Von Finnland lernen heißt siegen lernen oder Schreibaufgaben in der Lehre

Beim Stöbern im Internet stieß ich auf den Beitrag eines Austauschstudierenden aus Finnland, der seiner deutschen Gastuniversität ein schlechtes Zeugnis ausstellte.

Unter anderem warf er den Verantwortlichen in der Lehre vor, bei Prüfungen nur Auswendig-Gelerntes abzurufen. Er äußerte den Wunsch, dass Studierende bei Prüfungen ihren Kopf benutzen sollten – sie sollten nachdenken, reflektieren und sich eine kritische Meinung zu den Themen bilden und nicht nur bei multiple-Choice-Fragen ihre Kreuzchen setzen.

Ein frommer Wunsch – außerdem nachvollziehbar und sinnvoll. Und aus Finnland, also aus dem Siegerland zahlreicher PISA-Erhebungen!

Nur wie umsetzen? Auf Nachfrage geben Studierende immer wieder an, dass sie niemand dazu anleite, eigene Texte zu schreiben, dass sie es nicht gewohnt seien, ihre Gedanken zu Papier (oder zu Bildschirm) zu bringen und dass sie vor Prüfungen in dieser Form große Bedenken hegen.

Was tun? Ein erster Schritt könnte sein, zunächst einmal in der Lehrveranstaltung selbst erste kleine Schreibaufgaben zu nutzen, um so die Studierenden an diese Form der Aufgabe zu gewöhnen.

Da ich selbst gern schreibe, war es also keine große Bürde, einen ganztägigen Workshop zum Thema „Schreibaufgaben in der Lehre“ zu besuchen. Unsere Trainerin war Dr. Swantje Lahm vom Schreiblabor der Uni Bielefeld. Zusammen mit Kolleginnen der Abteilung Psychologie in den Bildungswissenschaften und aus einigen anderen Fächern der Uni Mainz verbrachten wir einen anregenden und motivierenden Tag.

Wir schrieben selbst – viele Seiten voll, jeweils instruiert von Frau Lahm, lasen uns die Ergebnisse gegenseitig vor und diskutierten engagiert darüber, wie wir das in unseren Lehrveranstaltungen umsetzen könnten.

Gesagt, getan – gleich in der nächsten Woche ließ ich meine Studierenden an meiner Begeisterung teilhaben. Seit dem schreiben sie in jeder von mir moderierten Sitzung – meistens nur 5 Minuten lang, mit Anleitung und Aufgabenstellung.

Manche kommen schnell hinein, andere überlegen länger. Die eine Aufgabe findet sehr viel Anklang, andere erscheinen zunächst fremd. Was aber alle Aufgaben vereint: es entsteht innerhalb weniger Sekunden eine konzentrierte und intensive Form des Arbeitens – das scheint das in schriftliche Form gegossene Denken zu bewirken. Dabei macht es keinen Unterschied, ob mit der Hand geschrieben wird oder der Text über eine Tastatur eingegeben wird – die Studierenden und ich genießen diese Form der Konzentration auf das jeweils aktuelle Thema der Stunde.

Folgerichtig wird sich jetzt auch die abschließende Leistung am Ende des Seminars verändern: Die Studierenden werden eine Aufgabe vorfinden, in der sie in Form eines fiktiven Briefes an ihren alten Lehrer die Erkenntnisse aus dem Thema Kommunikation und Interaktion noch einmal reflektieren sollen.

Ich bin gespannt auf die Ergebnisse!

Von Dipl.-Psych. Susanna Türk