbaden und Bingen/Rüdesheim

 

Zusammenfassung der Ergebnisse. Die Entwicklung der Rhein-Main-Landschaft

Aufgrund der Untersuchungsergebnisse läßt sich für die Rhein-Main-Landschaft folgender Ablauf der morphologischen Geschehnisse rekonstruieren. Die Geschichte der Landschaft reicht weit ins Tertiär zurück. Ausgangspunkt ist eine Abtragungsfläche, die nach Rückzug des Meeres aus dem Mainzer Becken unter einem wahrscheinlich tropisch wechselfeuchten Klima geschaffen wurde. Auf ihr entwickelte sich zu Beginn des Pliozän das Flußsystem eines Urrhein, dessen Quellgebiet im Bereich des Kaiserstuhls und der Vogesen zu suchen ist. Dieser Fluß bog aus S kommend bei Eppelsheim in die NW Richtung um und floß quer über das heute noch liegende Rheinhessische Plateau. Seine Ablagerungen sind bei Alzey, am Wißberg bei Gau-Bickelheim und Ockenheim zu finden. Von dort aus floß er weiter nach NW und hatte dabei schon eine Laufrichtung im Rheinischen Schiefergebirge, die mit der heutigen übereinstimmt. Auf diesem unterpliozänen Fluß war schon ein Urnahe und eine Urselz eingestellt. Gleichzeitig macht sich auch der Einfluß eine Urmains erstmals stärker geltend.

An der Wende zum Oberpliozän setzten stärkere tektonische Bewegungen ein, die besonders eine Absenkung des Oberrheingrabens in N-S Richtung und eine Ausbildung des Mainz-Binger Grabens in WSW-ENE Richtung zur Folge hatten. Zu diesen Tiefenlinien wurde der Rhein hingezogen, so daß sein Lauf immer mehr nach NE Richtung auf sein heutiges Flußbett hin abgelenkt wurde. Am Ende des Pliozäns war der Rhein im nördlichen Rheinhessen schließlich so weit nach NE ausgebogen, daß mit dem beginnenden Pleistozän nach BARTZ (1950, S. 227) "das heutige Talnetz in seinen Grundzügen schon angelegt" war.

So läßt sich aus den Ablagerungsresten schließen, daß der ältestquartäre Rhein-Main die nordöstlichen Teile des Rheinhessischen Plateaus bis hin zur heutigen 220-m-Höhenlinie bestrich und am Rochusberg bei Bingen in das Rheinische Schiefergebirge eintrat. Auf ihn waren von N her die Taunusbäche eingestellt. Aus der Tatsache, daß dieser einzigen Rhein-Main-Terrasse wahrscheinlich mehrere Taunusbachterrassen entsprechen, läßt sich schnell schließen, daß im Rheinischen Schiefergebirge die Hebungstendenzen noch andauerten, während der Süden in tektonischer Ruhe verharrte.

Dieser ersten pleistozänen Akkumlationszeit folgte eine Taleintiefungsperiode, der wiederum eine Terrassenbildungszeit (T 7) folgte. Auch die Rhein-Main-Ablagerungen dieser Terrasse liegen noch auf dem nordöstlichen Plateau, doch gegenüber der ersten etwas nach N versetzt. Infolge dieser Nordverlagerung erreichte der Fluß schon weiter östlich bei Johannisberg das Rheingaugebirge. Ihm strömten aus dem Taunus zahlreiche Bäche zu, die mächtige Ablagerungen auf weitgespannten Verebnungen hinterließen.

Es folgte eine Zeit extrem starker Tiefenerosion, denn die Basis der nächst jüngsten Terrasse liegt 50 m unter der vorhergehenden. Diese starke Tiefenerosion ist wohl nicht nur eine Folge der klimatischen Schwankungen, sondern sehr starker tektonischer Bewegungen. Dabei war das Ausmaß der Hebungen zwischen Schiefergebirge und Plateau und auch innerhalb der beiden Blöcke nicht gleich. So steigt die T 7 linksrheinisch von 170 m NN bei Drais auf 190 m bei Finthen und auf über 200 m NN bei Wackernheim gegensinnig dem heutigen Gefälle an. Auch nordwestlich einer Linie Rochusberg - südlich Johannisberg - Schloß Vollrads liegt die Terrasse 10 bis 15 m höher als östlich davon.

In diese zwischen die beiden Hochschollen geschalteten Tiefenzonen (nördlicher Oberrheingraben, Mainz-Binger Graben) war von da an der Rhein gefesselt und ist es bis heute geblieben. Er lagerte zunächst die mächtigen Mosbacher Stande ab, deren Akkummulation von einer Erosionsphase unterbrochen wurde. Es folgte, angeregt durch eine weitere Klimaverbesserung, zunächst eine Taleintiefungsperiode um 20 m, der der Großteil der Mosbacher Ablagerungen und der mit ihr verbundenen T 5-Schotter zum Opfer fiel. Besonders stark war die Ausräumung im Gebiet zwischen Budenheim und Bingen, wo der Fluß auf ein verhältnismäßig schmales Bett zwischen Taunus und Plateau eingeengt wurde. Auch um Mainz bleiben nur Reste der Mosbacher Sande erhalten.

Von nun an läßt sich die weitere Veränderung der Landschaft auch strategisch besser erfassen, den diese eben aufgezeigte Talvertiefung wurde durch die Akkummulation der T4-Schotter beendet. Im folgenden Mindel-Riß-Interglazial (Holstein) und Rißglazial pendelte der Rhein zwischen Budenheim und Ockenheim weit nach S aus, wobei er das Plateau unterschnitt und versteilte. So dürfte dieser Erosion auch der letzten Rest der T 5 zum Opfer gefallen sein. Auch der niederterrassenzeitliche Rhein hatte seine Tiefenlinie weiter südlich als heute im Bereich der weiten Verebnungen zwischen Ingelheim und Frei-Weinheim. Erst in jüngster Zeit pendelte der Rhein wieder nach N aus. Er unterschnitt und unterscheidet noch das heute das Rheingauufer und hat große Teile der Niederterrasse und der Talwegterrasse schon abgetragen.

Dieser Wechsel von klimatisch bedingten Erosions- und Akkummulationszeiten war begleitet von tektonischen Bewegungen im Mainz-Binger Graben, die bis heute nicht zur Ruhe gekommen sind, was sich an der Verstellung der jüngsten Terrassen ablesen läßt. Sie erreichten jedoch bei weitem nicht mehr als Ausmaß der vormosbachzeitlichen Tektonik. Über diese fluviatil ausgestaltete Landschaft breitete sich in wechselnder Mächtigkeit der Löß. Von einigen Restvorkomen (Günz?, Mindel-, Rißlöß) abgesehen handelt es sich vor allem um Löß, der während der Würmkaltzeit abgelagert wurde. Dieses Würmlößpaket ist an verschiedenen Stellen durch Bodenbildungen gegliedert, an denen sich die klimatische Geschichte von der letzten Eiszeit bis heute ablesen läßt. Die Mächtigkeit dieses Wurmlösses erreicht im östlichen Rheingau etwa 8 m und nimmt nach W bis auf 3 m ab. Im linksrheinischen Gebiet werden dagegen Lößmächtigkeiten von 15 m und mehr gemessen.

Im ausklingenden Würmglazial wurden dann aus der Niederterrasse kalkhaltige Sande ausgeweht, die am linksrheinischen Plateauhang zwischen Mainz und Gau-Algesheim abgelagert wurden. Auch dieser Vorgang fand in verschiedenen Phasen statt, was aus in die Dünensande eingelagerten Bodenhorizonten abzulesen ist.