Mainzer Geographische Studien, Heft 20

Krieter, Manfred: Bodenerosion in rheinhessischen Weinbergen - Ursachen, Folgen und Verhinderung aus landschaftsökologischer Sicht.

 

Zusammenfassung

Rheinhessen gehört zu den intensivst agrarisch genutzten Landschaften Deutschlands. Von seiner Gesamtfläche (ca. 120.000 ha) sind ca. 75 % landwirtschaftlich genutzt. Eine dominierende Rolle für diese Landschaft spielt der Weinbau, der mit dem bestockten Rebland ungefähr 22,3 % der landwirtschaftlichen Nutzfläche einnimmt.

Allerdings beansprucht diese Sonderkultur auch besonders stark den Landschaftshaushalt. Insbesondere sind es die starken Bodenerosionen, die fast alljährlich mit Abtragungsmengen von bis zu 500 t/ha-a bislang in dieser Größenordnung keinen rechten Glauben gefunden hatten. Als außerordentlich aktiver morphodynamischer Prozess wurde so vielerorts ein typisches Hangprofil geschaffen, das vom konvex geformten Oberhang über den Mittelhang in einen konkaven Unterhang ausläuft.

Kennzeichnend ist nun für den Vorgang der Bodenerosion, daß ihre Folgen sich weit über den morphologischen Rahmen ausbreiten. Bei der Analyse dieses Problems wurde die Komplexität ihrer Ursachen- und Folgeverknüpfungen deutlich. Aus diesem Grunde erschien es angebracht, die Bodenerosion als ein landschaftsökologisches Problem zu bewerten und ökosystemar zu untersuchen.

Ausschließlich mit dieser Betrachtungsweise war es möglich, die zahlreichen Problemkreise der einzelnen Geofaktoren Rheinhessens derart miteinander zu koppeln, daß sich, zunächst für die Ursachen der verschiedenen negativen Veränderungen im Landschaftshaushalt, als zentrales Problem der Humusrückgang in den landwirtschaftlich genutzten Böden erkennen ließ.

In Folge der Vernachlässigung des Humushaushaltes - besonders etwa seit der Jahrhundertwende durch den Rückgang der Viehwirtschaft und der Aufgabe der damals gebräuchlichen bodenpflegenden Maßnahmen - nahm die Bodenerosion stark zu. Zu ihren verheerenden unmittelbar sichtbaren Folgen zählen Bodenzersörungen, Verschlämmungen von Wegen und Devastierungen von Mauern, Straßen, Kanälen und Gräben. Die mittelbaren Folgen sind zwar weniger offensichtlich, dafür aber von wesentlich tiefgreifenderer ökologischer Tragweite und Komplexität. Durch den Humusschwund degradierten die ursprünglich weitverbreiteten Tschernoseme, wurden dadurch in ihrer Struktur verschlechtert, erosionslabil, abgetragen und nehmen heute - als Hochflächenreste - nur noch ca. 1/5 ihrer ursprünglichen Verbreitungsfläche ein.

Der ebenfalls seit der Jahrhundertwende stark gestiegene Einsatz von mineralischen Düngern verursacht eine Belastung sowohl des Grund- wie des Oberflächenwassers. Die im Oberboden ausgefallenen und mit ihm abgeschwemmten Düngephosphate lassen nach Erosionsfällen den Phosphatgehalt der Vorfluter sprunghaft ansteigen.

Auch die Nitrate werden in erheblichem Maße aus den Böden verlagert und sind dabei insbesondere von der Auswaschung ins Grundwasser betroffen. Da sie auf Grund der ungünstigen Bodenwasserverhältnisse im Sommerhalbjahr nur unvollständig von den Kulturpflanzen aufgenommen werden können, reichern sie sich relativ an und werden dann mit Beginn der winterlichen Auswaschungsperiode ebenfalls als Folge mangelnder Fixierung im Edaphon aus den biologisch inaktiven Böden zum Grundwasser verlagert. Seit dem Ende des letzten Jahrhunderts stieg so der Nitratgehalt der rheinhessischen Grundwässer von 13 mg/l auf mittlerweile bis zu 140 mg/l NO3.

Auch in quantitativer Hinsicht leidet der Wasserkreislauf unter den Bodenerosionen; denn als zerstörende Oberflächenflüsse mindern sie oft erheblich die Menge des Infiltrierenden Wassereintrages in das System. Zusätzliche Verluste entstehen aus hohen Evaporationsraten, die für humusarme schlecht strukturierte Böden kennzeichnend sind.

Die aufgezeigten Probleme der rheinhessischen Agrarlandschaft, also die Zerstörung der Böden, die hohen Wasserverluste durch Oberflächenabfluß und hohe unproduktive Verdunstung sowie die Beaufschlagung des Grund- und Oberflächenwassers haben neben weiteren auslösenden Faktoren eine gemeinsame Ursache in den Bodenerosionen. Die Bodenerosion wiederum ist entscheidend vom Bodenstrukturzustand und daher systemzentral vom Humushaushalt abhängig. Die ökologisch wie ökonomisch sinnvolle Vermeidung der Landschaftsschäden kann daher nur heißen:

VERBESSERUNG DES HUMUSHAUSHALTES DER BÖDEN!

Sollten sich auf diesem Weg die verschiedenen Belastungen einschränken lassen, also Bodenerosionen, Evaporationsraten und Oberflächenabflüsse wie Nitratauswaschungen sich vermindern, so wären zum einen die Arbeitsthese der zentralen Bedeutung eines intakten Boden-Humushaushaltes im ökologischen Wirkungskreis mehrfach bewiesen und zum anderen eine der Bedeutung nach wirkliche "Ökotechnische Maßnahme" durchgeführt.

Zur Untersuchung dieser ökosystemaren Problemstellung wurden in den Gemarkungen von NIERSTEIN und LUDWIGSHÖHE (Rheinhessen) je eine Versuchsanlage errichtet. Mit der Wahl der Standorte in Weinbergsarealen konnte sowohl der Sonderstellung des Weinbaus für die Wirtschaft Rheinhessens Rechnung getragen werde, wie aber auch der Tatsache, daß diese Nutzungsart als Monokultur besonders stark den Landschaftshaushalt beansprucht.

Jede Anlage selbst bestand aus zwei Teilen: jeweils vier Weinbergszeilen wurden normal bearbeitet (O-Parzelle), während auf weitere vier Zeilen Müll-Klärschlammkompost (400 m3/ha MKK) aufgebracht und flach eingearbeitet wurde (Humus-Parzelle).

Die Entscheidung zu dieser Form der Humusanreicherung in den Böden erfolgte unter dem ökologischen-ökonomischen Aspekt, den entkoppelten Stoffkreislauf der organischen Substanz wieder zu schließen. Die Ausfuhr der Ernteprodukte aus den Agrarökosystemen ohne Rückführung der Rückstände (organischer Müll, Fäkalien) in die landwirtschaftlich genutzten Böden schwächt das Selbstregulationsvermögen des Systems, erfordert eine erhöhte Außensteuerung zur Erhaltung der Stabilität und belastet in zunehmendem Maße das eigene Ökosystem wie benachbarte Ökosysteme auch.

Durch die Kompostierung von Siedlungsabfällen und Kärschlämmen in speziellen Anlagen entsteht ein Müll-Klärschlammkompost, der zur Humuserhöhung in den Weinbergsböden Verwendung finden kann. Die Möglichkeit der Entlastung der Oberflächenwässer von kommunalen Abwässern wie die Vermeidung von Bodenerosionen und anderen Standortverschlechterungen wären die sich ökosystemar bedingenden Folgen.

Im Untersuchungsraum waren im Meßjahr 1975 insgesamt sieben Erosionsfälle zu verzeichnen. Die Gesamterosionsmenge der normal bearbeiteten, also nicht humusversorgten Parzellen von Nierstein (oberrotliegende Ton- und Sandsteine) betrug 438 t, während 498 t Festmaterial/ha in Ludwigshöhe (Löß) registriert wurden. Auf den Humusparzellen fand dagegen weder ein Bodenabtrag noch ein Oberflächenabfluß statt.

Neben dem beträchtlichen Austrag an Pflanzennährstoffen wurde festgestellt, daß je nach der Intensität des Erosionsfalles eine Abhängigkeit zur Körnung des erodierten Materials besteht. Schwächere Erosionen lassen in der Hauptsache die Feinfraktionen zum Abtrag kommen, während mit Zunahme der Stärke des Erosionsereignisses sich das Korngrößenspektrum der Abtragungsmassen immer mehr dem des Ausgangsmateriales angleicht. Eine Möglichkeit der nachträglichen Einschätzung der Stärke von Abtragungsprozessen ist damit angesprochen.

Die vollkommene Erosionsstabilität der mit Müll-Klärschlammkompost versorgten Weinbergsböden gründet sich vornehmlich auf der höheren Aggregatsstabilität des Oberbodens und auf eine für den Versickerungsprozess günstigeren Porengrößenverteilung. Die starke Zunahme des Anteiles der schnelldränenden Grobporen ließ die Wasserleitfähigkeit und besonders die für die Aufnahme von intensiven Niederschlägen wichtige "Aktuelle Infiltrationsrate" steigen.

Auf den O-Parzellen dagegen flossen bis zu 16 % der Niederschlagssumme des Sommerhalbjahres 1975 oberflächlich und erodierend ab. Gerade aber im niederschlagsarmen und agrarisch intensiv genutzten Rheinhessen sind diese Verluste in der Vegetationsperiode von großer Bedeutung für den Wasserhaushalt von Pflanze, Boden und Landschaft.

Die zusätzlich noch schlechtere Bodenstruktur mit höheren Feinporenanteilen und Evaporationsverlusten sowie größeren Anteilen an sehr fest gebundenem, "toten" und deshalb nicht pflanzenverfügbaren Wassers reduzierte die "Nutzwasserkapazität im Wurzelraum" deshalb im erosionsstarken Jahr 1975 auf die Hälfte der den Humusparzellen zur Verfügung stehenden Wassermengen.

Der Gang der Bodensaugspannungen und der osmotischen Werte der Rebpflanzen zeichnen diese unterschiedlichen Bodenwasserverhältnisse nach. Geringeren Saugspannungen des Bodens und der Pflanzen auf den Humusparzellen stehen höhere und damit ungünstigere auf den normalbearbeiteten Böden gegenüber.

Die maßgebende Wirkung der MKK-Einbringung, die Stabilisierung der Bodenstruktur, beruht auf der Aktivierung des biologischen Stoffumsatzes durch Erhöhung des Anteiles abbaubarer organischer Massen. So stieg die Rate der mikrobiellen Aktivität (CO2-Umsatz) durch die Kompostgabe auf den dreifachen Wert wie auf den Vergleichsparzellen. Da die Humuszehrung in Weinbergsböden sehr hoch einzuschätzen ist und der Humushaushalt zusätzlich durch den geringen Neuanfall an organischen Massen (Blätter, Wurzeln) sowie die häufigen auf die organische Substanz oxidierend wirkenden Bodenbearbeitungen strapaziert wird, kommt dieser enormen Humusanreicherung durch MKK große Bedeutung zu.

Die Komplexwirkung von starker mikrobieller Aktivität und höheren Anteilen an pflanzenverfügbarem Wasser in den Humusböden ist sicherlich auch der Grund dafür, daß die Nitratverlagerungen aus diesen Böden wesentlich geringer sind als die der Vergleichsparzellen.

Desweiteren vermag die um über 50 % gesteigerte Kationenaustauschkapazität in den Oberböden und das schwach alkalische Milieu die Schwermetallkationen der Müll-Klärschlammkomposte derart zu binden, daß weder eine nennenswerte Verlagerung in den Untergrund noch eine pflanzliche Aufnahme der Schwermetalle nachweisbar ist.

Dennoch hält es der Verfasser für angebracht, daß zur Vermeidung von Anreicherungen im Boden bei langfristiger Anwendung von MKK die Schwermetallgehalte erheblich reduziert werden müssen.

Eine ähnliche Verlagerungstendenz zum Grundwasser wie bei den Nitraten ist auch bei den Pflanzenschutzmitteln nicht auszuschließen. Die außerordentlich hohe jährliche Einsatzmenge von ca. 2.650 t (1975) auf den 20.000 ha bestockten Reblandes Rheinhessens machte eine auf diese Problemstellung ausgerichtete Untersuchung notwendig. An dem Verhalten zweier Aktivsubstanzen von Herbiziden konnte gezeigt werden, daß ihre Sorption im Boden der MKK-Parzellen um ein Mehrfaches gegenüber den humusarmen Vergleichsparzellen stieg und damit umgekehrt die Gefahr ihrer Auswaschung sich in gleichem Maße reduziert.

Mit der Kompostierung von geeigneten Klärschlämmen und organischem Müll und deren Rückführung in das Agrarökosystem könnten derzeit noch unterbrochene Stoffkreisläufe der organischen Substanz wieder geschlossen werden. Im jetzigen Zustand der Entkopplung verarmen auf der einen Seite die Böden an Humus und verlieren zahllose positive Standorteigenschaften, auf der anderen Seite belasten die kommunalen Abfälle Gewässer und Deponien.

Mit der Errichtung von Kompostwerken in ländlichen Einzugsbereichen wären die berechtigten Forderungen nach weiterer Schadstoffdezimierung in den Komposten (wenig Industrie) einerseits und andererseits nach Absatznähe zu erfüllen.

Diese Methode der Schließung des Kreislaufs der organischen Substanz über eine Kompostierung und landwirtschaftliche Verwendung schadstoffarmen bzw. -freien Materials ist als ökotechnische Maßnahme eine echte Zukunftsinvestition, da sie zum einen die Produktivität der Böden sowie seine sonstigen Funktionen stärkt und zugleich andere Ökosystemkompartimente (z. B. Grundwasser) entlastet. Damit wäre dem "Bodenschutz" im engeren (Schutz vor Bodenabtrag) wie im weiteren Sinne (z. B. Erhaltung der Schutzfunktion des Bodens für die Menge und Güte des Sicker- und Grundwassers) Rechnung getragen.