Mainzer Geographische Studien, Heft 8:

Kopp, Inge: Untersuchungen zur Siedlungsgenese, Wirtschafts- und Sozialstruktur in Gemeinden des Südost-Spessarts.

 

Zusammenfassung der Ergebnisse

Eine tabellarische Übersicht zur landschaftlichen Entwicklung hilft, die im Detail erarbeiteten Vorgänge zu konzentrieren.

Bis um 800 ist der Südost-Spessart siedlungsleeres Waldland.
Erst der Kampf um die Landesherrschaft treibt die Besiedlung voran. Danach gewinnt jede Siedlung ihre eigene Individualität, die sich aus dem Dualismus von Bevölkerungszahl und Erwerbsgrundlage ergibt. Jede Veränderung im Verhältnis dieser beiden Variablen bedingt eine Neuorientierung, um wieder einen Gleichgewichtszustand zu erzielen. Im agraren Raum erfordert eine Bevölkerungsexpansion einen Landesausbau bzw. intensivere Nutzung der Wirtschaftsfläche. Bevölkerungsrückgang bewirkt hingegen zumeist eine extensivere Wirtschaftsweise und u. U. auch Siedlungsverlust oder Besitzkumulationen.

Beide demographische Entwicklungsrichtungen werden von den untersuchten Siedlungen im Hoch- und Spätmittelalter mehr oder wenig streng durchlaufen. Mit der Neuzeit setzt jedoch eine deutliche Auseinanderentwicklung der Gemeinden ein. Gerade die Siedlungen, deren Wirtschaftsfläche knapp und von geringerer Güte ist, erleben jetzt einen kontinuierlichen Bevölkerungsanstieg. Bei der Freiteilbarkeit des Besitzes fehlt der Antrieb zur Abwanderung. In den übrigen Gemeinden setzt mit der Ausschöpfung der Landreserven eine Stagnation der Einwohnerzahlen ein, die auf eine freiwillige Bevölkerungskontrolle zurückzuführen ist. Darin äußerst sich eine andere Verhaltensweise, die auf die Erhaltung des Besitzstandes abzielt und wohl mit der Konfession in Zusammenhang zu bringen ist.

Bezeichnenderweise sind es nämlich nur die katholischen Gemeinden, deren Übervölkerung im 18./19. Jh. zum Kleinbauerntum und sozialer Not führen. In den protestantischen Orten bleibt eine relativ gesunde Agrarstruktur erhalten, die sich erst im 20. Jh. unter dem Konkurrenzdruck des europäischen gemeinsamen Marktes als unzureichend erweist.

Durch die neuen wirtschaftlichen Möglichkeiten im Rahmen der Industrialisierung, die von außen auf diese Orte einwirkt, erleben wir in unserem Jahrhundert einen Ausgleich der sozialen, letztlich auf wirtschaftlichen Unterschieden beruhenden Spannungen. Die Industriebeschäftigung, bei Beibehaltung des kleinen landwirtschaftlichen Betriebes, garantiert ein Einkommen, das dem Vollerwerbsbetrieb nicht nachsteht. Der Einkommensvergleich führt zur Auslese unter den landwirtschaftlichen Betrieben der protestantischen Gemeinden, die in den 70er Jahren nun gleichfalls stärker zum nicht-landwirtschaftlichen Erwerb übergehen. Die Aufnahme einer außer-landwirtschaftlichen Tätigkeit bedingt aber bisher keine Zunahme der Betriebsaufgaben, was sich für die in der Landwirtschaft Verbleibenden nachteilig auswirkt, da eine nötige Betriebsflächenvergrößerung unmöglich gemacht wird. Das starre Festhalten am Grundbesitz gefährdet die Vollerwerbslandwirtschaft in den evangelischen Gemeinden, ist aber für die nur landwirtschaftlichen Nebenerwerb betreibenden katholischen Gemeinden von Vorteil, da hier der Nebenerwerbslandwirt eine landschaftspflegerische Funktion ausübt, die sonst zu Lasten des Staates ginge.

Im 20. Jahrhundert hat mit den erweiterten Erwerbsmöglichkeiten ein Funktionswandel eingesetzt, der in diesem Raum kulturlandschaftliche Veränderungen eingeleitet hat. Die kleinbäuerlichen Arbeiterpendlergemeinden erfüllen in zunehmendem Maße nur noch die Funktion des Wohnens und Erholens, während ihre Bedeutung als Arbeitsort mehr und mehr verloren geht. In den mittelbäuerlichen Dörfern hat eine zweipolige Entwicklung eingesetzt, die zum einen die Erhaltung einer Vollerwerbslandwirtschaft anstrebt und zum anderen den Weg der katholischen Gemeinden einschlägt.

Die unterschiedlichen Interessen der reinen Wohn- und der landwirtschaftlichen Bevölkerung, die in den einzelnen Orten verschieden stark vertreten sind, bieten im Zusammenleben schon erste Konflikte, die zu Kompromissen nötigen. Daraus ergibt sich im Siedlungsbild eine Abkehr von der reinen Agrarlandschaft, die sich zu einem ländlichen Raum mit zunehmender Wohn- und Erholungsfunktion umzugestalten beginnt.