Vorlesungsfreie Zeit in Kanada, oder von -20 auf +30 Grad in nur drei Stunden

Bonjour tout le monde,
mittlerweile habe ich die Hälfte der insgesamt 8 Monate Kanada hinter mir. Vor einer Woche hat das zweite Trimester begonnen, nachdem wir uns über die Feiertage für knapp drei Wochen erholen konnten. Die Schlussphase des vorangegangenen Semesters war sehr anstrengend, da ich gleich zwei sehr umfangreiche Hausarbeiten abgeben und mehrere Klausuren und Präsentationen innerhalb einer Woche abgeben bzw. halten musste.
Im Rahmen meiner Mittelalterhausarbeit habe ich mich mit der Person Guillaume de Machaults, einem französischen Musiker, Poeten aber auch königlichen Berater beschäftigt. Als Quelle diente mir der Confort d’Ami, ein von ihm verfasstes und an Charles II. König von Navarra adressiertes Gedicht. Hierin zeichnet der Poet ein sehr genaues Bild des, seiner Meinung nach, idealen Herrschers. Das Gedicht reiht sich somit in die lange Tradition der Prinzenspiegel ein und gibt Aufschluss über die politischen Ideen Machaults.
Bei meinen Recherchen hierzu hat es mir besonders gefallen, dass der Confort fast ausschließlich nur aus literaturwissenschaftlicher Perspektive untersucht, kaum aber von Historikern in Augenschein genommen wurde. Daher hatte ich das Gefühl wirklich einen kleinen Teil zur Historiographie beitragen zu können.
Ähnlich verhielt es sich mit meiner zweiten Hausarbeit, die ich im Modul Neueste Geschichte im Rahmen meines Kurses Religion et Violence angefertigt habe: Hierfür habe ich mich mit dem Verhältnis des IS und der Minderheit der Yeziden auseinandergesetzt. Meines Erachtens nach lag die Herausforderung darin, dass ich eine geschichtliche Arbeit über ein brandaktuelles Thema verfassen musste, zu dem verständlicherweise erst sehr wenige Historiker geforscht haben. Letztendlich habe ich es geschafft eine geschichtswissenschaftlichen Herangehensweise anzunehmen und bin froh auch diese Erfahrung gemacht haben zu können.
Zu Beginn der Ferien bin ich mit einer Freundin nach New York gefahren. Das geht von Montreal relativ problemlos und auch günstig mit dem Bus. Pünktlich zu Heiligabend habe ich mich in Sherbrooke eingefunden um mit Freunden, die ebenfalls in Kanada geblieben sind, bei einem Raclette gemütlich beisammen zu sein. Überraschenderweise hatten wir leider keine weiße Weihnacht, sondern sonnige 16 Grad- PLUS, wohlgemerkt.
Der Wintereinbruch kam dann zu einem sehr ungelegenen Moment, nämlich an dem Tag, an dem Ida, ebenfalls eine Cursusstudentin, und ich nach Kuba fliegen wollten. Glücklicherweise sind die Arbeiter am Montrealer Flughafen Wind und Wetter gewohnt, sodass der Flieger, mit Verspätung zwar, doch noch Richtung Sonne abgehoben ist.
Havanna hat mich direkt verzaubert: Die kilometerlange Uferpromenade, die Straßenmusiker, die zahlreichen, noch von der Zeit vor dem amerikanischen Wirtschaftsembargo zeugenden Oldtimer, die stattlichen, aus Kolonialzeit stammenden Anwesen, all die bunten Fassaden, die im Sonnenlicht um die Gunst der vielen Touristen aus aller Herren Länder zu wetteifern scheinen, ihre Bewohner, die wahre Überlebenskünstler sind und die mit ihrem Einfallsreichtum all den Widrigkeiten trotzen, die das Leben in einem autoritären Staat mit sich bringt.
Die beste Möglichkeit in Kuba gut unterzukommen, sind die weitverbreiteten casa particular, das sind von Einheimischen vermietete Zimmer und Wohnungen. So war es uns möglich wenigstens ein wenig in das Leben der Kubaner einzutauchen. Ines, unsere Gastgeberin in Havanna, hat uns am Silvesterabend zum Familienessen eingeladen. Hierfür wurde ein typisches kubanisches Gericht serviert: Reis mit schwarzen Bohnen, Hühnchen, Yucca- Wurzel, dazu ein Thunfischsalat. Die Kubaner feiern das neue Jahr eher im Kreise der Familie, ungewöhnlich leise und unspektakulär- selbst in der Millionenstadt Havanna hat man vergebens auf ein Feuerwerk gewartet.Das liegt vielleicht daran, dass man stattdessen die Meeresbrise genießend das ewig leuchtende Sternenzelt bestaunen kann, eine Zigarre in der einen und ein Glas Cuba libre in der anderen Hand.
Der 1. Januar ist in Kuba nicht nur Neujahrstag, sondern vor allem Jahrestag der kubanischen Revolution von 1959, die der Batista-Diktatur ein Ende bereitet hat und in Folge derer die „Diktatur des Proletariats“ eingerichtet wurde. Die „Helden“ jener Tage sind allgegenwärtig: So thronen sie etwa als Statuen und Fassadenverzierungen über dem geschäftigen Treiben der Hauptstadt.
Wir haben es uns nicht nehmen lassen, trotz des herrlichenn Wetters in das nicht klimatisierte Revolutionsmuseum zu gehen und haben ganz konkret lesen dürfen, wie staatliche Propaganda in Kuba funktioniert. Eine oberflächliche linguistische Analyse der Beschreibungen der Ereignisse reichte bereits aus, um sich bewusst zu werden, dass dies eine einseitige Ausstellung werden würde.
Während unserer gesamten Reise ist uns mehr oder mehr aufgefallen, dass das Konzept der Planwirtschaft in Kuba praktisch nicht funktioniert. Man muss für die kleinsten alltäglichen Besorgungen anstehen, das Sandwich in der Stammcafeteria kann nicht jeden Tag mit Tomaten belegt werden, da es heute einfach mal keine Tomatenlieferung gab etc.
Über diese Mängel kann man als Tourist, der sich nur für eine bestimmte Zeit im Land aufhält, gut und gerne hinwegsehen, kompensieren doch die Traumstrände, das türkisfarbene Meer und die tropische Vegetation den Verzicht auf so manche Annehmlichkeit, die man von zu Hause kennt.
Der Flug nach Hause kam dann auch schneller als erwünscht und so landeten wir, gut erholt, aber wehmütig im schneeweißen und kalten Montreal, um für die zweite Halbzeit in Kanada anzutreten, davon dann im nächsten Bericht mehr.

 

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