Mainzer Geographische Studien, Heft 38:

Fuchs, Friedhelm: Modellierung der Ozon-Immissionsbelastung in Rheinland-Pfalz. Studien zur hysikochemischen Entwicklung von Oxidantien in anthropogen kontaminierten Luftmassen.

 

ZUSAMMENFASSUNG

Forschungsschwerpunkt der vorliegenden Arbeit war es, die phototechnische Entwicklung von Oxidantien, insbesondere von Ozon, während sommerlicher Schönwetterperioden in Luftmassen, die in den urbanen Ballungsräumen von Rheinland-Pfalz durch anthropogene Luftverunreinigungen kontaminiert wurden, theoretisch zu analysieren. Zu diesem Zweck wurde ein mathematisches Modell entwickelt, das in der Lage ist, die physikochemischen und meterologischen Transmissionsprozesse, die sich innerhalb der städtischen Ballungszentren oder während der Ausbereitung der Luftmassen in ländliche Räume und Waldgebiete ereignen, in qualitativer und quantitativer Hinsicht zu erfassen. Anhand der im Bundesland Rheinland- Pfalz seit dem Jahr 1978 an repräsentativen Standorten durchgeführten kontinuierlichen Immissionsmessungen konnte durch Anwendung des Modells die Genese von großflächig auftretenden, mehrere Tage anhaltenden Ozon-Perioden ins Südwestdeutschland rechnerisch nachvollzogen werden. Es ließen sich dabei wertvolle Erkenntnisse gewinnen, unter welchen Gesetzmäßigkeiten sich der Abbau von anthropogenen Vorläuferstoffen und die Entwicklung von Oxidantien während des Transportvorgangs vollzieht.

Die Kontrolle der Oxidantienbelastung durch Maßnahmen zur Reduktion der primären Vorläuderstoffe erweist sich wegen der Komplexität physikochemischer Prozesse als ein schwieriges, noch nicht bewältigtes Vorhaben. Mit dem Instrumentarium der Modellrechnung wurde geprüft, in welcher Form eine Verminderung der Kraftfahrzeugemissionen erfolgen muß, um das Ausmaß der anthropogenen Ozonbelastung wirksam zu begrenzen.

Bei den im Rahmen dieser Arbeit entwickelten Modell handelt es sich um ein Zellenmodell (Diffusionsmodell). Eine nach außen hin abgeschlossene Luftsäule, die eine horizontale Ausdehnung von einem Quadratkilometer besitzt und in ihrer vertikalen Mächtigkeit das bodennahe Stockwerk der Troposphäre, die planetarische Grenzschicht bis zu einer Höhe von 1100 m abdeckt, wird vom Bodenwindfeld advehiert und folgt der Zugbahn der jeweiligen Trajektorie.

Das betrachtete Luftvolumen ist in insgesamt zwölf Schichten (Zellen) unterteilt, die untereinander durch den Prozeß der turbulenten Diffusion in Verbindung stehen. Am unteren Rand der Luftmasse, der Berührungsfläche mit dem Erdboden, finden die Vorgänge der Emission und der trockenen Deposition statt.

Die Berechnung der Vertikalverteilung der Schadstoffkonzentration und der Stärke der trockenen Deposition, die von den im Tagesverlauf variierenden Schichtungsverhältnissen und der Intensität thermischer und dynamischer Turbulenz bestimmt werden, erfolgt durch Parametrisierung der Diffusionsprozesse anhand mikrometeorologischer Methoden und durch die Anwendung des numerischen, finiten Differenzenverfahrens nach CRANK-NICOLSON. Auf der Basis der durch Messungen echtzeitig erfaßten meteorologischen Parameter Windgeschwindigkeit, Lufttemperatur und Globalstrahlung sowie durch theoretische Abschätzung der atmosphärischen Stabilität nach PASQUILL werden die für eine vertikale Ausbreitung von Schadgasen relevanten Kenngrößen Diffusionskoeffizient KZ und Depositionsgeschwindigkeit vd ermittelt.

Das vom Autor entwickelte Reaktionsmodul kalkuliert in jeder Zelle unter Annahme von horizontaler Homogenität die Konzentrationsänderungen der Schadstoffkomponenten mit der Zeit. Es faßt dabei in einem komprimierten Reaktionsmechanismus die chemische Kinetik der zwanzig wichtigsten Substanzen des photochemischen Reaktionssystems in 41 Reaktionen zusammen. Sein Konzept basiert auf bekannten, bereits in Luftqualitätsmodellen eingesetzten Mechanismen. Während der allgemein anerkannte Satz anorganischer Reaktionen mit den neuesten Reaktionsgeschwindigkeitskonstanten uneingeschränkt übernommen wurde, erfolgte eine kritische Überarbeitung der Modellansätze zur Parametrisierung der Chemie von organischen Kohlenwasserstoffen. Verwendung fand die von WHITTEN et al. (1980) im Carbon-Bond-Mechanismus vorgeschlagene Klassifizierung der CnHm anhand ihrer Bindungseigenschaften und Molekülstruktur. Die Methode wurde dahingehend optimiert, daß entsprechend den stöchiometrischen Proportionen der CnHm-Abbaureaktionen auch paraffinisch gebundene Methylreste den Klassen der olefinischen, aromatischen und aldehydischen Molekülgruppen zugeordnet werden. Zusätzlich konnte ein verbessertes Verfahren zur Parametrisierung der Reaktionen des radikalgesteuerten CnHm-Oxidationszyklus entwickelt werden, das einen Abbau von Aldehyden sicherstellt.

In einem aufwendigen Testverfahren wurde das entwickelte Reaktionsmodell mit zwei Referenzmechanismen verglichen. Anhand einer statistischen Analyse und durch die Konstruktion von Ozonisoplethendiagrammen konnte ein strenger Zusammenhang zwischen den prognostizierten Ozon-Produktionsraten aller Modelle festgestellt werden. Der Test bestätigte, daß der Reaktionsmechanismus in der Lage ist, die Kinetik des photochemischen Reaktionssystems exakt zu berechnen.

Die praktische Anwendung des Modells beschränkte sich auf Schönwetter-Perioden in den Sommermonaten der Jahre 1988 bis 1990, in denen in ganz Rheinland-Pfalz großflächig erhöhte Ozon-Konzentrationen registriert wurden. Für jeden Tag innerhalb des Untersuchungszeitraums wurde mindestens eine Modellrechnung durchgeführt, um den Tagesgang der Schadstoffkomponenten und die Entwicklung des photochemischen Smogs theoretisch zu kalkulieren. Als Ausgangskonzentrationen dienten jeweils die realen, in den Ballungsgebieten Mainz oder Ludwigshafen zur Zeit des morgendlichen Berufsverkehrs um 8 Uhr MESZ ermittelten Immissionsmeßwerte der anthropogenen Vorläufersubstanzen NO, NO2, CO, CnHm und von Ozon. An Tagen mit mäßigen bis kräftigen Windströmungen verließen die kontaminierten Luftmassen während der Modellrechnung die urbanen Ballungszentren und wurden je nach Ausprägung des Windvektors in ländliche Räume und Waldgebiete advehiert. Durch die Konstruktion von Vorwärtstrajektorien auf der Basis von Bodenwinddaten wurde an Tagen mit Windströmungen aus nördlichen oder östlichen Richtungen die Zugbahn der betrachteten Luftmasse theoretisch ermittelt und graphisch dargestellt. Gleichzeitig konnte aufgrund des Verlaufs der Trajektorien festgelegt werden, welche Immissionsmeßstationen sich im Einzugsbereich der Luftmasse befanden und zur Verifikation der Modellergebnisse heranzuziehen waren. Dabei wies der direkte Vergleich der kalkulierten NOx- und O3-Konzentationen mit den an den Referenzstationen meßtechnisch erfaßten Werten an allen Tagen einen sehr hohen Grad der Übereinstimmung auf.

Die Fähigkeit des Modells, anhand von Immissionsmeßwerten anthropogener Vorläufersubstanzen in Belastungsgebieten die Höhe der Oxidantienbelastung außerhalb der Ballungsräume zu erfassen, wurde zusätzlich durch eine Korrelationsanalyse überprüft, in der für alle Tage des Untersuchungszeitraumes die modellierten O3-Maximalkonzentrationen den landesweit gemessenen Maximalwerten gegenübergestellt wurden. Mit einem Korrelationskoeffizienten von r=0,956 und einer Standardabweichung von 5,038 ppb konnte ein sehr strenger, signifikanter Zusammenhang zwischen beiden Datenkollektiven festgestellt und die Gültigkeit des entwickelten Modellansatzes bewiesen werden.

Die physikochemischen und meteorologischen Transmissionsprozesse, die während des Transports der Luftmassen in ländliche Räume und Waldgebiete wirksam werden, können durch Modellrechnungen lückenlos verfolgt und systematisiert werden. Der Tagesgang der Konzentrationen von Vorläuferstoffen und Ozon weist bei allen durchgeführten Transportrechnungen einen charakteristischen Verlauf auf, der in vier Phasen gegliedert werden kann.

1. DIE ANLAUFPHASE (VOR 9 UHR MESZ)

Während sommerlicher Hochdruckwetterlagen hat sich bei wolkenlosem Wetter in den Tallagen und Niederungen eine wenige hundert Meter mächtige Bodeninversionsschicht entwickelt. Aufgrund der physikalischen Eigenschaften der stabilen Inversionsschichtung ist zur Startzeit der Modellrechnungen um 8 Uhr MESZ die Vertikalverteilung von Nox, CnHm, CO und O3 innerhalb der planetarischen Grenzschicht durch die Existenz stark gegenläufiger Konzentrationsgradienten gekennzeichnet. Eine Akkumulation der anthropogenen Vorläuferstoffe durch den morgendlichen Berufsverkehr erfolgt nur im Bereich der Bodeninversionschicht. Ozon hingegen zeigt wegen seiner Reaktivität mit Stickstoffmonoxid ein streng gegenläufiges Verhalten. Während es bodennah reduziert ist, bleibt oberhalb der Mischungsschicht die am Tag zuvor gebildete Ozon-Reservoirschicht erhalten.

2. DIE PHOTOCHEMISCHE AKTIONSPHASE (CA. 9-15 UHR MESZ)

Die strahlungsbedingte Erwärmung der Erdoberfläche bewirkt in dieser Phase eine Labilisierung der Schichtung, eine Ausdehnung der Mischungsschicht und die Zunahme thermischer Turbulenz. Durch den turbulenten vertikalen Transport gelangen die Vorläuferstoffe in höhere Schichten, wobei als Ausgleichszirkulation auch ein abwärtsgerichteter Transport von O3 erfolgen muß. Bis zum Mittag hat sich das vertikale Konzentrationsgefälle aller Schadstoffkomponenten vollkommen ausgeglichen. Die Stärke physikochemischer Transmissionsprozesse ist ebenfalls eine Funktion der von der Sonne zugestrahlten Energiemenge. Durch photolytische Prozesse werden Radikale gebildet, die CnHm-Verbindungen abbauen und in einem Oxidationszyklus NO zu NO2 konvertieren. Das CnHm/Nox-Verhältnis dient dabei als Kriterium für die Geschwindigkeit, mit der sich der Abbau der Vorläuferstoffe und der gegenläufige O3-Anstieg vollzieht. Zunehmend wird auch NO2 durch OH*- und RCO3*-Radikale attackiert und in HNO3 bzw. PAN überführt und sinkt auf Konzentrationen unter 5 ppb ab.

3. DIE KULMINATIONSPHASE (CA. 15-20 UHR MESZ)

Außerhalb der Ballungsräume begrenzt am Nachmittag der Mangel an NO2 in seiner Funktion als Katalysator das Ausmaß der Ozon-Belastung. Die Maximalkonzentration tritt in den betrachteten Luftmassen regelmäßig zwischen 18 und 19 Uhr MESZ auf, wenn aus physikalischen Gründen die Intensität der Sonnenstrahlung nachläßt.

4. DIE STAGNATIONSPHASE (AB CA. 20 UHR MESZ)

Nach Sonnenuntergang beginnt der Neuaufbau der nächtlichen Sperrschichten; Turbulenzen und Luftströmungen schwächen sich ab. Tendenziell nähert sich die Veritkalverteilung der Schadstoffkomponenten wieder dem Zustand an, der in der Anlaufphase zum Startzeitpunkt der Modellrechnungen angetroffen wurde. Da die betrachtete Luftmasse inzwischen in emissionsfernere Regionen advehiert wurde, ist der bodennahe Anreicherungsprozess von Vorläuferstoffen mit dem Effekt einer gleichzeitigen Reduktion von Ozon verschwindend gering, so daß das Ozon-Reservoir des Nachts erhalten bleibt.

Nur bei extrem schwachwindigen Wetterlagen konnten unter der Annahme, daß die Luftmasse das Ballungsgebiet nicht verläßt, standortgebundene Modellrechnungen durchgeführt werden. Diese bieten den Vorteil, daß während des gesamten Rechenzeitraumes die theoretische Konzentrationsentwicklung der Spurengase lückenlos anhand der Meßergebnisse einer einzigen Referenzstation verifiziert wird.

Prinzipiell verläuft in Ballungsräumen die Entwicklung des photochemischen Smogs unter den gleichen Gesetzmäßigkeiten, die auch für die Transportrechnung charakteristisch sind. Der typische, in vier Phasen gegliederte Verlauf der Schadstoffkonzentrationen wird jedoch durch die innerstädtisch auftretenden Emissionen überprägt. Insbesondere die Stärke und chemische Zusammensetzung der Kraftfahrzeugemissionen variieren im Tagesverlauf ständig und verändern dadurch das photochemische Potential einer Luftmasse.

Im Rahmen dieser Arbeit wurde anhand von ausgewählten Beispielrechnungen analysiert, in welchem Maße die Veränderung des innerstädtischen Fahrzeugaufkommens oder eine verbindliche Einführung von technischen Maßnahmen zur Emissionsminderung die Ozon- Produktion beeinflussen. Da durch die durchgeführten Modellrechnungen sich nur auf einige wenige Tage beschränkten, können nur qualitative Aussagen getroffen werden.

Die chemische Zusammensetzung der Kraftfahrzeugemissionen ist abhängig von der Fahrtgeschwindigkeit des Fahrzeugkollektives. Gemäß den Emissionsfaktoren für KFZ steigt die Cn Hm – und CO-Konzentration im innerstädtischen Geschwindigkeitsbereicch aufgrund des motorischen Betriebszustandes mit abnehmender Fahrtgeschwindigkeit exponentiell an, während die Nox-Emissionen zurückgehen. Das Photosmog-Potential einer Luftmasse ist eine Funktion dieses CnHm/Nox-Verhältnisses. Verschiebt es sich zugunsten von CnHm, so verursachen die als Abbauprodukte entstehenden Peroxi-Radikale eine wirksame Oxidation von NO und NO2 und fördern damit eine intensive Ozon-Produktion. Liegt es auf der Seite der Stickoxide, erfolgt eine langsamere NO-NO2-Konvertierung und die Ozon-Belastung verbleibt auf geringerem Niveau.

Eine Zunahme des Verkehrsaufkommens bewirkt demzufolge neben einer Steigerung der Gesamtemissionsrate eine Erhöhung des Photosmog-Potentials, weil die Durchschnittsgeschwindigkeit des Fahrzeugkollektivs abnimmt und die Zusammensetzung der Vorläuferstoffe im Abgas sich zugunsten von CnHm verschiebt. Folgerichtig verursacht eine Abnahme der Verkehrsdichte eine Abschwächung der Ozon-Belastung, da geringere Emissionen auftreten, die wegen der flüssigeren Fahrweise ein geringeres CnHm/Nox- Verhältnis aufweisen.

Eine Reduktion der Vorläuferstoffe durch technische Maßnahmen zur Abgasrückhaltung oder durch Einschränkung der Verdunstungsemission verursacht bei konstanter Verkehrsdichte ebenfalls eine Begrenzung der Oxidantienbelastung. Je nach Struktur der Maßnahme fällt dieser Rückgang jedoch unterschiedlich aus.

Eine einseitige Reduzierung der Kohlenwasserstoffe um 50% begrenzt effektiv die Höhe des O3-Maximums. Anhand der Modellrechnungen ist ein signifikanter Rückgang der Oxidantienbelastung um ca. 75% zu erwarten, eine Folge des außerordentlich geringen Photosmog-Potentials. Da die Effektivität der atmosphärischen Oxidationsprozesse eingeschränkt ist und die toxischen Nox-Konzentrationen ganztägig auf hohem Niveau verbleiben, wird durch eine solche Maßnahme keine wesentliche Verbesserung der Immissionssituation erreicht.

Eine einseitige Begrenzung der Stickoxidemissionen stellt ebenfalls keine wirksame Maßnahme zur Reduktion der Oxidantienbelastung dar. Obwohl in den Modellversuchen 50% des NOx entfernt wurde, konnte nur ein Rückgang des O3 –Maximums um 22% registriert werden. Auch in diesem Fall ist es die radikale Verschiebung des CnHm/Nox-Verhältnisses zugunsten von CnHm, die trotz des geringen Nox-Gehalts eine gesteigerte Produktiviät des photochemischen Reaktionssystems bewirkt.

Nur die gleichzeitige Reduktion von Stickoxiden und Kohlenwasserstoffen kann auf längere Sicht den Pegel des anthropogenen erzeugten Ozons effektiv begrenzen. Bei den gegenwärtig auftretenden Verkehrsdichten und einer unveränderten chemischen Zusammensetzung der Vorläuferstoffe müßte allerdings eine Verminderung der KFZ-Emissionen um ca. 75% erfolgen, um die Höhe der Ozon-Konzentrationen an sommerlichen Photosmog-Tagen unter den MIK-Wert von 120 ug/m3 zu drücken. Selbst bei einer optimistischen Einschätzung der zukünftigen Emissionsentwicklung ist daher innerhalb dieses Jahrzehnts nicht mit einer wesentlichen Entspannung der landesweiten sommerlichen Immissionsbelastung durch Ozon zu rechnen.