Hund – C. – II.3 Gebrauchsschrifttum

Eine nennenswerte Rolle in der Gebrauchsliteratur spielen nur Jagdhunde (zum Gesamtkontext → E.4 II.3), wobei zu differenzieren ist zwischen originär lateinischen Schöpfungen und Übersetzungen ins Lateinische. Die erste Gruppe umfasst drei Werke: Erstens die anonyme Practica canum spätestens des 13. Jahrhunderts. Sie kreist exklusiv um Jagdhunde, indem sie das Aussehen, die Qualitätsmerkmale, die Auswahl des Zuchtpaares und Pflege der trächtigen Hündin, die Entwöhnung und richtige Ernährung der Welpen, die Abrichtung und Pflege der (Jung-)Tiere sowie sieben bis acht Hundekrankheiten und ihre Medikation thematisiert. Die Langfassung der in zwei Textversionen tradierten Practica canum verarbeitete Albertus Magnus als Kernstück des Kapitels De cane in seiner Zoologie De animalibus (l. 22, tr. 2, c. 1, n. 16, → C. II.2) und sicherte dem Text damit größeren Einfluss. Zweitens ist zu nennen De arte bersandi, die einzige mittelalterliche lateinische Anleitung zur Rotwildjagd, verfasst in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts von einem deutschen Ritter Guicenna(n)s. Detaillierter beschreibt er die Jagdmethode des Pirschens mit Bracken zur Vorsuche und die dafür erforderliche Abrichtung dieser Hunde. Demgegenüber ging sein Zeitgenosse Kaiser Friedrich II. (gest. 1250) in seinem De arte venandi cum avibus nur marginal auf Hunde als Jagdhelfer ein. Drittens widmete der Bologneser Petrus de Crescentiis (gest. 1321) in seinem Landwirtschaftskompendium einige Aufmerksamkeit dem Wach- bzw. Hütehund (l. 9, c. 78, nach Marcus Terentius Varro) und dem Jagdhund (namentlich mastini, seguli vel brachi und der als parvus catulus beschriebene Schweißhund, l. 10, c. 7. 1, c. 15. 2, c. 17. 19-20 und c. 21; l. 11, c. 53, 3 sowie l. 12, c. 1. 1).

Die Übersetzungen ins Lateinische dominiert der Moamin, eine veterinärmedizinisch-jagdpraktische Kompilation über Beizvögel und Jagdhunde in fünf Büchern, deren beide Schlussbücher von der Pflege, Abrichtung und Medikation von Jagdhunden handeln. An seinem Hof und gemäß seinem Auftrag ließ Kaiser Friedrich II. die arabische Vorlage 1240/41 übersetzen und kontrollierte das Resultat eigenhändig. Der lateinische Moamin wurde häufiger kopiert bzw. redigiert und noch im Mittelalter auch mehrfach in die Volkssprache übertragen (→ D. 1 II. 3 und D. 2, II. 3), was ihm eine breitere Aufmerksamkeit bis weit in die Neuzeit sicherte.

Erst im 16. Jahrhundert kam es in lateinischer Sprache zu einem intensiveren Rekurs auf das kynologische Schrifttum der klassischen Antike (Michelangelo A Biondo, 1544; Hieronymus Fracastorius, 1563) und zu einer wiederholten Latinisierung (Drucke von 1535, 1545 und 1562) des griechische Kynosophion des byzantinischen Arztes Demetrios Pepagomenos (15. Jahrhundert). Die moderne Kynologie erlebte ihre Geburtsstunde erst mit Johannes Caius (1570). Bislang noch nicht systematisch erfasst und untersucht sind isoliert überlieferte Rezepte über Hunde(krankheiten) und die Stellung des Hundes innerhalb der lateinischen iathromagischen Fachliteratur.

Ausg.: Albertus Magnus: De animalibus libri XXVI 2: Buch XIII-XXVI enthaltend, ed. H. STADLER, 1920; Johannes Caius: De canibus Britannicis, 1570 [Iohannes Caius: Of Englishe Dogges, the diuersities, the names, the natures, and the properties […], übersetzt von A. FLEMMING, 1576, ND 1969; I. DRAELANTS: Le Liber de virtutibus herbarum, lapidum et animalium. (Liber aggregationis). Un texte à succès attribué à Albert le Grand, 2007; K.-D. FISCHER: Alcon sive de cura canum venaticorum. Kritische Textausgabe und Bemerkungen zur Urheberschaft, Humanistica Lovaniensia 32 (1983), 266-88; Federico II di Svevia: De arte venandi cum avibus. L’Arte di cacciare con gli uccelli, ed. A. L. TROMBETTI BUDRIESI, 22000; S. GEORGES: Das zweite Falkenbuch Kaiser Friedrichs II. Quellen, Entstehung, Überlieferung und Rezeption des Moamin. Mit einer Edition der lateinischen Überlieferung, 2008; J. LONCKE: La Practica canum – le De cane d’Albert le Grand. L’art de soigner les chiens de chasse au Moyen Âge, 2007; Petrus de Crescentiis (Pier de’Crescenzi): Ruralia commoda. Das Wissen des vollkommenen Landwirts um 1300 3: Buch VII-XII, ed. W. RICHTER/ R. RICHTER-BERGMEIER, 1998.

Lit.: B. VAN DEN ABEELE / J. LONCKE: Les traités médiévaux sur le soin des chiens: une littérature technique méconnue, in: Inquirens subtilia diversa, 2002, 281-96; M. GIESE: „Ut canes pulcherrimos habeas...“, die kynologische Hauptvorlage von Albertus Magnus De animalibus, in: Kulturtransfer und Hofgesellschaft im Mittelalter, 2008, 239-70; Ibid.: Gebell im Kloster Tegernsee. Zur mittelalterlichen und frühneuzeitlichen monastischen Hundehaltung samt einer Erstedition von Peter Zalers Anleitung zur Hundeaufzucht, Studien und Mitteilungen zur Geschichte des Benediktinerordens und seiner Zweige 121 (2010), 109-30; S. LAZARIS: La production nouvelle en médecine vétérinaire sous les Paléologues et l’oeuvre cynégétique de Dèmètrios Pépagôménos, in: Philosophie et sciences à Byzance de 1204 à 1453, 2006, 225-67; H. MATTHEIS: Die Hundeheilkunde des Moamin, Diss. vet. med. Hannover 1967; A. SMETS: L’image ambiguë du chien à travers la littérature didactique latine et française (XIIe-XIVe siècles), Reinardus 14 (2001), 243-53; M. de L. SANTIAGO MARTÍNEZ: Alcon sive de cura canum venaticorum de Hieronymus Fracastorius y sus antecedentes en los tratados cinegéticos de Gratio y Nemesiano, in: Los libros de caza, 2005, 147-75; I. VENTURA: Medicina, magia e Dreckapotheke: sull’uso delle sostanze animale nella letteratura medica dal XII al XV secolo, in: Terapie e guarigioni nel Medioevo [im Druck].

Martina Giese

Zurück zu "Hund" | Zurück zu "C. Lateinische Literatur" | Zurück zu "C. Lateinische Literatur - II.2 Tierkunde, Enzyklopädik" | Weiter zu "D.1 Französische Literatur"